Carlos Cruz-Diez, Chromosaturation Installation, 2010
© Carlos Cruz-Diez & Adagp, Paris 2013

Foto: Carlos Cruz-Diez, Chromosaturation Installation, 2010 © Carlos Cruz-Diez & Adagp, Paris 2013

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Foto: Edu Simões/The Observer/The Interview People

Wenn es eine Rolle gibt, die Leuchten auf der Bühne des Designs übernehmen, dann ist es die des Magiers. Ein simpler Knopfdruck genügt, und sie verändern ihre Erscheinung, ihren Charakter und nicht zuletzt auch ihre Form. So wachsen sie über die Grenzen des Objekthaften hinaus und definieren durch Helligkeit Räume. Einigen von ihnen gelingt sogar das Kunststück, Atmosphäre zu erzeugen.

Die Wirkung des Lichts geht weit über die Ebene des Sichtbaren hinaus. So nimmt die Lichtfarbe sogar Einfluss auf die Geschmacksrezeptoren der Zunge. Und selbst hartgesottene Börsianer handeln bei wolkenfreiem Himmel optimistischer als an grauen Novembertagen. Kurzum: Licht ist ein Medium, das unseren Alltag nicht wenig mitbestimmt. Welche Evolution das künstliche Licht bisher durchlaufen hat, beleuchtet das Vitra-Design-Museum in Weil am Rhein.

300 Exponate

Lightopia heißt die von Jolanthe Kugler kuratierte Ausstellung, die die Leuchtensammlung des Museums erstmals öffentlich zugänglich macht. 300 Exponate nehmen die Besucher mit auf eine Reise durch 130 Jahre Design- und Technologiegeschichte. Denn ganz gleich, welche Formen den Gestaltern einfielen: Die Parameter der Entwürfe wurden stets von den Eigenschaften der Leuchtmittel diktiert.

Zu sehen sind neben Klassikern von Wilhelm Wagenfeld, Gino Sarfatti, Serge Mouille, Poul Henningsen oder Achille Castiglioni auch performative Arbeiten wie der berühmte "Licht-Raum-Modulator" (1922- 1930) von László Moholy-Nagy. Mithilfe rotierender Lochbleche vermochte das kinetische Objekt, ein dynamisches Licht- und Schattenspiel an die Wand zu projizieren. Welch raumgreifende Wirkung Licht entfalten kann, zeigen mehrere Installationen, die den Parcours durch Frank O. Gehrys Museum akzentuieren.

Fluoreszierenden Pigmente

Spektakulär wirkt selbst aus heutiger Perspektive der Nachbau der Diskothek Il Grifoncino, die 1968 im Keller des Bozener Hotels Greif gestaltet wurde. Bahnen aus transparentem PVC trennen die Tanzfläche vom Sitzbereich und imitieren an ihrer Unterkante die Form von Wolken, während stehende Plexiglaspaneele Büschen und Hecken nachempfunden sind. Nicht nur sie vermochten das Licht der rhythmisch kreisenden Scheinwerfer in spektakuläre Effekte zu übersetzen. Auch die mit fluoreszierenden Pigmenten versehenen Kunststoffmöbel verwandelten den Nachtklub in ein lichtdurchflutetes Gesamtkunstwerk.

Wie echte Kerzen

Hat die Glühbirne für mehr als 100 Jahre die Formen der Leuchten bestimmt, wurde ihre Bauweise mit dem Siegeszug von Halogen in den 1970er-Jahren kompakter. Das Zauberwort der Branche lautet heute LED. Wie ein Schulterschluss zwischen Gegenwart und Vergangenheit wirkt die Installation My New Flame (2012) von Ingo Maurer und Moritz Waldemeyer. Die mehr als 60 Kerzen entpuppen sich bei genauerem Hinsehen als LED-bestückte Platinen.

Einen Sprung durch die Geschichte vollzieht auch der Schweizer Textilhersteller Forster Rohner. Mit einem zur Serienreife entwickelten Verfahren können LEDs mit Stoffen verwoben werden, ohne deren Haptik, Faltenwurf und Waschbarkeit zu beeinträchtigen. Doch so futuristisch die Lichttextilien anmuten: Schon in den Varietés des späten 19. Jahrhunderts waren mit Glühbirnen bestückte Kleider in Mode. Auch wenn mit den Vorhangstoffen "Elumino Sema" und "Elumino Aves" von Création Baumann die ersten Anwendungen dieser Technologie zu sehen sind, verheißt die Zukunft eine andere Technologie.

Homogene Leuchtflächen

Anders als LEDs, die stets ein punktförmiges Licht erzeugen, bilden OLEDs homogene Leuchtflächen. Diese sollen fortan ganze Wände bespielen, wenngleich die ersten Modelle noch deutlich kompakter ausfallen wie die filigrane Schreibtischleuchte Lanx. Um die Angst vor dem Neuen zu nehmen, installierten die Ausstellungsmacher ein kleines Labor, das die Herstellung von OLEDs vor Augen führt.

Eine regelrechte Euphorie, die das mit 5000 Glühbirnen bestückte Palais de L'Électricité auf der Pariser Weltausstellung 1900 entfachen konnte, wird der neuen Lichtquelle sicher kaum noch entgegengebracht werden. Doch die raumgreifende Wirkung des künstlichen Lichts ist damit noch lange nicht abgeschlossen. Ihr großer Auftritt steht gerade noch bevor. (Norman Kietzmann, Rondo, DER STANDARD, 18.10.2013)

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mischer'traxler, Emil & Clara aus der Serie Relumine, 2010
mischer'traxler, Emil & Clara aus der Serie Relumine, 2010 © mischer'traxler 2010