Spielcafé in Wien, für junge Männer aus Einwandererfamilien ein wichtiger Treffpunkt mit den Freunden.

Foto: Khakpour, Puktalović

Vor den Automaten und bei Sportwetten hat so mancher schon auf einen Sitz die Hälfte seines Jahresgehalts - oder sogar mehr - verloren. 

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Foto: Khakpour, Puktalović

Wien - Dragan*, 27, hat das Schlimmste überstanden: Er hat eingesehen, dass er glücksspielsüchtig ist. "Man muss die Veränderung auch selbst wollen", sagt er. Seit wenigen Wochen besucht er eine Selbsthilfegruppe. Die Spielsucht, jene Krankheit, die viele Betroffene in seelische und vor allem monetäre Schieflagen bringt, betrifft in Österreich mindestens 64.000 Menschen. Gesetzt, gespielt und gewettet wird an Kasinotischen, Automaten oder in den immer zahlreicher werdenden Wettbüros.

Keine präzisen Zahlen

Die Gruppe der jungen männlichen Migranten ist davon besonders betroffen. Präzise Zahlen gibt es aber nach wie vor nicht. Die erste repräsentative Studie über das Glücksspielverhalten in Österreich, durchgeführt vom Hamburger Wissenschafter Jens Kalke, definiert die Gruppe der 18- bis 35-jährigen Männer mit Pflichtschulabschluss, Arbeitslose und gering Verdienende insgesamt als besonders stark Betroffene.

Süchtig machen vor allem die Automatenspiele und Sportwetten. 8000 und 9000 legale Automaten stehen österreichweit in Wettbüros, Gastronomiebetrieben und Kasinos, dazu etliche illegale. Vor diesen hat Dragan schon auf einen Sitz die Hälfte seines gesamten Jahresgehalts verspielt, inklusive Weihnachts- und Urlaubsgeld.

In Gruppen von bis zu zehn Freunden setzten sich die 20- bis 27-jährigen Glücksspieler an die Automaten in einer großen Spielhalle. Vor den bunt flimmernden Spielkisten und aufgrund der Gruppendynamik war es mit ihrer Vernunft bald vorbei. "Wir haben mehr und mehr Geld reingeschmissen. Das waren sieben Jahre Unvernunft", sagt Dragan heute. Manchmal verbrachten er und seine Kumpanen ganze Arbeitstage in der Spielhalle.

Dragan stammt aus dem Wiener Stadtbezirk Rudolfsheim-Fünfhaus. Das durchschnittliche Nettoeinkommen pro Jahr liegt hier bei 15.800 Euro - im Wiener Bezirksvergleich weit unter dem Durchschnitt. Viele, die hier wohnen, sind direkt von Armut und Arbeitslosigkeit betroffen, laut einer Erhebung der Statistik Austria von 2010 leben hier 1368 Kinder in Familien, die Sozialhilfe beziehen.

In der unmittelbaren Umgebung von Dragans Wohnung findet man zahlreiche Möglichkeiten, sein Glück an den Spielautomaten zu testen. Dort hat auch der 27-Jährige seine ersten einschlägigen Erfahrungen gesammelt. In den letzten Jahren seiner Spielsucht wich er zunehmend auf die großen Kasinos aus: "Dort gibt es viel mehr verschiedene Spielmöglichkeiten, und außerdem ist die Atmosphäre besser."

Treffen im Kasino

Das Problem ist aber nicht nur das Süchtigwerden an sich. Viele der Spieler - auch jene mit Migrationshintergrund - würden die Spielhallen als ihre Versammlungsorte sehen, gibt Monika Lierzer von der Fachstelle für Glücksspielsucht Steiermark zu bedenken. So war es auch in Dragans Fall: "Wir haben uns immer in den Kasinos oder davor getroffen. Dabei blieb es aber nicht, schlussendlich geht man dann auch spielen."

"Die Automaten stehen dort, wo viele Migranten leben", sagt Lierzer: für sie eine weitere Erklärung, warum insbesondere junge Migranten von der Spielsucht betroffen sind. Detto gehöre auch das "Abtauchen in eine andere Welt" zu den Ursachen: "Die Betroffenen suchen geradezu nach positiven Erfahrungen, die sie im Leben nicht gemacht haben."

Von der Spielsucht sind auch viele junge autochthone Österreicher betroffen. Andreas*, 23, aus dem Burgenland, derzeit in der Therapie in der Selbsthilfegruppe anonyme Spieler, kennt die Probleme, mit denen Dragan zu kämpfen hat, nur zu gut. Auch er war über fünf Jahre spielsüchtig: "Man wartet jeden Monat auf das Geld, und wenn es endlich da ist, kommt es nicht selten vor, dass man es gleich an einem Abend verspielt." Außerdem sei gerade bei jungen Glücksspielern der Gruppendruck entscheidend, fügt Andreas hinzu. Daher müssten Betroffene, um aus dem Teufelskreis zu entkommen, nicht nur die Spielsucht beenden, sondern meist auch ihr bisheriges soziales Umfeld verlassen.

Auf der Suche nach dem schnellen Geld kann man bei Glücksspielen tief fallen. "Gewinnt jemand, will er mehr, verliert er, will er die Verluste zurückgewinnen. Es ist wie eine sich abwärts drehende Spirale, die Probleme werden immer größer", erklärt Izabela Horodecki, Präsidentin der Spielsuchthilfe Wien. Ihre Klienten, ein Großteil männlich, sind durchschnittlich mit 39.432 Euro verschuldet. Irgendwann erreichen viele Betroffene einen Zustand, in dem Geld nicht mehr als solches wahrgenommen werde: "Es wird zum Spielkapital, Bargeld löst Spielgedanken aus", schildert Horodecki.

Wie viel Schulden er in den sieben Jahren seiner Spielsucht angehäuft hat, möchte Dragan nicht genau verraten. "Sehr viel!", sagt er zum Schluss, mit einem betrübten Lächeln. (Toumaj Khakpour/Siniša Puktalović, DER STANDARD, 8.10.2013)