"Mei is des liab!" - "Jo eh, oba is des ned a urgefährlich?" Giles Ross übt mit Dreijährigen auf der Prater- Hauptallee das kleine Einmaleins der Standardsituationen des Radfahrens.

Foto: Thomas Rottenberg

Wien - Giles Ross weiß, wie der Dialog abläuft: "Jö! Mei, schau! Na is des liab!", beginnt es, sobald Ross' Gruppe ins Blickfeld von Passanten radelt. Man lächelt und ist entzückt. Bis einer die Stirn in Falten legt und besorgt "oba des is jo urgefährlich!" seufzt, sobald er das Schild an Ross' Rad entdeckt. "Radfahren mit Kindern." Der Alterszusatz: "Ab zweieinhalb."

Davon, Knirpse und Knirpsinnen in Todesgefahr zu stürzen, will der 53-Jährige nichts wissen: "Im Gegenteil", erklärt er, "es geht darum, Gefahren zu vermeiden - durch das Vermitteln von Kompetenz und Bewusstsein: Wenn Kinder nicht wissen, was gefährlich ist, ist Radfahren wirklich gefährlich." Denn Kinder rollern und radeln früh und mit Begeisterung. "Alle Eltern wissen, wie wahnsinnig schnell sie mit so einem Laufrad plötzlich sein können."

Seit zehn Jahren unfallfrei

Um Momente blanken Entsetzens angesichts eines im blödesten Augenblick auf - gefühlt - vierfache Schallgeschwindigkeit beschleunigenden Dreijährigen zu minimieren, radelt der gebürtige Südafrikaner mit Kindergruppen (samt Betreuern). Seit zehn Jahren - und unfallfrei. Einschränkung: "Jedes Kind fällt beim Radfahren mal hin. Das ist blöd, aber normal." Aber "wir hatten in zehn Jahren noch keinen einzigen Verkehrsunfall". Das liege an der Art der Vermittlung: "Kinder nehmen Wissen sofort auf, wenn man ein Abenteuer draus macht."

Übunsrunden auf der Prater-Hauptallee

Natürlich eines mit Sicherheitsnetz: Geübt wird meist auf der Prater-Hauptallee. Auch dort lassen sich "klassische" Situationen üben, bevor es zu längeren Ausflügen geht: "Wenn das 'Leitkind' von selbst an der Kreuzung stehen bleibt, weiß ich: Es klappt."

Freilich genügt da ein eintägiger Kurs nicht: Der ausgebildete Kinderbetreuer übt meist über Monate mit Kindergruppen zusammen - und bildet die Betreuer in der Kunst der Knirps-Rad-Schulung aus. Billig ist das nicht: Rund 1500 Euro pro Pädagoge verlangt Ross.

Was da stutzig macht: Sucht man im Netz Erfahrungen mit Ross, wird man kaum fündig. Sogar auf seiner Homepage stehen bloß drei Referenzen und Bewertungen. Und auch bei der Wiener Fahrradorganisation "Argus" weiß auf Anhieb niemand etwas über die zehn Jahre von Ross Kursen.

Lob der Mitbewerber

Entwarnung - und Lob - kommt dann aber von der Konkurrenz: "Giles ist ein Original, keine Frage. Aber er macht seine Sache super. Es ist toll, wie er auf Kinder eingeht, meint Bernhard Dorfmann. Dorfmann ist Exfahrradbote, Rennrad-Guide - und ausgebildeter Fahrradlehrer. Seine City Cycling School gibt es seit 2010, sie bietet auch "Eltern-Kind-Radfahren" (ab drei Jahren) an: "Eltern müssen meist lernen, eindeutige Anweisungen zu geben, klar die Führungsrolle zu übernehmen und nicht gestresst zu reagieren." Für Kinder sei der Unterschied zwischen "können" und "dürfen" primäres Lernziel: "Wenn die Ampel grün ist, darf ich fahren - aber: Kann ich es auch?"

"Es ist bewundernswert, was Giles tut, aber wir haben einen anderen Fokus", erklärt Robert Fuchs. Seit Frühjahr 2012 strampelt sein "Schulterblick" mit Schulklassen (ab der vierten Schulstufe) durch Wien. Auch Fuchs setzt nicht bloß auf Verkehrskompetenz für Kinder und Ruhe und Gelassenheit für Erwachsene, sondern auch auf die Sichtbarkeit von Kindern auf dem Rad im öffentlichen Raum: "Radfahren wird umso sicherer, je selbstverständlicher Radfahrer sind."

Den Teufelskreis durchbrechen

Schließlich, sind Ross, Dorfmann und Fuchs sich einig, gelte es einen regelrechten Teufelskreis zu durchbrechen: In den Niederlanden radeln 50, in Schweden 20 und in Deutschland immerhin 15 Prozent der Kinder zur Schule. In Österreich sind es elf (Quelle: VCÖ).

Wollen würde zwar jedes dritte Kind - doch die Eltern verbieten es. Viele bringen die Kinder lieber selbst zur Schule. Aus Angst vor dem Autoverkehr - mit dem Auto. (Thomas Rottenberg, DER STANDARD, 3./4.8.2013)