Leiden an sich und für andere: Hermes Phettberg an einem seiner Lieblingsplätze in dem Dokumentarfilm "Der Papst ist kein Jeansboy".

Foto: stadtkino

Wien - Porträtfilme sind Annäherungen an unbekannte Größen. Ihre Glaubwürdigkeit hängt weniger vom Grad der Intimität ab, den sie erreichen, als von ihrer Fähigkeit, das Wesenhafte einer Person zu treffen, eine Lebensart zu verdeutlichen. Der deutsche Autor und Filmemacher Sobo Swobodnik hat sich dahingehend einer besonders schwierigen Herausforderung gestellt, denn sein Protagonist Hermes Phettberg lebt äußerst zurückgezogen. Nach mehreren Schlaganfällen ist der Wiener "Publizist und Elende" (Eigendefinition) zwar motorisch und kommunikativ eingeschränkt, aber gedanklich immer noch wendig.

"Der Papst ist kein Jeansboy" findet für Phettbergs Rückzug in eine von routinierter Langsamkeit geprägte Welt eine stimmige Form. Das Schwarz-Weiß des Videos ist keine unnötige Stilisierung, sondern wirkt mehr wie eine Reduktion oder Schärfung.

Der Gefahr, sein Gegenüber über Gebühr auszustellen, entgeht Swobodnik schon dadurch, dass er den Autor des Falter-Predigtdienstes und eines Gestionsprotokolls (eine Art Tagebuch, das auch getwittert wird) nicht als Sozialfall betrachtet - oder nur in dem Ausmaß, in dem dies Phettberg, der "Mitleidsterrorist" (ein Zitat, dessen Urheberschaft er im Film energisch bestreitet), selbst tut, als Teil einer ästhetisch-existenziellen Selbstbeschau, die durchaus auch Ironie kennt.

Museum seiner selbst

Phettberg sitzt also da, in seiner Wohnung im sechsten Wiener Gemeindebezirk, und führt einen ein Stück weit hinein in seine von Fetischen und Fertiggerichten geprägte Lebens- und Gedankenwelt, bricht dann doch immer wieder die Vorstellung ab, ändert den Kurs, als gäbe es nichts zu enthüllen, zu verlautbaren: "Das ist alles nur ein Museum", sagt er an einer Stelle und meint damit wohl nicht nur die von so vielen Sammlerstücken vollgeräumte Wohnung, sondern auch sich selbst.

Zeit wird in "Der Papst ist kein Jeansboy" zu einer Erfahrung von Subjektivität. Wiederholt begleitet die Kamera Phettbergs mühseliges Vorankommen, ob zu Hause, durchs Stiegenhaus oder im Grätzel - die Ausflüge liefern aber auch Gelegenheiten für den ersehnten Kontakt mit anderen Menschen, Freunden und Sozialhelfern, ohne die sein Leben gar nicht möglich wäre. In diesen Momenten wird auch die Vergangenheit Phettbergs als "Nette Leit Show"-Host oder Selbstgeißelungskünstler Thema. Doch wie analysiert er einmal selbst? Seine Einsamkeit würde zu seiner Bekanntheit eine "sensationelle Diagonale" darstellen.

Swobodnik beweist mit seinem Film einen sicheren Instinkt dafür, Szenen nicht zu lange in eine emotionale Richtung zu forcieren. Oft ist es sein Protagonist selbst, der einen Schnitt erzwingt - etwa, wenn eine Freundin eine Spur zu emphatisch über Vergangenes schwelgt und Phettberg grob mit "Jedes Wort ist erlogen!" dazwischenfährt.

Es ist, als würde der Protagonist dann doch die Hoheit über dieses Porträt einklagen, und der Filmemacher lässt ihn gewähren. Die von Josef Hader behutsam aus dem Off eingesprochenen Passagen aus Phettbergs Texten sind ein weiteres Indiz dafür, dass es Swobodnik um eine eigentümliche Persönlichkeit geht, die zwischen Demut und Freimut changiert. "Der Papst ist kein Jeansboy", bereits 2011 realisiert und mit dem Max-Ophüls-Preis ausgezeichnet, ist ein Porträt, das auch deshalb überzeugt, weil es sich zurückzunehmen vermag. (Dominik Kamalzadeh, DER STANDARD, 4.7.2013)