Ein merkbar gereiftes Paar unterwegs zu einer hitzig verlaufenden Aussprache: Julie Delpy und Ethan Hawke verkörpern in Richard Linklaters "Before Midnight" erneut Celine und Jesse.

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US-Regisseur Richard Linklater kam zur STANDARD-Premiere von "Before Midnight" am Mittwochabend ins Village Cinema nach Wien.

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STANDARD: "Before Midnight" ist ein erwachsener, reiferer, auch dunklerer Film als "Before Sunrise" (1995) und "Before Sunset" (2004) - das kommt wohl mit dem Alter?

Richard Linklater:  Er ist viel stärker im wirklichen Leben verwurzelt. Es geht um kein kurzes, zufälliges Zusammentreffen mehr wie in den beiden anderen Filmen. Jesse und Celine sind mit ihren Kindern auf Urlaub, aber sie tragen jenes Gepäck auf den Schultern, das man im Leben mit den Jahren so anhäuft. Und ja, es gibt da eine ganze Menge an Dingen ...

STANDARD:  Die Leichtigkeit ist also weg. Sind die beiden im richtigen Leben angekommen?

Linklater: Die aufgeweckten 23-Jährigen im Wien von "Before Sunrise" konnten sagen: "Ja, klar, ich kann aus dem Zug aussteigen." Niemand wartet auf dich, du bist ungebunden. Aber man wird älter, und wenn man sich entscheidet, eine Karriere zu verfolgen, dann beginnen die Leute auch auf einen zu warten. "Before Midnight" funktioniert ein wenig wie eine zweite Hochzeitsreise, bei der nicht alles ganz so wird, wie sich die beiden das vorgestellt haben. Für mich ist der Film sehr real - in jedem der drei Filme geht es um eine andere Phase im Leben.

STANDARD:  Sie haben den Film gemeinsam mit Ethan Hawke und Julie Delpy geschrieben. Wie kann man sich das vorstellen?

Linklater: Wir haben uns das gemeinsam ausgedacht und geschrieben. Es gibt nichts in den Filmen, das nicht durch unsere persönlichen Erfahrungen gefiltert wurde. Als wir das Grundmuster hatten, sprachen wir darüber, welche Töne wir treffen wollten. Es sollte besonders ehrlich sein, eine Lebenssituation treffen, die für uns alle eigentlich recht seltsam ist.

STANDARD:  Wie entwickeln Sie die Dialogszenen, die oft sehr lang sind - Sie improvisieren nicht?

Linklater:  Nein, es steht alles genau so im Drehbuch. Das würde nicht funktionieren, wenn man sich einfach so in die Figuren begäbe und verlangte, eine bestimmte Szene zu spielen. Der Film ist wirklich aus dem Standpunkt eines Autors erzählt, alles ist niedergeschrieben und strukturiert. Natürlich überarbeiten wir Szenen, es ist ein sehr schreibbezogener Prozess.

STANDARD:  Wie ist überhaupt die Idee entstanden, aus einem Film eine Reihe zu machen, diese Form eines laufenden Lebensabgleichs?

Linklater:  Es war nie so geplant. Es ist einfach so passiert, dass zwischen dem ersten und zweiten Teil neun Jahre lagen. Diesmal mussten wir uns sehr beeilen, um den Film zu realisieren, weil es andere Projekte gab. Ich sagte, wir könnten es diesen Sommer wieder versuchen, und plötzlich haben wir realisiert, dass wieder neun Jahre vergangen sind. Aber das war nicht vorhersehbar. Nach dem zweiten Film deklariert man sich irgendwie, es gibt ein Versprechen - man will wissen, was weiter passiert. Wir haben uns schon oft gefragt, wie lange das weitergehen könnte - ehrlich gesagt, habe ich keine Ahnung. Ich weiß auch nicht, wie das bei François Truffauts Antoine-Doinel-Zyklus war.

STANDARD:  Wie sind Sie auf den Schauplatz Griechenland gekommen? Das ist ja ein ziemlicher Bruch zu Wien und Paris.

Linklater:  Es war anfangs tatsächlich etwas komisch, nach Griechenland zu gehen. Ich hatte die Idee, mit Jesse und Celine im Paradies zu beginnen. Sie sind am Mittelmeer, haben wunderschöne Kinder, er ist ein erfolgreicher Autor, sie verfolgt ihre Karriere - alles ist auf oberflächliche Weise perfekt, aber dann findet man heraus, dass es nicht so ist. Das Leben ist immer komplexer als deine gegenwärtige Lage. Es ist ein Sommerfilm, der auch etwas Antikes an sich hat. Es geht um Dinge, die es seit tausenden Jahren gibt. Um eine grundlegende menschliche Lage, darum, wer wir sind, wie wir uns verändern, um Verantwortung und Erwartungen - diesen ewigen Kreislauf.

STANDARD:  Die Auseinandersetzungen kreisen stark um die Rollenverteilungen zwischen Mann und Frau. Man gewinnt den Eindruck, jeder der beiden kämpft um seine Freiheiten. Sehen Sie das anders?

Linklater: Ich bin fasziniert davon, wie sich Menschen ihren Raum ausverhandeln. Wie sie mit Verantwortung in ihren Beziehungen umgehen. Darauf versuchen wir aufzubauen. Ethan und ich sind privilegiert: Wir hören viel Kritik. Diese Kritik haben wir an Julie weitergereicht - und Julie konnte über Dinge sprechen, die sie verrückt machen.

STANDARD:  Das hört sich einfach an. Das Resultat ist aber sehr differenziert.

Linklater: Vieles davon ist sehr persönlich. Wenn dich etwas an deinem Freund oder Partner, den du lange kennst, stört, dann musst du damit umgehen - so du ihn nicht verlassen willst. Oft sieht man Paare, die sich ständig übereinander lustig machen. Aber die Hintergründe sind oft sehr real: richtiger Ärger. Ich mag das. Es ist eine klare Ansage, dass man einen bestimmten Teil an jemandem nicht leiden kann. Doch es ist nicht genug, um die Person deswegen zu verlassen.

STANDARD:  "Before Midnight" ist der erste digital gedrehte Teil der Reihe. Wie betrachten Sie denn die Herausforderung der Digitalisierung - ist das eine gute Zeit für unabhängiges Kino?

Linklater: Ja, es ist jedenfalls die beste Zeit, um Filmemacher zu werden. Es gibt eine große Anzahl an Quellen für Do-it-yourself-Ansätze. Am schwierigsten ist es wohl, heute kulturell den Durchbruch zu schaffen - die Möglichkeit zu erhalten, dass der Film auch gesehen wird. Die Ökonomisierung wird immer schlimmer, das finde ich wirklich deprimierend. "Independent" ist ein überstrapazierter Begriff, es gibt so viele Indie-Filme, die keine Vision haben. Das Wort "persönlich" ist mir lieber - es überwindet alle wirtschaftlichen Hürden. (Dominik Kamalzadeh, DER STANDARD, 6.6.2013)