Selbst der Teppich ist in "The Shining" ein Zeichen.

Foto: Gartenbau

Wien - Ein Schriftsteller fährt mit Frau und Kind in ein abgeschiedenes Hotel, um sich dort ungestört seiner Arbeit widmen zu können. Doch anstatt eine neue Geschichte zu ersinnen, verfällt er einer besonders heimtückischen Variante von "writer's block": "All work and no play makes Jack a dull boy" tippt er immer wieder in seine Schreibmaschine. Am Ende rennt der Autor, vom Wahnsinn beherrscht, mit einer Axt durch das winterliche Gartenlabyrinth des Overlook-Hotels.

Wer denkt, dass es sich hierbei um die Essenz von Stanley Kubricks The Shining handelt, hat nur ein Bruchstück des Horrorklassikers erfasst - zumindest wenn es nach Rodney Ashers Dokumentarfilm Room 237 geht, der sich mit den in den Tiefen des Films verborgenen Wahrheiten befasst, die unermüdliche Fans seit dem Entstehungsjahr 1980 geborgen haben. Kaum ein anderer Film hat die Interpretationslust der Zuschauer in einem ähnlichen Ausmaß angefacht.

Die Gründe dafür sind zahlreich, ihren Ursprung haben sie allerdings alle in Kubrick selbst. Der als notorischer Perfektionist bekannte US-Regisseur, lautet die Annahme, legt in The Shining seine Karten nicht offen auf den Tisch. Schon die Wahl von Steven Kings Roman hat damals viele verblüfft, meinte man doch, dass der Mann hinter Filmen wie Dr. Strangelove, 2001 und Barry Lyndon hintersinnigere Motive haben müsse, als sein Publikum mit einem abgründigen Szenario schocken zu wollen.

Ashner geht in Room 237 - der Titel verweist auf das Zimmer, in dem sich die grauenhafte Urszene ereignet hat - allerdings nicht systematisch vor, indem er aus sicherer Instanz plausible und abstrusere Lektüren voneinander unterscheidet. Die Interviewten dürfen ungehemmt ihre Lesarten präsentieren, während Ashner in der Montage seinerseits versucht, diese visuell zu belegen. Dass The Shining von der Macht des Vergangenen in der Gegenwart erzählt, ist schlüssig; doch ob es mit Verweisen auf den Holocaust und den Massenmord an Native Americans weit her ist oder Kubrick sein Zugeständnis, die Mondlandung inszeniert zu haben, gar im Film versteckt hat, darf bezweifelt werden.

Doch um schlüssige Exegese geht es in Room 237 ohnehin nicht. Der Film ist selbst wie ein Labyrinth aus Bildern gebaut, aus dem kein Weg herausführt, wenn man sich einmal auf Sinnsuche begibt. In dieser Hinsicht hat Ashner einen formal zwar räudigen, konzeptuell aber hochinteressanten Film geschaffen, der von der Aneignung eines popkulturellen Hypertextes durch sein Fanpublikum erzählt. Das ist in einer Zeit, in der der Hype um einen Film meist industriell mitgefertigt ist, keine Kleinigkeit. (Dominik Kamalzadeh, DER STANDARD, 5.6.2013)