Elle Fanning (re.) & Alice Englert als "Ginger & Rosa".

Foto: Filmladen

Wien - Beste Freundinnen teilen (fast) alles: Ginger und Rosa, unzertrennlich seit Kindertagen, jetzt sanft rebellische Teenager im grauen London der frühen Sechzigerjahre. Verwehte offene Haarmähnen, die eine zart rot, die andere tiefschwarz. Unterm Dufflecoat der gleiche dicke Strickpullover zu Röhrenjeans, die sie beim gemeinsamen Wannenbad in die richtige Form bringen. Existenzielle Ängste vor Atomkrieg und Weltende, allerhand verwegene Ideen.

Ginger (Elle Fanning) liebt Jazz und Lyrik, Rosa (Alice Englert) ist mehr der romantischen Liebe und den jungen Männern zugeneigt. Während sie nachts in einer dunklen Gasse einem von ihnen körperlich näherkommt, lehnt Ginger wartend für sich allein nebenan. Ein erster, feiner Riss zeichnet sich ab. Beide Mädchen wollen dezidiert nicht in jene (Haus-) Frauenrollen wachsen, die die Generation ihrer Mütter noch ausfüllt. Aber von den Fallen, denen es dabei auszuweichen gilt, hat die zurückhaltendere Ginger mehr Ahnung.

Der Film sieht ihr lange ruhig dabei zu, wie sie ihre kleinen Beobachtungen macht und wortlos Schlüsse daraus zieht. Die Autorin und Regisseurin Sally Potter wurde in den 80er-Jahren mit feministischen Lektüren klassischer Erzähltopoi und -formen bekannt (Thriller; The Gold Diggers). Ihren bis dato größten Erfolg hatte sie mit der opulenten Virginia-Woolf-Adaption Orlando, die sie mit tatkräftiger Unterstützung von Hauptdarstellerin Tilda Swinton 1992 realisieren konnte.

Mit ihrem jüngsten, siebten Kinofilm wendet sich die inzwischen 63-jährige Britin nun einem ganz anderen Genre zu: Ginger & Rosa ist in gewisser Weise ein Jugendfilm, eine Coming-of-Age-Story - klug erzählt in einer ungewöhnlichen Mischung aus spürbarer Empathie und hellsichtiger Schärfe.

Potter entwirft dabei zwar einen klassischen dramatischen Bogen, der buchstäblich in ein großes Finale mündet. Aber das Material ist trotzdem so organisiert, dass nicht alles ausformuliert werden muss, sich Dinge scheinbar sprunghaft entwickeln oder manche Facetten der Charaktere erst allmählich zutage treten.

Das Ensemble um die jugendlichen Heldinnen ist mit Schauspielern besetzt, die die entsprechenden Nuancen beherrschen: etwa Christina Hendricks und Alessandro Nivola als Gingers freigeistige, aber keineswegs von allen Zwängen freie, junge Eltern. Oder Annette Bening, Timothy Spall und Oliver Platt in Nebenrollen.

Ginger & Rosa erinnert auch an politisierte Zeiten: die britische Antiatombewegung und ihre Märsche übers Land. An eine Nachkriegsära mit Raum für Irrwege und Utopien. Einzig die beiden Hauptdarstellerinnen, US-Jungstar Elle Fanning und ihre Kollegin Alice Englert, wirken in diesem Szenario nicht in jedem Moment glaubwürdig und kraftvoll. Insgesamt mag man dieser herbstlich gefärbten, melancholisch gestimmten Reise in vergangene Zeiten und Gefühlslagen aber gerne folgen.  (Isabella Reicher, DER STANDARD, 19.4.2013)