Jeder von uns hat es in der Hand, seine Gesundheit zu beeinflussen, sagt der US-Bestsellerautor David Agus und will Menschen mit medizinischem Wissen aufrüsten. Eine ganze Reihe von guten Tipps liefert er dazu. 

STANDARD: Ihr Buch "Leben ohne Krankheit" hat einen faszinierenden Titel, aber eigentlich ist er falsch. Wie kam es dazu?

Agus: Der Titel war die Idee von Steve Jobs, der mein Patient war. Ich wollte eigentlich "Was ist Gesundheit?" Doch Jobs fand diesen Titel abtörnend. Gesundheit interessiert die Menschen nicht, hat er gesagt, der Titel muss Mut machen, einen hineinziehen.

STANDARD: Das sagte Jobs, als er vermutlich schon sehr krank war?

Agus: Seine Therapie empfand er wie einen Seerosen-Parcours, jedes Seerosenblatt war eine neue Hoffnung, dazwischen, also immer dann, wenn der Krebs wiederkam, empfand er es als ein angstvolles Im-Wasser-Schwimmen. Ganz allgemein denke ich: Unser Blick auf Krankheit ist grundlegend falsch.

STANDARD: Inwiefern?

Agus: Krankheiten kommen nicht von außen, sondern entstehen im System. Ein Patient hat nicht Krebs, sondern er krebst, ein Verb drückt besser aus, was passiert. Krankheiten entstehen aus einem Umfeld heraus. So wie ein Samenkorn einen fruchtbaren Boden findet, muss auch eine Krebszelle ein Umfeld haben, in der sie wachsen kann. Wenn man Krebs und viele andere Erkrankungen bekämpfen will, muss sich also das Umfeld verändern. Das ist eine neue Sicht auf Krankheit.

STANDARD: Wie ist er entstanden?

Agus: Ein Schlüsselerlebnis hatte ich bei der Behandlung einer speziellen Form von Brustkrebs. In einer Studie stellte sich heraus, dass ein Medikamente gegen Osteoporose Brustkrebs aufhalten kann. Das veränderte Umfeld wirkte sich positiv aus. Ich sehe jeden Tag Patienten. Manchen muss ich sagen: "Es tut mir leid, ich habe kein Medikament mehr für Sie." Mir geht es zunehmend um die Vermeidung von Krankheit, das kann jeder beeinflussen.

STANDARD: Eine Ihrer Thesen ist: Stöckelschuhe sind gesundheitsgefährdend. Wie das?

Agus: Es geht um die Vermeidung von Entzündungsprozessen. Stöckelschuhe tun weh, Gewebe ist entzündet. Es ist ein plakatives Beispiel. Es gibt viele Entzündungsquellen. Ich bin überzeugt, dass sie die Wurzel für Krebs, Herzleiden und neurodegenerative Erkrankungen sind. Wer vorhat, lange zu leben, sollte Entzündungsrisikos reduzieren. Das Gute: Es gibt Aspirin. Studien belegen, dass dieses alte Medikament Krebs um 35, Herzleiden um 20 und Schlaganfälle um 17 Prozent reduziert.

STANDARD: Sollte deshalb jeder Aspirin schlucken?

Agus: Es geht nicht um Schwarz oder Weiß. Ich will, dass sich Patienten ihrer Optionen bewusst sind und Ärzte danach fragen. Mein Ziel ist es, eine Diskussion zu starten. Ich kenne das Wertesystem meiner Patienten nicht, Zusammenarbeit ist die Lösung.

STANDARD: Deshalb plädieren Sie auch für die Grippeimpfung?

Agus: Während einer Grippe sind die Entzündungswerte sechs Tage extrem hoch, das Immunsystem ist total beschäftigt, das System übersieht Fehler. Zehn Jahre später entsteht deshalb vielleicht dann Krebs oder eine Herzerkrankungen, die durch eine Impfung hätten vermieden werden können. Wir denken einfach nicht langfristig genug.

STANDARD: Welche anderen Gefahren identifizieren Sie?

Agus: Fast am wichtigsten ist ein regelmäßiger Lebenswandel. Ich sage immer: Esst zur selben Zeit, und zwar echtes Essen mit Nahrungsmitteln, die da, wo ihr wohnt, auch wachsen. Kocht sie selbst. Geht zur selben Zeit ins Bett, schlaft jede Nacht gleich lang.

STANDARD: Schon eher langweilig?

Agus: Unser Körper liebt Regelmäßigkeit, er lechzt danach. Jede Art von Versorgungsunsicherheit löst Stress aus. Viele Menschen, die sich ungesund ernähren, denken, sie könnten Defizite mit Vitaminpräparaten ausgleichen. Auch Fruchtsäfte werden als Vitaminquellen vermarktet. All das sind vollkommen sinnlose Maßnahmen. In der westlichen Gesellschaft gibt es kein Vitaminmangelerkrankungen, wer sich gesund ernährt, muss nichts zusätzlich schlucken. Dasselbe gilt auch für Vitamin-D-Präparate. Sie können, im Gegenteil, sogar eher schaden als nutzen.

STANDARD: Wie erklären Sie diese Substitutionstrends?

Agus: Die meisten Menschen wissen, dass sie ungesund leben, und wollen deshalb eine Art "quick fix". Es ist einfacher, eine Tablette zu schlucken, als zu kochen. Die Menschen achten nicht auf die Signale, die ihr Körper aber ständig sendet, sondern ignorieren sie. Wir haben Studien, die beweisen, dass Bewegung maßgeblich zur Gesundheit beiträgt. Das ist ein Faktum. Einen Tag im Büro zu sitzen ist genauso schädlich wie eine Packung Zigaretten zu rauchen. Die Menschen müssen lernen, dass nicht die Ärzte, sondern sie selbst Verantwortung dafür übernehmen können.

STANDARD: Wir leben in einer ungesunden Gesellschaft. Ist es nicht ungerecht, dem Einzelnen die Verantwortung zuzuschieben?

Agus: Es geht darum, den Menschen Wissen zu vermitteln. Die Menschen recherchieren heute im Internet, nur bei ihrer Gesundheit wollen Sie sich auf die Ärzte verlassen. Jeder Mensch sollte Experte seines Körpers sein.

STANDARD: Und dann?

Agus: Können Patienten stärker eingebunden werden. Es ist nicht schwer, Blutdruck zu messen und ein Tagebuch zu führen, auf dessen Basis viel bessere Entscheidungen getroffen werden können. Ich glaube an Hightech. Es gibt Tools, die messen, wie viel man sich am Tag bewegt. Das motiviert. Auch DNA-Tests können Menschen aufwecken.

STANDARD: Davon raten Ärzte hier aber eher ab.

Agus: DNA-Tests messen Körperparameter, jeder einzelne ist beeinflussbar. Wenn es zusätzlich familiäre Risikos gibt, kann dieses Wissen Lebensstiländerungen erleichtern. Das ist Prävention.

Standard: Was muss sich im Sinne der Prävention noch ändern?

Agus: Es wird viel Geld ausgegeben, um Krankheiten zu verstehen und neue Medikamente zu entwickeln. Ich denke, man muss gar nicht alles verstehen. Es wäre aber sehr wichtig, dass wir Krankheiten früher aufspüren, etwa durch neue Bluttests. Hier wird viel zu wenig entwickelt. Wir sollten auch mehr Daten sammeln, unsere Aufzeichnungsstandards vereinheitlichen, Ergebnisse auswerten und Muster erkennen. Ich glaube an die Macht der Informationstechnologie. Es geht auch darum, dass die Politik Gesundheitsziele definiert und fördert. (Karin Pollack, DER STANDARD, 25.3.2013)