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Schon bei geringen Minustemperaturen verlieren kleine Vögel wie Meisen und Rotkelchen zehn bis 15 Prozent ihres Körpergewichts in nur einer Nacht.

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Ornithologe Peter Berthold plädiert jedoch nicht nur für eine Fütterung im Winter, sondern für eine Ganzjahresfütterung.

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Denn gerade im Sommer brauchen Vögel viel Energie, um die langen Flüge für die Suche nach den immer seltener werdenden Insekten zu überstehen.

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Und nur ein gut genährtes Vogelweibchen legt Eier von hoher Qualität: Das begünstigt die Überlebenschancen der Jungtiere.

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Bei einem Thema wird es heikel unter Vogelfreunden: Die Ganzjahresfütterung. Die eine Partei spricht von falsch verstandener Tierliebe, denn vom Füttern würden nur Tauben und Ratten profitieren. Das zusätzliche Angebot an Nahrung sei zudem ein massiver Eingriff in die Natur, wo schließlich nur die stärksten Tiere überleben sollen. Der bekannteste Ornithologe Deutschlands, Peter Berthold, widerspricht dem vehement. In seinem Buch "Vögel füttern, aber richtig", das er gemeinsam mit seiner Ehefrau Gabriele Mohr geschrieben hat, plädiert er schlüssig für die Ganzjahresfütterung.

"Das ist keine sentimentale Piepmatzologie", sagt Berthold im Gespräch mit derStandard.at. Um zu erklären, warum er dieser Meinung ist, holt der Vogelexperte weiter aus. Im Mittelalter wurden die Wälder aufgerissen und Mosaiklandschaften geschaffen, die mehr Raum für Wildkräuter, deren Samen und Insekten boten. Der Mensch habe die hungrigen Vögel also an einen reich gedeckten Tisch eingeladen. Ab 1800 wurden jedoch zunehmend Monokulturen geschaffen, wodurch den neu angesiedelten Tieren wieder die Nahrung weggenommen wurde.

Die große chemische Keule

Berthold nennt Zahlen: Noch vor 60 Jahren haben Wildpflanzen allein in Deutschland eine Million Tonnen Samen produziert. Doch der menschliche Perfektionswahn machte auch vor der Natur keinen Halt. "Dann kam die große chemische Keule", sagt der Vogelexperte. Die Monokulturen wurden mit Herbiziden und Pestiziden "sauber" gehalten. Mit zunehmendem Rückgang der traditionellen Landwirtschaft ab den 1950er Jahren reduzierten sich alle Vogelbestände merklich.

Kurzgeschorene "Psychopathenrasen"

Doch auch Rasenflächen in Gärten werden mittlerweile von vielen Menschen geradezu klinisch rein gehalten: Das sogenannte Unkraut ist unerwünscht. "Psychopathenrasen", nennt Berthold dieses kurzgeschorene Gras. Gleichzeitig werden in Hausgärten wenige Pflanzenarten angesiedelt, die den Singvögeln Nahrung bieten können.

Bis zu 70 Prozent der Masse an Insekten verschwunden

Früher wurden die Wildpflanzen von einer eigenen Insektenfauna begleitet. Mit dem Reichtum der Pflanzenarten verschwanden daher auch die Insekten. Circa 50 bis 70 Prozent der Insektenbiomasse sei seit den 60er-Jahren verloren gegangen, sagt Berthold - und das sei auch für Laien zu beobachten: "Menschen aus meiner Generation können sich erinnern, dass nach einer Autofahrt im Sommer das Putzen der Windschutzscheibe wichtiger war als das Tanken." Unzählige tote Insekten versperrten die freie Sicht auf die Straße.

Viele Singvogelarten schon ausgestorben

Bereits vor 51 Jahren hat die US-Biologin Rachel Carson in "Stummer Frühling" die dramatischen Auswirkungen des Einsatzes von Pestiziden und Herbiziden beschrieben. Ein Umdenken gab es seither freilich nicht. Im Gegenteil: 66 Prozent aller Feldvogelarten gelten in Deutschland als bedroht. Seit zwei Jahren steht sogar der als Spatz bekannte Haussperling auf der "Vorwarnliste" der Roten Liste bedrohter Tierarten.

Die Vogelwarte Radolfzell am Bodensee des Max-Planck-Instituts für Ornithologie, wo Berthold tätig ist, liefert genaue Zahlen: Von ehemals 110 Brutvogelarten sind schon 35 Prozent verschwunden oder brüten nur noch unregelmäßig. Der Bestand von weiteren 20 Prozent nimmt ab.

Schnell ausgebrannt und tot

Besonders im Winter sei die Fütterung durch den Menschen lebensnotwendig, berichtet der Wissenschafter: Schon bei geringen Minustemperaturen würden kleine Vögel wie zum Beispiel Meisen oder Rotkelchen zehn bis 15 Prozent ihres Körpergewichts in nur einer Nacht verlieren. Gleich ein bis zwei Stunden nach Tagesanbruch müssten sie daher ausreichend Futter finden. Denn sonst würden sie es nicht schaffen, die nötige Energie rechtzeitig wieder aufzunehmen: "Sie brennen dann innerhalb von zwei bis drei Nächten aus."

Auch im Sommer Füttern

Vogelfüttern habe aber auch in der wärmeren Zeit des Jahres seine Berechtigung, meint Berthold: Singvögel brüten dadurch früher und legen mehr Eier in besserer Qualität: Denn nur wenn ein Vogelweibchen gut genährt zur Fortpflanzung schreitet, kann der Körper Eier von guter Qualität produzieren. Dadurch steigen die Überlebenschancen der Jungtiere.

Keine fette Wohlstandsmeise

Singvögel werden trotz Ganzjahresfütterung nicht zu fetten Wohlstandstieren, sagt der Ornithologe: Zahlreiche Untersuchungen hätten gezeigt, dass Singvögel das Futter lediglich als Ergänzung verwerten. Die Vögel benötigen im Sommer noch mehr Energie, um die weiten Flüge für die Suche nach den seltener gewordenen Insekten zu bewältigen. Denn den Jungvögeln werden weiterhin ausschließlich Insekten gefüttert. Singvögel verlernen es also nicht, selbstständig in der Natur ihr Futter zu sammeln.

Politikum Vogelfütterung

Warum einige Tier- und Naturschutzorganisationen der Ganzjahresfütterung so ablehnend gegenüberstehen, erklärt sich der Ornithologe durch finanzielle Interessen. In den Naturschutzverbänden würden immer mehr hauptberufliche Mitarbeiter beschäftigt, die versorgt werden müssen. Vogelfüttern und Nistkästen seien relativ teuer, kritisiert er: "Eine gute Gelegenheit, Geld zu sparen." (Julia Schilly, derStandard.at, 6.2.2013)