Mit der Surrogatpartnerin zum ersehnten sexuellen Höhepunkt: Helen Hunt und John Hawkes finden in Ben Lewins "The Sessions" Gefallen an der Therapiesitzung.

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Wien - Ein Film, in dessen Mittelpunkt der Wunsch eines körperbehinderten Mannes nach Sex steht - da denkt man an bemühtes, themenorientiertes Minderheitenkino, vielleicht sogar an Exploitation, bei der das entsprechende Szenario besonders schrill ausfällt. The Sessions, inszeniert von Ben Lewin, ist jedoch weder das eine noch das andere. Zuallererst ist dies ein Film über einen ungewöhnlichen Mann, der einer Sehnsucht nachgeht, von der er sich die längste Zeit seines Lebens noch nicht einmal richtig einen Begriff machen konnte.

Mark O'Brien, das reale, 1999 verstorbene Vorbild der Filmfigur, war als Kind an Polio erkrankt und seitdem nur mithilfe einer eisernen Lunge überlebensfähig. Über einen wachen, kritischen Geist in einem unbeweglichen Körper verfügend, lernte er mit einem Mundstück zu schreiben und veröffentlichte neben Lyrik auch journalistische Texte.

Einer seiner bekanntesten ist On Seeing a Sex Surrogate, in dem er beschreibt, wie er mithilfe einer sogenannten Surrogatpartnerin seine Sexualität entdeckt - bis er 38 Jahre alt wurde, hatte es O'Brien noch nie getan.

Lewin hat diese Geschichte nun als Spielfilm adaptiert und dafür zwei Darsteller gefunden, die ihrer Aufgabe mit einem Pragmatismus nachgehen, der ihrer Begegnung ein wenig die Beklemmung nehmen soll. John Hawkes, den man vor allem in sinistren Rollen wie etwa im Independent-Filmerfolg Martha Marcy May Marlene kennt, verkörpert O'Brien als ebenso schlagfertigen wie sensiblen Mann; angenehm zurückhaltend ergreift er die Initiative und verzichtet auf jenes preisverdächtige Overacting, das mit solchen Parts schnell einmal einhergeht.

Helen Hunt spielt die Therapeutin, die ihm seinen Körper näherbringt: eine Darbietung, welche die US-Schauspielerin, die in diesem Jahr 50 wird, mit gelassener Offenheit angeht. Der ein wenig hemdsärmelige Stil, in dem sie diese Cheryl ihre Arbeit tun lässt, sucht wohl auch den Kontrast zur Intimität der Situation - ihre Ausdrucksweise ist weniger sinnlich als an der Rhetorik von Motivationsseminaren orientiert.

Umgekehrt bleibt Lewin bei der Darstellung des Aktes schamhaft darum bemüht, nicht zu viel Nacktheit zu präsentieren. Dafür zeigt er die Missgeschicke, Verrenkungen und kleineren Holprigkeiten.

Die Komik, die er dem Film damit verabreicht, rettet ihn davor, insgesamt zu lieblich-adrett zu wirken. Denn schlechte Tage, die es im Leben des Mark O'Brien auch gegeben haben muss, kommen in The Sessions nicht vor. Lewin stellt dem gottesfürchtigen Helden einen Priester (etwas ungelenk: William H. Macy) zur Seite, der ihm auch in heikleren Angelegenheiten Gehör schenkt. Und dass zwischen Cheryl und Mark schließlich auch noch mehr als Sex im Spiel ist, wurde dazuerfunden - ohne Gefühle darf's halt nicht sein. (Dominik Kamalzadeh, DER STANDARD, 5./6.1.2913)