Er ist das, was man in der Welt der Parfums eine "Nase" nennt. Genauso wie sein Vater, sein Bruder und seine Tochter übt Jean-Claude Ellena den Beruf des Parfumeurs aus.

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Jean-Claude Ellena ist einer der weltweit bekanntesten Parfümeure. Er wurde 1947 in Grasse geboren, wo er auch heute noch lebt. Er kreierte erfolgreiche Parfums für Bulgari, Van Cleef & Arpels und Frédéric Malle. Seit 2004 arbeitet er ausschließlich für Hermès, wo er Düfte wie Terre d'Hermès oder Voyage d'Hermès kreierte. Von Ellena sind gerade zwei empfehlenswerte Bücher auf Deutsch erschienen: "Parfum - Ein Führer durch die Welt der Düfte" (C.H. Beck)...

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...und "Der geträumte Duft - Aus dem Leben eines Parfümeurs" (Insel).

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STANDARD: Sie arbeiten seit Ihrem 17. Lebensjahr in der Parfumindustrie. Heute sind Sie 65. War das Gewerbe damals viel anders, als es heute ist?

Jean-Claude Ellena: Eigentlich nicht. Ich habe als Hilfskraft angefangen, meine Arbeit war damals, Blüten, Holz oder Gewürze zu destillieren und die Maschinen zu reinigen.

STANDARD: Und das wird heute noch auf dieselbe Art gemacht?

Ellena: Ja, das Handwerk selbst hat sich in den vergangenen 50 Jahren nicht großartig verändert. Als ich anfing, waren die Maschinen alt, heute sind sie neu. Es sind aber immer noch die selbst Maschinen.

STANDARD: Das Umfeld hat sich aber komplett verändert, oder?

Ellena: Heute gibt es so viele Parfums wie noch nie. Und jedes Jahr werden es mehr. Jeder in der Branche findet, dass es zu viele sind, aber niemand traut sich, sich selbst zu beschränken. Es ist ein richtig dummer Wettkampf.

STANDARD: Bedeuten viele Parfums auch ein Mehr an spannenden Düften? Oder gibt es einfach nur ein Mehr am Immergleichen?

Ellena: Nein, es gibt eine riesige Anzahl unterschiedlicher Qualitäten, die Schwierigkeit des Konsumenten besteht darin, den richtigen Duft für sich selbst zu finden. Niemand hat die Zeit, sich durch das komplette Angebot zu riechen.

STANDARD: Riechen die heutigen Parfums eigentlich komplett anders als jene in Ihrer Jugend?

Ellena: Absolut. Es ist ein bisschen so wie mit der damaligen Küche. 1970, als ich anfing, war die französische Küche sehr schwer, fettig, sehr kompliziert. Heute ist sie leicht und relativ einfach zu verstehen. Genau so ist es mit Parfums.

STANDARD: Das heißt, Ihr Ziel ist heute, so einfache Düfte wie möglich zu kreieren?

Ellena: Ja, aber einfach bedeutet nicht simpel. Einfachheit hat mit einer größeren Ästhetik zu tun, einer größeren Reinheit, einer größeren Intellektualität.

STANDARD: Heute gibt es eine wesentlich größere Anzahl an Inhaltsstoffen, die einem Parfümeur zur Verfügung stehen. Macht das seine Arbeit einfacher?

Ellena: Im Gegenteil. Die Frage, was wichtig ist und was man weglassen kann, ist heute komplexer. Die Schwierigkeit besteht darin, eine Wahl zu treffen. Ich selbst verwende zum Beispiel nur sehr wenige Produkte, die es am Markt gibt. Weniger ist eindeutig mehr.

STANDARD: In den 1960er-Jahren kannte man gerade einmal 20 Inhaltstoffe einer Rose, heute sind es über 400. Wie weiß man da, welche wirklich wichtig sind?

Ellena: Ich kann Ihnen das genau sagen: Es gibt ein Molekül, das heißt Damaskol. Es kommt in Rosen vor und hat einen wesentlich intensiveren Geruch als Geraniol, das gemeinhin als typischer Rosenduft gilt und von vielen Parfümeuren auch als solcher verwendet wird. Aufgrund langjähriger Erfahrung weiß ich aber, dass ich mit Damaskol wesentlich bessere Ergebnisse erzielen kann. Es kommt in Rosen allerdings in wesentlich geringerer Konzentration vor.

STANDARD: Sehen Sie die Parfümerie als Wissenschaft, als Handwerk oder als Kunst?

Ellena: Für mich ist sie eine Kunst. Das ist so wie mit Farben. Die Chemie liefert die Farben, aber der Maler weiß, wie man sie einsetzt. In der Parfümerie ist es genauso: Die Wissenschaft liefert uns die Produkte, der Parfümeur weiß, wie er sie verwendet.

STANDARD: Sie haben schon öfters gesagt, dass Sie in Ihrer Arbeit Schönheit suchen. Manche Parfümeure wie zum Beispiel jene, die für die Comme-des-Garçons-Düfte verantwortlich zeichnen, experimentieren mit Inhaltsstoffen wie Teer oder Fäkalstoffen. Ihre Sache ist das nicht, oder?

Ellena: Das würde ich so nicht sagen. Man sollte aber nicht vergessen, dass der Zweck eines Parfums ist, dass man es auch verwendet. Und das macht man nur, wenn man den Geruch mag. Es ist so wie in der Mode: Man kann alles tragen, aber man möchte wahrscheinlich nicht, dass Menschen sich verwundert nach einem umdrehen.

STANDARD: Gehen Düfte eigentlich nach der Mode?

Ellena: Mode und Parfums schließen manchmal Zweckgemeinschaften, grundsätzlich sind sie aber zwei unterschiedliche Dinge. Ein Parfum kann sich auf dem Markt für zehn, 20, auch 30 Jahre halten. Ein Parfum ist wesentlich zeitunabhängiger als Mode.

STANDARD: Dennoch gibt es wenige alte Parfums, die sich am Markt gehalten haben ...

Ellena: Wenn wir uns die fünf bestverkauften Parfums anschauen, dann befinden sich darunter zwei sehr betagte Parfums: Chanel Nr. 5 und Shalimar.

STANDARD: Riechen diese Parfums überhaupt noch so, wie sie in den 1920er-Jahren gerochen haben, als sie kreiert wurden? Werden sie nicht dem jeweiligen Zeitgeschmack angepasst?

Ellena: Nein, es gibt nur minimale Unterschiede, und die haben den Grund in unterschiedlichen Gesetzeslagen. Es gibt immer wieder Verbote verschiedener Produkte, der Parfümeur muss dann andere Inhaltsstoffe finden, die aber genau so riechen. In Shalimar zum Beispiel haben wir die Bergamotte, eine Frucht aus Kalabrien. 1921 hat man Bergamottenöl verwendet, das phototoxisch war. Heute verwenden wir eines, das das nicht ist. Die zwei Öle sind zwar nicht dieselben, riechen aber beinahe gleich.

STANDARD: Wenn Sie ein neues Parfum kreieren, orientieren Sie sich dann an den großen Klassikern oder an der Konkurrenz, die derzeit auf dem Markt ist?

Ellena: Ich habe keinen komparativen Ansatz. Ich versuche den Markt komplett außen vor zu lassen und mich mit dem zu beschäftigen, was ich interessant finde. Das Wichtigste ist, dass ein Duft mir gefällt. Wenn man dem Markt hinterherhechelt, kommt man immer zu spät. Mein Anspruch ist es, selbst einen Trend zu kreieren. Was ich aber schon einsetze, sind einige Klassiker, die ich in meinem Labor griffbereit habe. Parfums, die für mich ein Ideal wiedergeben.

STANDARD: Welche sind das?

Ellena: Diorissimo zum Beispiel, L'Heure Bleue, Chanel Nr. 5, Mitsouko, Bois de Îles von Chanel. Es sind nur einige wenige. Wobei es mir gar nicht so sehr um den Geruch geht, sondern darum, ein Parfum zu kreieren in einer ähnlichen Qualität.

STANDARD: Gibt es Gerüche in der Natur, die Sie als perfekt ansehen?

Ellena: Nein.

STANDARD: Wie das?

Ellena: Parfums sind das Resultat eines intellektuellen Prozesses. Gerüche in der Natur sind das nicht. Die Natur funktioniert nach dem Prinzip "trial and error". Da geht es nicht um Geruchserlebnisse, es gibt Gerüche, die gut riechen, aber keine, die schön sind. Schönheit ist für mich das Resultat eines menschlichen Komposition.

STANDARD: Sie arbeiten sowohl mit chemischen als auch natürlichen Produkten. Ich habe aber den Eindruck, dass sie chemische bevorzugen. Korrekt?

Ellena: Das würde ich nicht unterschreiben. Viele Menschen glauben aber, chemische Produkte sind per se schlecht. Vielleicht spreche ich deswegen öfters über chemische als natürliche Produkte. Ohne Chemie gibt es nämlich keine guten Parfums. In unserer heutigen Political Correctness will das aber niemand hören.

STANDARD: Gibt es kein rein natürliches Parfum, das Sie gut finden?

Ellena: Nein, es gibt keines.

STANDARD: Warum ist es so schwierig, eines herzustellen?

Ellena: Das ist nicht der Punkt. Erstens: Es gibt prinzipiell wenige natürliche Produkte, die man in der Parfümerie einsetzen kann. Wahrscheinlich gibt es nicht mehr als 50, von denen viele auch noch sehr ähnliche Eigenschaften haben. Zweitens: Mischt man nur natürliche Produkte, dann ist das Resultat langweilig, es fehlt ein bestimmter Ausdruck. Ich habe es oft versucht, aber eine wirkliche Identität habe ich nur mit natürlichen Stoffen nie zusammengebracht.

STANDARD: Apropos Identität: In einem Ihrer Bücher schreiben Sie, dass man zwei verschiedene Duftkulturen unterscheiden kann: eine angelsächsische und eine romanische. Was ist der Unterschied?

Ellena: Das hat mit Religion zu tun, mit dem Unterschied zwischen Protestanten und Katholiken. Parfum ist ein Luxusprodukt, im Umgang damit unterscheiden sich Protestanten und Katholiken maßgeblich. Für Protestanten müssen Luxusprodukte einen bestimmten funktionalen Zweck erfüllen, bei Katholiken ist das nicht so.

STANDARD: Was ist ein protestantisches Parfum?

Ellena: Calvin Kleins CK One zum Beispiel. In den USA und in Deutschland verkaufen sich Parfums wie CK One immer noch gut, in Frankreich und Italien nicht.

STANDARD: Sie selbst sind Katholik. Verkaufen sich Ihre Düfte also besser in katholischen Ländern?

Ellena: Sie dürfen nicht vergessen, dass Hermès protestantisch ist.

STANDARD: Das bedeutet?

Ellena: Dass ein Duft von Hermès die protestantische und katholische Tradition aussöhnt (lacht).

(Stephan Hilpold, Rondo, DER STANDARD, 19.10.2012)