Bad Hofgastein/Brüssel/Athen - Die Folgen des Sparkurses, mit dem viele europäische Länder auch im Gesundheitsbereich auf die Wirtschafts- und Finanzkrise reagiert haben, dürften vielfach unterschätzt worden sein. Die teilweise beträchtlich gestutzten Budgets haben in manchen Staaten zu einem Anstieg bei Selbstmorden und psychischen Erkrankungen geführt, berichtete am Donnerstag Martin McKee von der London School of Hygiene and Tropical Medicine beim European Health Forum Gastein (EHFG). Die langfristigen Folgen der Krise auf die individuelle Gesundheit, ließen sich dabei noch gar nicht abschätzen.

In Griechenland ist die Zahl der Suizide zwischen 2007 und 2009 um 17 Prozent und von 2009 auf 2010 um kolportierte 25 Prozent gestiegen. Für die erste Jahreshälfte 2011 berichtete das griechische Gesundheitsministerium gar von einem Anstieg um 40 Prozent gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahrs. "Studien belegen dabei einen direkten Zusammenhang zwischen Arbeitslosen- und Suizidrate", so McKee.

Doppelter Selbstbehalt in Portugal

Doch nicht nur die Suizidrate lässt die Alarmglocken schrillen: In Griechenland stieg die Zahl der Aufnahmen in öffentlichen Krankenhäusern von 2009 auf 2010 um 24 Prozent an. Die Rate der HIV-Neuinfektionen stieg von 2010 auf 2011 um 52 Prozent - unter anderem eine Folge des 20-prozentigen Anstiegs bei der Zahl heroinabhängiger Personen.

Doch das Land steht mit diesen Folgen keineswegs alleine da: "In Spanien suchen inzwischen deutlich mehr Menschen wegen psychischer Probleme einen Arzt auf, als vor der Krise", berichtete McKee. In Portugal wurden die Selbstbehalte, die Patienten für den Besuch einer Notfallambulanz bezahlen müssen, auf 20 Euro verdoppelt. Erste Berichte deuten darauf hin, dass aufgrund dieser Maßnahmen Anfang 2012 die Todesfälle angestiegen sind. Auch in Italien wurde zuletzt eine Kostenbeteiligungen für Besuch von Facharztordinationen oder Notaufnahmen eingeführt.

Kein Nachweis für Nutzen

"Sicher waren manche dieser Einsparungen durchaus sinnvoll. Doch in vielen Fällen gibt es keinerlei Nachweis für einen Nutzen", betonte McKee. "Die gesamten Folgen der vielfältigen Einschnitte im Gesundheitssystem sind noch kaum absehbar." Die Politiker hätten in Panik auf die Krise reagiert und keine Lehren aus vergangenen Krisen gezogen. McKee kritisiert dabei vor allem das Schweigen der Gesundheitspolitik zu den menschlichen Folgen der Sparmaßnahmen. "Die europäischen Institutionen, allen voran die Kommission, haben die Verpflichtung, auch die Auswirkungen solcher Maßnahmen auf die Gesundheit der Menschen zu evaluieren. Die EU-Troika hat sich dem Thema bisher aber nicht gewidmet."

McKee fordert darum Maßnahmen, etwa eine gezielte Förderung von kleinen und mittleren Unternehmen als wesentliche Träger einer wirtschaftlichen Stabilisierung. Außerdem soll mehr Geld in die Gesundheitssysteme fließen: "Das ist nicht nur im Sinne einer besseren Gesundheitsversorgung. Investitionen in den Bereich Gesundheit setzen auch Wachstumsimpulse." Außerdem sollten sich Gesundheitsexperten verstärkt in die Diskussion einbringen.

So habe sich Island in einem Referendum klar gegen den Sparkurs entschieden und stehe nun wirtschaftlich besser da als die meisten Staaten, die ihre Budgets massiv beschnitten haben, sagte McKee. "Auch die USA, die zur Abfederung der Krisenfolgen wirtschaftliche Stimuli setzten, haben sich heute von der Krise besser erholt als jene europäischen Länder, die auf einen harten Sparkurs setzen." (APA, 4.10.2012)