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Die namibische Wüste ist der Standort des neuen Teleskops, an dem auch Österreich beteiligt ist.

Foto: APA/H.E.S.S. COLLABORATION, FRIKKIE VAN GREUNEN

Windhuk/Wien/Innsbruck - Mit H.E.S.S. II wird diesen Freitag in Namibia das weltgrößte Gammastrahlen-Teleskop offiziell eröffnet. An dem von einem internationalen Konsortium betriebenen Gerät ist auch Österreich beteiligt. Mit dem 28-Meter-Spiegel von H.E.S.S. II werden Teilchenschauer in der Atmosphäre beobachtet, die von kosmischen Gammastrahlen verursacht werden. Diese stammen von extremen Ereignissen bzw. Bedingungen, "den wildesten und unverstandensten Mechanismen" in der Tiefe des Universums, wie der Innsbrucker Astrophysiker Olaf Reimer betonte.

H.E.S.S. steht für "High Energy Stereoscopic System", ist zugleich aber auch eine Hommage an den österreichischen Physiker Victor Franz Hess (1883-1964), der vor 100 Jahren, am 7. August 1912, die Kosmische Strahlung entdeckt und 1936 dafür den Nobelpreis erhalten hat. Die erste Phase von H.E.S.S. mit vier Teleskopen startete 2002. In der nun beginnenden zweiten Phase ist das viel größere fünfte Teleskop H.E.S.S. II deutlich sensitiver - auch für niedrigere Energien.

Die Tscherenkow-Strahlung

Aus den Tiefen des Weltraums trifft ein steter Strom von Teilchen auf die Erdatmosphäre. Nachweisen kann man diese Kosmische Strahlung auf der Erdoberfläche nur durch die sogenannte Sekundärstrahlung. Diese entsteht, wenn das Primärteilchen bereits in großen Höhen mit Luftmolekülen kollidiert und dabei unzählige neue Teilchen erzeugt. Die meisten davon sind instabil und zerfallen binnen kürzester Zeit in viele weitere Teilchen. Auf der Erdoberfläche selbst sind vor allem Photonen in Form der sogenannten Tscherenkow-Strahlung, Elektronen, Myonen und Neutrinos nachzuweisen.

Die H.E.S.S.-Teleskope beobachten nur das Tscherenkow-Licht, schwache bläuliche, extrem kurze Lichtblitze, die für das menschliche Auge unsichtbar bleiben. Die für H.E.S.S. II entwickelte Kamera kann diese sehr schwachen Blitze mit einer "Belichtungszeit" von einigen Milliardstel Sekunden aufnehmen, eine Million Mal schneller als eine herkömmliche Kamera. Die Kamera hat die Fläche eines Garagentors, wiegt drei Tonnen und ist in 36 Meter Abstand vom Spiegel montiert, dessen 875 Einzelteile eine Fläche von zwei Tennisplätzen haben. Trotz seiner Größe kann das 600 Tonnen schwere Teleskop doppelt so schnell wie die bisherigen Geräte schwenken, um auf Phänomene wie etwa Gammastrahlenausbrüche am Himmel schnell reagieren zu können.

Herkunft unklar

"Aus der Charakteristik des Teilchen-Schauers und dem damit verbundenen Tscherenkow-Licht rekonstruieren wir Ankunftsrichtung und Energie des Teilchens und dessen Art, also ob es sich um ein Gamma-Teilchen, Elektron oder Proton gehandelt hat und woher es gekommen ist", sagte Reimer. Dabei können die vier alten, erst kürzlich mit einer neuen Spiegelbeschichtung aufgefrischten Teleskope und das neue H.E.S.S. II auch gemeinsam auf ein Ziel gerichtet werden, um "die bestmögliche Empfindlichkeit zu erreichen und den größtmöglichen Energiebereich abdecken zu können".

Auch 100 Jahre nach Entdeckung der Kosmischen Strahlung ist deren Herkunft noch nicht sehr gut verstanden. Das liegt daran, dass der Großteil des Teilchen-Bombardements aus geladenen Partikeln besteht, die auf ihrem Weg durch das Universum vielfach abgelenkt werden und daher bei ihrer Ankunft auf der Erde nichts mehr über ihre Herkunft verraten. Dagegen rasen ungeladene Teilchen wie Neutrinos oder die Quanten der Gammastrahlung geradlinig zur Erde und erlauben damit Rückschlüsse auf ihre Quelle.

Neue Gammaquellen harren der Entdeckung

Das Teleskop erkundet den Gammastrahlen-Himmel bei Energien im Bereich von einigen zehn Gigaelektronenvolt (GeV). Damit kann erstmals eine Lücke im elektromagnetischen Spektrum geschlossen werden, die bisher weder durch erdgebundene Instrumente noch durch Satelliten beobachtet werden konnte. Zudem kann eine Quelle mit zwei gänzlich unterschiedlichen Techniken beobachtet werden, einerseits durch das Fermi-Weltraumteleskop, das die Gammastrahlung direkt misst, andererseits durch H.E.S.S. II, welches das Tscherenkow-Licht detektiert. "Wir gewinnen dadurch an Präzision, von der wir bisher nur in Simulationen geträumt haben", so Reimer.

H.E.S.S. beobachtet Prozesse am energiereichsten Ende des elektromagnetischen Spektrums, "Teilchenbeschleunigungen mit Energien, wie sie nicht einmal am europäischen Kernforschungszentrum CERN erreicht werden", so Reimer. Derart beschleunigt können Teilchen nach den bisherigen Annahmen nur von supermassiven Schwarzen Löchern, bestimmten Doppelsternsystemen, Pulsaren, Galaxienhaufen, Supernova- oder Gammastrahlenausbrüchen werden. Mittlerweile kennt man rund 150 derartiger kosmische Gammaquellen, H.E.S.S. II soll helfen, die Vorgänge in diesen Objekten detailliert zu erforschen. Der Astrophysiker erwartet zudem die Entdeckung vieler neuer Quellen und möglicherweise auch bisher unbekannte Klassen.

Wie Österreich zum Projekt stieß

Möglich wurde die Beteiligung Österreichs an H.E.S.S. durch die Berufung Reimers an die Universität Innsbruck im Jahr 2009. Bis dahin sei Österreich eines der wenigen europäischen Länder gewesen, wo es praktisch keine Forschung zur Kosmischen Strahlung und Astroteilchenphysik gegeben habe, sagte Reimer. Von der Universität Stanford kommend hat der gebürtige Deutsche in Österreich die Chance gesehen, "hier etwas aufzubauen, ohne sich in eine gemachte Landschaft zu setzen", so Reimer, der zu seiner Berufung quasi als Morgengabe Österreich seine bisherige Beteiligung an H.E.S.S. mitgebracht hat. Die Eintrittsgebühr zur Nutzung der bestehenden Infrastruktur wurde von der Universität Innsbruck im Rahmen der Berufung abgedeckt.

Mit dem neuen Großteleskop H.E.S.S. II ist Österreich nun voll in das zwölf Länder umfassende Konsortium eingebunden. Mit Phase II werden die Projektkosten wie bei anderen Beteiligungen an internationalen Großforschungsinfrastrukuren vom Wissenschaftsministerium übernommen. Die Beteiligung sei deshalb so wichtig für die österreichische Astroteilchenphysik, weil H.E.S.S. kein offenes Observatorium, sondern eine internationale Kooperation von Institutionen und Universitäten ist, so Reimer. So ist auch Reimers Gruppe in Innsbruck am laufenden Schichtbetrieb der Teleskope in Namibia aktiv beteiligt. Im Gegenzug erhalten alle Beteiligten - rund 160 Wissenschafter - gleichberechtigten Zugang zu den Experimentdaten.

Für den noch tieferen Blick in den Weltraum im Gammalicht wird bereits am Nachfolge-Projekt CTA, dem "Cherenkov Telescope Array", gearbeitet. Reimer rechnet für CTA, bei entsprechender internationaler Kooperation, mit einem Baubeginn etwa 2014 und einer Inbetriebnahme 2018, wobei derzeit noch mehrere Standortvorschläge zur Auswahl stehen. (APA/red, derStandard.at, 26. 9. 2012)