Die jungen Bäume kommen mit sechs Jahren in die städtische Baumschule, drei Jahre später können sie ausgesetzt werden.

Foto: Robert Newald

Wien - Wenn Rainer Weisgram das Wort "Baummord" ausspricht, ist ihm anzusehen, wie unangenehm ihm das im Zusammenhang mit den Bäumen an der Ringstraße ist. Denn darum handle es sich bei den 77 Bäumen keinesfalls, betonte der Direktor der Wiener Stadtgärten am Donnerstag in einem Pressegespräch. Die Spitzahorne und Linden würden "verjüngt", sprich alte, morsche Bäume durch junge ersetzt.

Ursula Stenzel, VP-Bezirksvorsteherin der Inneren Stadt, hatte in der Vorwoche in einem Gastkommentar im STANDARD die argumentative Axt ausgepackt und den Grünen vorgeworfen, sie würden mehr als 90 Bäume für einen "zweiten Luxusradweg" am Ring opfern. Natürlich sei es Aufgabe des Stadtgartenamts, so Stenzel, alte Bäumen zu entfernen und durch junge zu ersetzen, bevor morsche Äste "Menschen erschlagen können" - das sei nach ihrem Dafürhalten auch kein Baummord, sondern vorsorgende Aufgabe der Stadt.

Eben, befand Weisgram am Donnerstag, um nichts anderes handle es sich. Kein einziger der 2500 Bäume entlang der Ringstraße würde verschwinden. "Es muss sich bei der Frau Bezirksvorsteherin um ein Missverständnis gehandelt haben", sagt Weisgram. Ein Missverständnis, das man bei der nächsten Sitzung des Umweltausschusses im ersten Bezirk gerne aus dem Weg zu räumen helfe. Mit dem Ring-Radweg hätten die Maßnahmen jedenfalls nichts zu tun. Beim Kunsthistorischen Museum würden für den Radweg drei Bäume um ein paar Meter versetzt.

"Straßenbäume sind Extremisten"

"Straßenbäume sind Extremisten", sagt Weisgram. Sie sind Abgasen, Hitze und Trockenheit ausgesetzt und werden daher oft nur halb so alt wie ihre Artgenossen in den Parks - nach 30 bis 40 Jahren müssen Straßenbäume ausgetauscht werden, was jährlich zwischen zwei und drei Prozent der Bäume betrifft. "Wir setzen jetzt vor allem widerstandsfähigere Arten wie den Zürgelbaum oder eine robuste Lindenart."

Die rund 100.000 Bäume, die in Wien entlang von Straßen stehen, sind in einem eigenen Baumkataster erfasst und mit einer Nummer versehen. Ihr Zustand wird laufend kontrolliert, Veränderungen und Sanierungsmaßnahmen in der Datenbank gespeichert.

Laut dem Wiener Baumschutzgesetz dürfen Bäume, die in einem Meter Höhe einen Umfang von 40 Zentimetern aufweisen, nicht ohne Genehmigung umgeschnitten werden. Wird ein Baum aufgrund seines Alters oder wegen Gefährdung gefällt, muss der Grundstücksbesitzer in maximal 300 Metern Umkreis einen Ersatzbaum pflanzen.

Mehr Anträge

Im Büro von Bezirksvorsteherin Stenzel bleibt man jedenfalls dabei, dass das Missverständnis keinesfalls im Ersten liege. "Wir haben mittlerweile noch weitere Anträge auf Baumfällungen bekommen, derzeit sind es 99", sagte die Sprecherin von Ursula Stenzel. Darunter seien auch einige Bäume, die erst vor ein paar Jahre gepflanzt worden seien. "Da fragt man sich schon, welche Qualität die Bäume hatten."

Beste Qualität, betont man im Stadtgartenamt. Schließlich seien die Bäumchen in der eigenen Baumschule gewachsen. Aber auch bei den Jungbäumen würden einzelne extreme Wetterbedingungen nicht aushalten. "Schon möglich, dass mehr als 77 Anträge beim Bezirk liegen", sagt eine MA-42-Sprecherin. "Wir kontrollieren schließlich ständig, 77 Bäume werden noch in diesem Jahr ausgetauscht, die anderen Anträge betreffen bereits 2013."

In einem sind sich jedenfalls alle einig: Der Schutz der Passanten hat Vorrang. Würde jemand etwa durch herabfallende Äste verletzt, müsste die Stadt haften. Nachdem bei einem Fest in Pöchlarn zwei Besucher von umstürzenden Bäumen getötet worden waren, hat der OGH bestätigt, dass die Stadt Schmerzensgeld an zwei Verletzte zahlen muss. Der OGH-Spruch besagte zudem, dass jeder größere Baum in einem Ballungsraum als potenzielle Gefahr zu sehen und in regelmäßigen Intervallen normgerecht zu prüfen sei. (Bettina Fernsebner-Kokert, DER STANDARD, 24.8.2012)