Das verlängerte Kinn verfügt über ein elektrisches Organ und dient dem Elefantenrüsselfisch im trüben Wasser zur Nahrungssuche, mit seinen hochspezialisierten Augen hält er nach Feinden Ausschau.

Foto: von der Emde/Uni Bonn

Während man sich als Mensch mit einem Gesichtssinn begnügen muss, kann der Elefantenrüsselfisch auf zwei Sinne zurückgreifen, um sich ein Bild von seiner Umgebung zu machen. Zum einen nutzt der in Westafrika lebende Fisch elektrische Felder, um sich zu orientieren. Zum anderen verfügen auch seine Augen über erstaunliche Fähigkeiten, wie nun ein internationales Team aus Neurobiologen, Zoologen und Physikern festgestellt hat: In der Netzhaut des Fisches ist eine Art "Filter" eingebaut, der selbst mit den wirbelnden Schwebteilchen im Wasser klarkommt.

Für die Netzhaut der Elefantenrüsselfische (Gnathonemus petersii) ist es charakteristisch, dass sie rund 10.000 Bündel von Fotorezeptoren aufweist. Ein Teil jedes dieser Bündel befindet sich in einer becherartigen Vertiefung. Deren innere Seitenwände sind mit Guaninkristallen ausgestattet und wirken deshalb wie Parabolspiegel: Sie reflektieren die von außen einfallenden Lichtstrahlen auf den Becherboden, wo ein kleiner Teil der Fotorezeptoren optimal beleuchtet wird. Bei diesen Rezeptoren handelt es sich um Zapfen, die wie bei allen Wirbeltieren nicht sehr lichtempfindlich sind. Der überwiegende Teil der Fotorezeptoren - die Stäbchen - befinden sich kurioserweise hinter den Bechern der Netzhaut; also in einem Bereich, der besonders abgedunkelt ist. Stäbchen sind hochempfindliche Fotorezeptoren, die bei Wirbeltieren für das Sehen in der Dämmerung oder in der Dunkelheit benötigt werden. Umso erstaunlicher ist es, dass sie 'extra' abgedunkelt werden.

Eine derart ungewöhnliche Anordnung und Verteilung der Fotorezeptoren hat Zoologen und Biologen seit langem irritiert. Denn sie fördert das Sehvermögen des Elefantenrüsselfisches weder in Bezug auf die Lichtempfindlichkeit noch in Bezug auf die räumliche Auflösung. Welche Funktion aber hat sie dann überhaupt?

Durchblick im Trüben

Verhaltenstests, die maßgeblich von Stefan Schuster von der Universität Bayreuth entwickelt wurden, haben entscheidend zur Lösung des Rätsels beigetragen. Im Mittelpunkt dieser Tests stand die Frage, unter welchen Voraussetzungen die Fische imstande sind, rasch herannahende Feinde möglichst schnell zu erkennen und rechtzeitig zu fliehen. Wie sich dabei herausstellte, versetzt die Anordnung von Zapfen und Stäbchen den Fisch in die Lage, Feinde auch dann zuverlässig zu erkennen, wenn sie durch einen Schleier von feinsten Partikeln im Wasser überdeckt werden. Diese Fähigkeit ist für Elefantenrüsselfische äußerst wertvoll, weil sie häufig in trüben Gewässern beheimatet sind.

Bei ihren Testreihen haben Schuster und seine Mitarbeiter verschiedenste Szenarien unter Wasser simuliert. Dabei haben sie beispielsweise beobachten können, wie die Fische auf dunkle Gegenstände reagieren, die von dichten Wolken heller Partikel verdeckt werden. Oder sie haben die Fische mit feingemusterten Gegenständen konfrontiert, in deren Nachbarschaft sich viele ähnlich aussehende Partikel schnell bewegen und ähnliche Muster bilden. "Die Ergebnisse dieser Tests weisen alle in die gleiche Richtung", berichtet der Bayreuther Tierphysiologe. "Die Elefantenrüsselfische lassen sich von den optischen Störungen im Trüben - wir Biologen sprechen von einem 'Rauschen' - nicht beeindrucken. Sie besitzen ein außerordentlich rauschtolerantes Sehvermögen. Schnell und sicher können sie Objekte in ihrer weiteren Umgebung ausmachen; selbst dann, wenn es sich um Fraßfeinde handelt, die sich mit hoher Geschwindigkeit nähern."

Koordinierte Empfindlichkeit der Fotorezeptoren

Als besonders aufschlussreich erwies sich ein Experiment, mit dem Schuster an Forschungsergebnisse anknüpfen konnte, die Kollegen an den Universitäten Bonn und Bielefeld erzielt hatten. Dort war in hirnphysiologischen Messungen am Elefantenrüsselfisch der Nachweis gelungen, dass die Lichtempfindlichkeit der Zapfen und Stäbchen durch ihre ungewöhnliche Anordnung einander angeglichen wird. In einem dämmrigen Licht, wie es in tropischen Binnengewässern häufig vorkommt, werden beide Arten von Fotorezeptoren gleichermaßen aktiviert. Mit einer neuartigen Versuchsanordnung konnte gezeigt werden, dass die hohe Rauschtoleranz nicht möglich wäre ohne das Zusammenspiel der einander angeglichenen Fotorezeptoren.

Die besonderen Netzhautstrukturen sorgen auch dafür, dass der afrikanische Gewässerbewohner sehr schnelle Bewegungen wahrnehmen kann. Mit Elektroden in den visuellen Zentren des Gehirns wiesen die Forscher nach, dass er bis zu 50 Bilder pro Sekunde erkennt. Goldfische schaffen hingegen nur etwa 30 Bilder.

Die Forschungsergebnisse waren für alle beteiligten Wissenschafter eine zoologische Überraschung. Denn sie haben zutage gefördert, dass die Augen des Elefantenrüsselfisches die Funktionen seines schmalen, nach vorne verlängerten Kinns perfekt ergänzen. Dieses Kinn, das äußerlich an den Rüssel eines Elefanten erinnert, war der Namensgeber für den Fisch. Es befähigt ihn dazu, seine Beute mithilfe von elektrischen Feldern zu detektieren. Dies ist allerdings nur auf sehr kurze Distanzen, in einem Umfeld von etwa zehn Zentimetern, möglich. Die ungewöhnlich strukturierte Netzhaut erschließt dem Fisch die weitere Umgebung und schützt ihn selbst vor Fraßfeinden.

Anwendungsmöglichkeiten

Die Wissenschafter, die ihre Erkenntnisse jetzt gemeinsam in "Science" vorstellen, haben bereits konkrete technologische Anwendungsmöglichkeiten im Blick - beispielsweise Unterwasserkameras oder auch winzige Detektoren, die in den menschlichen Blutbahnen winzige gefährliche Ablagerungen erkennen können. (red, derstandard.at, 29.6.2012)