Sie bleiben dem Forschungsstandort erhalten: Thomas Henzinger und Niyazi Serdar Sariçiftçi sind die Wittgensteinpreisträger des Jahres 2012.

Collage: Korn

Der Wittgensteinpreis ist ganz nahe an der praktischen Umsetzung von Grundlagenforschung angelangt. Beide Preisträger beforschen Dinge des Alltags, ohne die Gegenwart und Zukunft kaum vorstellbar sind: Der Computerwissenschafter Thomas Henzinger entwickelt algorithmische Methoden, die die Zuverlässigkeit von Software verbessern sollen, um nervige Computer- oder Handyabstürze zu verhindern.

Der Chemiker Niyazi Serdar Sariçiftçi beschäftigt sich mit Alternativer Energie, zuletzt vor allem mit der Umwandlung von Sonnenenergie in Brennstoffe, der künstlichen Fotosynthese. Für den Wissenschafter ist das ein guter Weg aus der Energiekrise. "Die fossilen Energiequellen sind in absehbarer Zeit weg. Die Menschheit hat es nicht nötig, um die letzten Reserven Kriege zu führen. Die Sonne ist da, von ihr sollten alle profitieren können, sie ist demokratisch und egalitär," sagte Sariçiftçi am Dienstag.

Die Preisträger haben aber auch forschungspolitisch eine Gemeinsamkeit: In den vergangenen Monaten hat man sich in beiden Fällen bemüht, sie im Land zu halten und eine langfristige Finanzierung ihrer Arbeit zu ermöglichen. Henzinger, der zu den meist zitierten Wissenschaftern in seinem Fach zählt, erhielt als Präsident des IST Austria eine Finanzierungszusage vom Land Niederösterreich und vom Bund: 2017 bis 2026 macht das immerhin rund 1,4 Milliarden Euro aus. Ein Teil des Geldes ist an die Einwerbung von Drittmittel und an die Erfüllung von Qualitätskriterien gebunden. Und dabei ist das IST Austria höchst erfolgreich: Henzinger hat bereits einen Advanced Grant des European Research Council an Land gezogen. Auch der mit bis zu 1,5 Millionen Euro dotierte Wittgensteinpreis wird hier mit einberechnet.

Zum Bleiben bewegen

Sariçiftçi, der seit Mitte der 1990er-Jahre eine Professur an der Uni Linz innehat, galt im vergangenen Jahr eigentlich schon als abgewandert. Fünf Hochschulen, darunter die Münchner Ludwig-Maximilians-Universität, die Katholieke Universiteit Leuven sowie eine holländische, eine japanische und eine türkische Uni wollten den Wissenschafter berufen, der im Ranking der weltweit besten Materialwissenschafter auf Platz 14 zu finden ist. Dank eines vom Wissenschaftsministerium finanzierten Forschungsprojekts und der Unterstützung des Landes Oberösterreich konnte er schließlich zum Bleiben bewogen werden.

Der Wittgensteinpreis lädt nicht nur dazu ein, weiterhin in Österreich zu forschen. Er verpflichtet auch dazu. Die Forschungsgruppe muss während der fünf Jahre in Österreich arbeiten, um den Wissenschaftsstandort zu stärken. Eine Art Gravitationspunkt, wie man im Wissenschaftsfonds FWF sagt. Der Fonds vergibt den Preis im Auftrag des Wissenschaftsministeriums nach Entscheidung einer ausschließlich international besetzten Jury.

Für Henzinger ist das Bleiben gegen den Trend gebürstet: "In einer Zeit, da größtmögliche Mobilität auch von Forschern gefordert wird, ist es fast ein Nachteil." Henzinger verweist auf ähnliche Kriterien beim deutschen Leibnizpreis, der für den Wittgensteinpreis das Vorbild war. " Wir können Topleute leider nicht abwerben, weil sie mit ihren Gruppen in Deutschland bleiben müssen, sobald sie den Preis gewonnen haben."

Der Informatiker will das Geld nun unter anderem für verstärkte Synergien zwischen Computerwissenschaften und Biologie am IST Austria verwenden. Seine mathematischen Methoden zur Softwaremodellierung könnten dabei so weiterentwickelt werden, dass damit schließlich auch Prozesse in Zellen und Organen analysiert werden. Henzinger und Sariçiftçi werden das Geld unter anderem für Dokoranden verwenden, die sie in ihre Gruppen holen wollen – auch eine Vorgabe des Wittgensteinpreises. Dabei hofft vor allem der Chemiker der Universität Linz auf einen Boom in seinem Forschungsgebiet.

Brain Gain im besten Sinn

Schon nach Österreich geholt wurden drei der sieben Start-Preis-Träger, die maximal 1,2 Millionen auf sechs Jahre für ihre Projekte erhalten. Die Russin Sofia Kantorovich bekam ihren Arbeitsplatz an der Uni Wien laut Christoph Kratky, Präsident des FWF, nur, weil sie Start-Preis-Trägerin ist. Und die Arbeitsstätten des gebürtigen Türken Kaan Boztug und des Deutschen Alexander Dammermann, das Forschungszentrum für Molekulare Medizin (CEMM) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften und die Max F. Perutz Laboratories, "machen etwas richtig: Sie holen sich gute Leute aus dem Ausland und sagen, holt euch Geld vom FWF und finanziert euch selbst" – für Kratky "Brain Gain im besten Sinn des Wortes".

Stärken der Forschung

Der Wittgenstein- und die Start-Preise werden seit 1996 vergeben, initiert vom damaligen FWF-Präsidenten Arnold Schmidt und dem damals zuständigen Minister Rudolf Scholten. Hier zeigen sich alljährlich die Stärken und Schwächen der österreichischen Forschungslandschaft. So sind Frauen genauso selten vertreten wie die Sozial- und Geisteswissenschaften. Bisher haben nur die Sprachwissenschafterin Ruth Wodak, die Molekularbiologin Renée Schroeder und die Pflanzengenetikerin Marjori Matzke gemeinsam mit ihrem Mann Antonius den Wittgensteinpreis erhalten.

Nur vier Geistes- und Sozialwissenschafter waren unter den Laureaten: Der Demograf Wolfgang Lutz, der Historiker Walter Pohl, Wodak und der Kultur- und Sozialanthropologe Andre Gingrich. Auch heuer liegt der Schwerpunkt auf den Naturwissenschaften. Unter den aktuellen neun Wittgenstein- und Start-Preisträgern finden sich eine Ägyptologin und ein Ökonom. Der Rest ist in der Mathematik, der Informatik, der Physik, der Genetik, der Chemie und der Biologie zu Hause. (Peter Illetschko/DER STANDARD, 13.6. 2012)

--> Wittgenstein- und START-Preisträger:

Wittgensteinpreisträger:

Thomas A. Henzinger, "Formale Methoden für den Entwurf und die Analyse komplexer Systeme", Institute of Science and Technology (IST) Austria

Niyazi Serdar Sariçiftçi, "Solare Energieumwandlung", Institut für Organische Solarzelle, Universität Linz

START-Preisträger:

Kaan Boztug, "Integrative Genetik kongenitaler Defekte", Forschungszentrum für Molekulare Medizin (Cemm) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW)

Julia Budka, "Im Spannungsfeld antiker Grenzen und Kulturen", Institut für Ägyptologie der Uni Wien

Alexander Dammermann, "Molekulare Analyse der Struktur und Funktion von Zentriolen", Max F. Perutz Laboratories der Uni Wien

Jürgen Hauer, "Zweidimensionale Laserspektroskopie von natürlichen Lichtsammelkomplexen", Institut für Photonik der TU Wien

Sofia Kantorovich, "Skalenübergreifende Theorie und Modellierung dipolarer weicher Materie", Fakultät für Physik der Uni Wien

Michael Kirchler, "Markteffizienz und Finanzmarktregulierung – Ein experimenteller Ansatz", Institut für Banken und Finanzen der Uni Innsbruck

Franz Schuster, "Isoperimetrischen Ungleichungen und Integral Geometrie" , Institut für Diskrete Mathematik und Geometrie der TU Wien

(DER STANDARD, 13.6. 2012)