München - Buchstaben oder Ziffern werden mit einer Farbe assoziiert, Klänge haben eine Form, Wörter einen Geschmack - die Wahrnehmung von Synästheten verknüpft Sinneseindrücke im Gehirn in erstaunlicher Weise. Und diese zusätzliche Wahrnehmung bleibt bei ihnen ein Leben lang konstant, wie das Klinikum rechts der Isar der TU München berichtet. Aus früheren Untersuchungen mit funktioneller Kernspintomographie weiß man, dass bei Synästheten während der Verarbeitung von visuellen Eindrücken eine bestimmte Hirnregionen stärker aktiviert ist. Diese gesteigerte lokale Hirnaktivität erklärt aber noch nicht, wie die verstärkten Sinnesverknüpfungen zustande kommen. Wie Neurowissenschafter des Klinikums und des Forschungszentrums Jülich herausgefunden haben, werden diese synästhetischen Verknüpfungen durch verstärkt gekoppelte Aktivität zwischen Hirnregionen vermittelt.

Im menschlichen Gehirn gibt es Netzwerke verknüpfter Hirnregionen, die jeweils für spezielle Aufgaben zuständig sind. Diese Netzwerke sind bereits unter Ruhebedingungen gekoppelt, also auch dann, wenn die betreffende Person nur mit geschlossenen Augen im Kernspintomographen liegt. Die Münchner und Jülicher Neurowissenschafter sind nun der Frage nachgegangen, wie sich diese gekoppelten Ruhe-Netzwerke bei Synästheten darstellen. Dazu erfassten sie zunächst durch psychologische Tests verschiedene Aspekte der individuellen Wahrnehmungen von 12 Synästheten. Anschließend analysierten sie in einer zehnminütigen Messung mit funktioneller Kernspintomographie deren Hirnruhezustand.

Dabei stellten die Wissenschafter fest, dass bei Synästheten die Netzwerke unter Ruhe vielfach stärker verknüpft sind als bei Nicht-Synästheten. Zudem ist die Kopplung umso stärker ausgeprägt, je stabiler die synästhetischen Wahrnehmungen der einzelnen Probanden sind. Die Studie, die im "Journal of Neuroscience" veröffentlicht wurde, zeigt somit erstmals, dass die verstärkten Sinnesverknüpfungen bei Synästheten durch vermehrte funktionelle Koppelung zwischen Hirnregionen entstehen. Diese Ergebnisse legen zudem nahe, dass die gekoppelte Hirnaktivität unter Ruhe die Phänomenologie der menschlichen Wahrnehmung direkt beeinflusst. (red, derStandard.at, 2.6.2012)