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Der Begriff Krebsimpfung ist missverständlich, handelt es sich doch um eine Therapie und keine Prophylaxe.

Foto: APA/Kai Nietfeld

Krebszellen tricksen, mutieren und stören die Arbeit von Abwehrzellen, wo sie nur können. Krebsforscher versuchen seit Jahren, das Immunsystem gegen diese Angriffe besser zu wappnen. Nun verzeichnen Wissenschaftler erste Erfolge. Onkologen und Immunologen sprechen bereits von einer neuen Ära der Krebstherapie. Der erste Krebsimpfstoff wurde vor zwei Jahren in den USA zugelassen. 

Die Rede ist nicht von der klassischen Schutzimpfung wie jener gegen Humane Papillomviren, die prophylaktisch die Entstehung von Gebärmutterhalskrebs verhindern soll. Vielmehr geht es um therapeutische Impfstoffe, die als Behandlungsmaßnahmen fungieren, wenn der Patient bereits an Krebs erkrankt ist.

Krebsimpfungen zielen darauf ab, das Immunsystem auf den Feind Krebs aufmerksam zu machen. Die Idee dahinter: Moleküle, die sich auf Tumorzellen (krebstypische Antigene bzw. Eiweiße) befinden, aufzubereiten und dem Patienten zu spritzen in der Hoffnung, das Immunsystem möge darauf entsprechend reagieren und verstreute Tumorzellen oder Metastasen mit Hilfe der Killerzellen endgültig vernichten. 

Erste zugelassene Krebsimpfung 

Genau genommen ist die "Krebsimpfung" also eine Immuntherapie, deren Umsetzung sich allerdings als schwierig erweist. "Der Wunsch, dass eine Impfung bei allen Patienten funktioniert, ist verständlich, die Ergebnisse sind aber mehr als ernüchternd", resümiert Günther Lametschwandtner von Apeiron Biologics, einer Biotech-Firma, die Krebsimmuntherapieforschung betreibt. Es gibt nämlich, so der Forscher, kein Antigen, das in jedem Tumor vorhanden ist.

Bei manchen Krebsarten hat sich eine Impfung aber durchaus schon erfolgreich gezeigt, etwa bei Prostatakrebs. In der Prostata wurde ein tumorassoziiertes Antigen entdeckt, das nicht nur im kranken, sondern - wenngleich in kleineren Mengen - auch im gesunden Gewebe vorkommt. Wenn nun die Killerzellen Zellen mit diesen Antigenen attackieren, wird auch gesundes Gewebe vernichtet. "Das gesamte Organ kann dadurch zerstört werden", erklärt Lametschwandtner das Problem. Bei Prostatakrebs könne dieses Risiko insofern eingegangen werden, als es sich hier nicht um ein lebenswichtiges Organ handelt und das Antigen ausschließlich in diesem Organ vorkommt.

Vier Monate Lebensverlängerung

Daher ist seit 2010 der Impfstoff Provenge als therapeutische Maßnahme gegen Prostatakrebs in den USA zugelassen. Eine Behandlung mit Provenge kostet allerdings pro Patient knapp 100.000 Dollar, weil die antigenspezifische Impfung an eine Zelltherapie gekoppelt ist. Prostatakrebsassoziierte Antigene werden mit Hilfsstoffen fusioniert und mit Abwehrzellen, den dendritischen Zellen, konfrontiert. Diese erkennen die Antigene und präsentieren sie inaktiven T-Zellen, die dadurch zu Killerzellen werden. Das Resultat: Alle Tumorzellen im Körper, die das Antigen tragen, werden vernichtet. 

Eine Studie hat belegt, dass durch Provenge das Leben von Prostatakrebspatienten durchschnittlich um vier Monate verlängert werden konnte. Für den Tübinger Immunologen Hans-Georg Rammensee ist das "nicht sehr effektiv": "Das werden wir hoffentlich in Zukunft besser können", zeigt er sich jedoch optimistisch. In Europa ist ein derartiger Impfstoff noch nicht zugelassen. "In den USA ist die Zulassung leichter, besonders bei Medikamenten zur Behandlung von Tumorerkrankungen gibt es beschleunigte Zulassungsverfahren", erklärt Onkologe Richard Greil, Vorstand der Universitätsklinik für Innere Medizin III am Landeskrankenhaus Salzburg. In Europa gebe es außerdem eine Zurückhaltung im Hinblick auf die Aussagekraft der einzigen Studie, die es zur Wirksamkeit gibt.

Klinische Studie abgebrochen

Vielversprechend scheint ein weiterer, auf ein Tumorantigen namens MUC1 bezogener, Impfstoff zu sein: "Stimuvax". Derzeit befindet er sich in der klinischen Phase III gegen Lungenkarzinome - die klinische Studie für Brustkrebspatienten wurde abgebrochen, nachdem ein Patient der Studie eine Gehirnhautentzündung bekam. Das Salzburger Landeskrankenhaus testet derzeit in Kooperation mit der Universität Mainz ein Vakzinationsmodell mit MUC1-Antigenen an Patienten mit Dickdarmkarzinommetastasen - die Lebermetastasen der Patienten werden zuerst operiert, die Patienten anschließend geimpft: "Das sind realitätsnahe und wichtige Studien, die demnächst gestartet werden", sagt Greil. 

Rammensee forscht seit 30 Jahren an Immuntherapien und war bei der Gründung der Firmen Immatics, CureVac und Synimmune involviert, die an standardisierten Krebsimpfstoffen arbeiten. Dabei verfolgen die verschiedenen Unternehmen unterschiedliche Ansätze. Immatics etwa befindet sich gerade in Phase III einer klinischen Studie bei Nierenkrebs-Impfungen mit Hilfe der Tumorantigene. CureVac forscht an peptidspezifischer RNA. Hier wird Erbgutinformation unmittelbar in den Patienten gespritzt und das Antigen vom Organismus eigenständig gebildet. Synimmune wiederum entwickelt Antikörper, die sich gegen Antigene der Krebszellen richten. Derzeit wird ein Antikörper für die Behandlung der Leukämie entwickelt. 

Personalisierte Krebsimpfungen

Der Tübinger Immunologe selbst will eine personalisierte Impfung gegen Krebs etablieren, wofür tumorspezifische - und nicht mehr tumorassoziierte - Antigene identifiziert werden müssen. Diese finden sich ausschließlich auf Krebszellen, mutieren schnell und sehen bei jedem Patienten etwas anders aus. Rammensee sequenziert daher das Genom der Tumorzellen, um die spezifischen Mutationen der Tumorzellen zu identifizieren. Anschließend werden die Peptide der Tumorzellen analysiert, die die Mutationen abbilden. Daraus wird dann ein Cocktail mit zehn bis 15 tumorspezifischen Peptiden hergestellt und den Patienten injiziert. "Wir sind kurz davor, klinische Studien einzureichen. Das ist nicht so einfach, weil für jeden Patienten ein eigenes Medikament hergestellt wird und es so ein Verfahren noch nicht gibt", ergänzt Rammensee.

Eine personalisierte Behandlung hält auch Lametschwandtner für unumgänglich, diese müsse sich aber erst gesetzlich durchsetzen. "Die regulatorische Gesetzesumgebung ist wohl noch nicht so weit, dass das eine Standardbehandlung wird", kritisiert er. Neben einer Personalisierung sei eine Kombination aus verschiedenen Methoden der Immuntherapie zukunftsweisend. "Der Tumor widersetzt sich stark gegen das Immunsystem und ist mit einem einzigen Mechanismus nicht aushebelbar", ist der Forscher überzeugt.

Kombinierte Krebsimmuntherapien 

Krebsimpfungen können beispielsweise durch die Zugabe von Antikörpern wirkungsvoller sein, etwa solchen, die das Immunsystem aktiv halten. Kostimulatoren regeln nämlich, ob eine Immunreaktion nach dem Aktivieren von Killerzellen einsetzt oder aber gebremst wird. Da das Immunsystem bei andauernder Aktivität Autoimmunreaktionen in Gang setzt, sind hemmende und verstärkende Signale im Gleichgewicht. Werden den Patienten bestimmte monoklonale Antikörper, etwa durch das Medikament Ipilimumab, zugeführt, werden diese Bremsklötze "ausgeschaltet". Ipilimumab ist 2011 in Europa und den USA zur Behandlung von Melanomen zugelassen worden. 

Die alleinige Behandlung mit diesem monoklonalen Antikörper kann allerdings, da das Immunsystem ständig aktiv ist, zu einer heftigen Autoimmunreaktion führen. "Diese Patienten bekommen hoch dosiert Cortison, um das Immunsystem zu hemmen. Eine antigenspezifischere Immuntherapie könnte dieses Dilemma vermeiden", meint Lametschwandtner. Daher dient Ipilimumab als Ergänzungsmedikation in Kombination mit experimentellen antigenspezifischen Impfstoffen. Bei Patienten mit metastasierten Melanomen konnte die mittlere Überlebenszeit gegenüber einer Behandlung mit einem alleinigen Impfstoff um vier Monate verlängert werden. 

Krebszellen sind schwer in den Griff zu bekommen, zum einen weil sie das Immunsystem austricksen, und zum anderen, weil sie genetisch instabil sind und schnell mutieren, wodurch sie resistent gegenüber Immuntherapien werden. Eine lebenslange Immunisierung ist daher sehr unwahrscheinlich. "Wenn wir aber verschiedene Immuntherapien hintereinander einsetzen, miteinander oder mit bestimmten Chemotherapien kombinieren, kann man den Resistenzmechanismen von Tumorzellen zunehmend entgegenwirken", zeigt sich Greil optimistisch für die Zukunft.. (Sophie Niedenzu, derStandard.at, 9.5.2012)