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Männer mit erektiler Dysfunktion suchen häufig die Anonymität und wissen das Online-Angebot vermutlich zu schätzen.

Foto: APA/Uli Deck

"Der Nächste bitte", heißt es seit Mitte April rund um die Uhr und ohne Wartezeit im Internet. Das ursprünglich englische Online-Portal "Dr. Ed" hält seine Sprechstunden nun auch in Österreich ab und verordnet rezeptpflichtige Medikamente, ohne die Patienten persönlich zu treffen.

Das Prinzip ist einfach: Per Telemedizin wird ein schmaler Katalog an häufigen Beschwerden wie Blasenentzündungen oder Bluthochdruck und weit verbreiteten Bedürfnissen wie Pillen- oder Viagra-Rezepten abgehandelt. Zur Wahl stehen Sprechstunden für Frauen-, Männer- und Sexualgesundheit, Innere Medizin, Reisemedizin und Allgemeinmedizin. Die Krankheitsbilder sind auf jeweils zwei begrenzt, akute Erkrankungen kommen auf der Online-Plattform nicht vor.

Sicherheitsgarantie

"Es ist vollkommen klar, dass wir telemedizinisch nicht jeden Patienten oder jede Erkrankung behandeln können. Wir wollen (und können) den Arzt oder Arztbesuch nicht ersetzen", erklärte Jasper Mordhorst am Mittwoch im Live-Chat von vielgesundheit.at. Der Hamburger Allgemeinmediziner, Internist und Sexual-Health-Spezialist leitet die Online-Ordination und ist auch als niedergelassener Arzt in London tätig. "Diese Sprechstunden sind nach Kriterien ausgewählt, die uns helfen, Sicherheit und Zuverlässigkeit von Online-Behandlungen zu garantieren."

Die Ferndiagnose setzt einiges Vorwissen beim Patienten voraus, denn sie wird im Prinzip vom User gestellt. Die Internet-Sprechstunde ist nämlich so aufgebaut, dass der User auswählt, wofür oder wogegen das angestrebte Medikament helfen soll. Unter dem Angebot "Frauengesundheit" finden sich "Verhütung" und "Blasenentzündung". Die Annahme der Patientin, an einer Blasenentzündung zu leiden, genügt also, um ein Rezept für ein Antibiotikum zu bekommen.

Geprüft wird die Vermutung mit einem standardisierten Fragebogen, der auch die Frage enthält, ob man die Anzeichen einer Blasenentzündung erkennen könne. Unter anderem an dieser Übertragung der Verantwortung auf den Patienten stoßen sich die Kritiker des Angebots.

Risikoimport durch Briefrezepte

"Es ist in höchster Weise unklug, sich auf diese Weise Rezepte zu verschaffen", wettert etwa Ärztekammer-Sprecher Martin Stickler. Gerade bei der Verschreibung von Präparaten wie Viagra gehe es "um Lifestyle-Medikamente, die hochwirksam sind und zum Beispiel bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu erheblichen Nebenwirkungen führen. Deshalb ist es dringend zu empfehlen, einen Arzt zu konsultieren."

Für die Ärztekammer verstoßen die "Online-Ärzte jedenfalls eindeutig gegen geltendes Recht". Denn die ärztliche Fernbehandlung sei laut österreichischem Ärztegesetz unzulässig, das gelte auch für Anbieter ärztlicher Leistungen mit Sitz im Ausland. Vom Gesundheitsministerium verlangt die Ärztekammer "klare Bestimmungen, die dem Risikoimport durch Briefrezepte" im Sinne der Patientensicherheit einen Riegel vorschieben.

Das ist wohl ein Grund für den Unternehmenssitz Großbritannien von "Dr. Ed", dort gibt es kein derartiges Verbot und die Online-Mediziner berufen sich auf das Recht der freien Arztwahl innerhalb der EU. Mit der grenzüberschreitenden Behandlung stellt sich für den Patienten allerdings die Haftungsfrage im Schadensfall. "Für einen österreichischen Patienten wird es aufgrund der gegeben Rechtslage sehr schwierig sein, allfällig behauptete Behandlungsfehler haftungsrechtlich durchzusetzen", gibt Patientenanwalt Gerald Bachinger als Gast des Live-Chats zu bedenken.

"Dr. Ed" nennt auf seiner Website die Möglichkeit, sich direkt bei der Online-Sprechstunde zu beschweren, außerdem seien britische Aufsichtsbehörden zuständig und ansprechbar. "Jeder, der mit Beschwerden im zwischenstaatlichen Verkehr beschäftigt war, weiß, wie schwierig hier die Rechtsdurchsetzung ist", so Bachinger.

Der Patientenanwalt begrüßt grundsätzlich den Ansatz, niederschwellige Gesundheitsinformation über das Internet zugänglich zu machen. "Allerdings gibt es aus meiner Sicht vier Grundvoraussetzungen dafür: Sitz in Österreich, gemeinnützige, nicht gewinnorientierte Basis, Integration ins österreichische Gesundheitswesen und als Ergänzung des an und für sich flächendeckenden und gut ausgebauten österreichischen Hausarzt-Systems."

Laut eigenen Angaben hat "Dr. Ed" bisher etwa 10.000 Patienten in Großbritannien, Deutschland und Österreich beraten oder behandelt. Alle ihre Angaben und persönlichen Daten werden in "Online-Patientenakten" gespeichert.

Wie "Dr. Ed" die sensiblen Gesundheitsdaten schützt, erklärte Jasper Mordhorst im Live-Chat so: "Alle Kommunikation zwischen Arzt und Patient geschieht ausschließlich SSL-verschlüsselt. Wir kommunizieren nur über die Online-Patientenakte, zu der - ähnlich wie beim Online-Banking - nur der Patient und wir Zugang haben. Alle Angaben werden auf einem separaten Server verschlüsselt gespeichert, dieser ist nicht vom Internet aus zugänglich. Datensicherheit wird in Großbritannien sehr ernst genommen."

Bezahlung mit Kreditkarte

Die virtuelle Ordination ist ein Geschäftsmodell, das dementsprechend auch Geld für seine Dienste verlangt. Die Sprechstunden kosten zwischen neun und 29 Euro, bezahlt wird mit Kreditkarte. "Warum soll ich als Patient, der sozialversichert ist und seine Beiträge leistet, noch zusätzlich Kosten für privatärztliche Leistungen bezahlen", fragt sich Patientenanwalt Gerald Bachinger.

Die Argumentation der Online-Ordination, den Patienten zeitintensive und möglicherweise peinliche Arztbesuche zu ersparen, hält Ärztekammer-Sprecher Stickler jedenfalls für "fadenscheinig": "Es besteht der Verdacht, dass der Servicegedanke in den Vordergrund gestellt wird, und in Wirklichkeit geht es ums Geldverdienen." (Gabriela Poller-Hartig, derStandard.at, 27.4.2012)