Irgendwann kann der todkranke Frank "Papas Bett" nicht mehr verlassen: Milan Peschel in Andreas Dresens geradlinigem Drama "Halt auf freier Strecke".

Foto: Polyfilm

Wien - Die entscheidende Mitteilung kommt unmittelbar am Beginn: Ein Paar wird ins Arztzimmer gerufen. Der Mediziner redet nicht lange herum, sondern eröffnet dem Mann, dass sich in seinem Gehirn ein Tumor gebildet hat. Leider an einer Stelle, an der eine Operation nicht infrage kommt - man könne mit Chemotherapie und Bestrahlungen behandeln, aber eine Heilung sei ausgeschlossen. Die Lebenserwartung eines Patienten mit dieser Diagnose betrage "durchschnittlich ein paar Monate".

Diese erste Szene etabliert nicht nur das Initialmoment dieser Erzählung vom Sterben. Sie sagt auch etwas über die unverstellte Form, mit der der deutsche Autor und Regisseur Andreas Dresen sich diesem Thema annähert. Die Kamera bleibt unbewegt, es gibt in den knapp sieben Minuten nur wenige Schnitte. Man sieht Frank und seine Frau Simone, während sie die Erläuterungen des Arztes aufnehmen, aber nicht gleich begreifen. Man hört dessen Stimme - er spricht bedachtsam, macht Pausen und wartet auf die ersten Fragen, antwortet.

Das Ganze ist inszeniert. Andreas Dresens Halt auf freier Strecke ist ein Spielfilm, aber man kann sich gut vorstellen, dass solche Gespräche täglich so oder so ähnlich stattfinden. Der Arzt ist außerdem kein Schauspieler, sondern übt seinen Beruf auch im wirklichen Leben aus - wie die anderen Fachleute, denen Frank und Simone im weiteren Verlauf der Erzählung und der Erkrankung noch begegnen werden. Bis hin zu jener freundlichen Riesin, die irgendwann die Betreuung zu Hause übernimmt, und bei der man sich auch als Zuschauer bestens aufgehoben fühlt.

Die Rollen von Frank, Simone und ihrer Familie haben einige von Dresens bewährten Darstellerinnen (Steffie Kühnert, Ursula Werner u. a.) sowie der wunderbare Milan Peschel übernommen. Er hat die schwerste Aufgabe, er muss Frank und dessen Hinfälligwerden buchstäblich verkörpern. Peschel tut dies auf beeindruckende Weise, nicht zuletzt wenn er Frank gewissermaßen auf sich selbst blicken lässt, so als ob er sich im Augenblick ganz fremd wäre.

Durchbrochen werden die konzentrierten Situationsbeschreibungen von zwei weniger glücklichen Regieeinfällen: Frank führt am Smartphone ein Videotagebuch, und er halluziniert sich die Inkarnation seines Tumors als Talkshowgast bei Harald Schmidt. Davon abgesehen hat Dresen einen gänzlich unsentimentalen, aber von großer Empathie getragenen Film gedreht.  (Isabella Reicher, DER STANDARD - Printausgabe, 25./26. Februar 2012)