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Schulabbrechern fehlt die Motivation, durch höhere Strafen bekommen sie die nicht zurück, sagt Soziologe Bacher.

Foto: dapd/Widmann

Der Soziologe Johann Bacher hält wenig von dem Vorschlag von Staatssekretär Sebastian Kurz (ÖVP), die Strafen für die Verletzung der Schulpflicht zu erhöhen. Der Autor der Studie über Jugendliche ohne Ausbildung und Job (derStandard.at berichtete) sieht den Hauptgrund für den Schulabbruch in fehlender Leistungsmotivation. "Positive Anreize wären hier besser als Strafe", glaubt Bacher im Gespräch mit derStandard.at. Kurz hatte im Ö1-Morgenjournal gemeint, dass die Strafen in Höhe von 220 Euro "viel zu gering" seien. Der Staatssekretär will Deutschland zum Vorbild nehmen, wo die Strafen bei massiven Verletzungen der Schulpflicht bei bis zu 1.500 Euro liegen. 

Betreuung am Nachmittag

Eine Erhöhung der Strafen würde nur dazu führen, dass die gefährdeten Jugendlichen häufiger anwesend sind und die Schulpflicht absitzen. "Man motiviert die Schüler damit nicht, das ist aber ganz wichtig", sagt der Soziologe. Jene Jugendlichen hätten bereits negative Erfahrungen mit der Schule gemacht. "Der entscheidende Punkt ist in der Sekundarstufe eins, also nach der Volksschule. Viele verlieren hier die Leistungsmotivation. Das hat sehr stark mit den Leistungsgruppen in der Hauptschule zu tun. Das ist demotivierend für die Jugendlichen", meint Bacher. Es sei entscheidend, wie die Zeit am Nachmittag verbracht wird. Nur durch individuelle Förderung am Nachmittag könne der Leistungsabfall, der automatisch mit der Pubertät einsetzt, abgeschwächt werden. "Mit elf oder zwölf hat man andere Orientierungen", so der Soziologe. Eine verschränkte Ganztagsschule würde helfen, die Kinder in dieser Phase weiter zu unterstützen. 

Programme nach der Schulpflicht

Dem Studienautor ist es auch wichtig, nicht auf jene Jugendliche zu vergessen, die bereits aus der Schule ausgeschieden sind. "Es gibt auch Jugendliche, die das Schulsystem schon verlassen haben oder die in der ländlichen Region keine Anschlussbeschäftigung nach der Lehre finden, gleichzeitig aber sehr wenig mobil sind. Diese Gruppen haben natürlich nichts davon, wenn man eine Ganztagesschule einführt", sagt er. Es seien auch Programme nach der Schulpflicht nötig. 

"Groteske Situation"

Viele der Jugendliche, die nicht mehr im Schulsystem sind, haben Kontakt mit dem AMS. Hier sei es aber wichtig, dass sie nicht "von einer Maßnahme in die andere wandern", sondern dass sie ständig eine Bezugsperson haben und ein durchgängiges Ausbildungsprogramm absolvieren. Ein anderer wichtiger Schritt ist laut Bacher, dass die Produktionsstätten des AMS ausgebaut werden, damit handwerkliche Fähigkeiten gelernt werden. "Wir haben hier die groteske Situation, dass einerseits Lehrstellen frei sind, aber keine qualifizierten Bewerber dafür da sind." 

Hundstorfer will coachen

Sozialminister Rudolf Hundstorfer (SPÖ) hat in einer Reaktion auf die Studie angekündigt, sich weiterhin auf das Coaching der Jugendlichen in der neunten Schulstufe konzentrieren zu wollen. Jugendliche, die noch nicht wissen, was sie nach der Schulpflicht machen wollen, werden in diesem Programm beraten. Das Pilotprojekt läuft bisher in Wien, Niederösterreich und der Steiermark. "Die Rückmeldungen hier sind positiv. Aber auch das sind präventive Maßnahmen. Wichtig ist, dass das auch längerfristig fortgesetzt wird und nicht mit der Volljährigkeit aufhört. Man müsste jenen Jugendlichen, die schon aus der Schule ausgeschieden sind, auch ein Coaching-System anbieten", sagt Bacher dazu. 

FPÖ fordert Streichung der Familienbeihilfe

Auch die Opposition hat sich kritisch gegenüber dem Vorschlag von Kurz geäußert. FPÖ-Bildungssprecher Walter Rosenkranz sagt in einer Aussendung, dass nicht nur die Verletzung der Schulpflicht zu Schulabbruch führe. "Oft ist es die falsche Schulwahl, die den Fähigkeiten und Interessen der Kinder zuwiderläuft", meint Rosenkranz. Strafen allein sei zu wenig. Trotzdem fordert die FPÖ bei Verletzungen der Schulpflicht ein Streichen der monatlichen Familienbeihilfe. "Das wäre eine empfindliche Maßnahme, die die Eltern tatsächlich spüren würden. Eine einmalige Geldstrafe - wie von Kurz gefordert - ist zu wenig und eine absolut zahnlose Maßnahme", so Rosenkranz.

Grüne: "Hetze auf niedrigstem Niveau"

Der Bildungssprecher der Grünen, Harald Walser, fordert in einer Aussendung wie der Soziologe Bacher einen Ausbau der Ganztagsschulen sowie der sprachlichen Frühförderung, um die Defizite von Kindern aus "sozial schwachen und bildungsfernen Schichten" auszugleichen. Walser wirft Kurz "Hetze auf niedrigstem Niveau vor", wenn dieser Strafen für "angeblich zumeist ausländische Eltern" wolle. Forderungen nach Unterstützungsmaßnahmen seien eigentlich die Aufgabe eines Integrationsstaatssekretärs. Alev Korun, Integrationssprecherin der Grünen, fordert "Rückholaktionen" der Jugendlichen. 

BZÖ: "Mediale Sternschnuppe"

BZÖ-Jugend- und -Lehrlingssprecher Stefan Markowitz bezeichnet den Vorschlag von Kurz in einer Aussendung als "mediale Sternschnuppe". "Nicht höhere Strafen, sondern das Schulsystem, die Fortbildung und den Arbeitsmarkt verbessern, attraktiver machen und mehr Arbeitsplätze schaffen - das muss das Motto sein", so Markowitz. Er fordert die Abschaffung des Amtes des Integrationsstaatssekretärs. (Lisa Aigner, derStandard.at, 20.2.2012)