Weltweit herrscht Verwirrung über die Schädlichkeit der mit Industriesilikon gefüllten Brustimplantate der südfranzösischen Firma PIP. Die Regierung in Paris brachte den Stein ins Rollen, als sie kurz vor Weihnachten 30.000 Französinnen nahelegte, ihr Silikonkissen zu entfernen.

Wie nun bekannt wurde, war die Entscheidung allerdings intern umstritten. Während die Gesundheitskontrollbehörde Afssaps die Entzündungs- und mögliche Tumorgefahr hervorhob, kam das nationale Krebsinstitut Inca zum Schluss, dass ein Kausalzusammenhang zwischen PIP-Prothesen und rund 20 Fällen von Brustkrebs nicht erwiesen sei.

Ein Gericht in Avignon verurteilte jetzt jedenfalls in einem ersten Fall die Versicherung des insolventen Herstellers PIP, die Allianz, zu 4000 Euro Schadenersatz. Der Richter gab damit der Klage einer 31-jährigen Betroffenen statt, der ein PIP-Silikonkissen eingesetzt worden war. Weitere 2500 Klagen sind anhängig - auch gegen die Kontroll- und Gesundheitsbehörden.

Die Frage der möglichen Schädlichkeit sorgt aber auch außerhalb Frankreichs weiter für Gesprächsstoff. In Österreich hieß es von der Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (Ages), es werde Betroffenen vorerst nicht dazu geraten, die Implantate herausnehmen zu lassen. Die entsprechende Agentur in Venezuela, dem mit 60.000 PIP-Trägerinnen meistbetroffenen Land, empfiehlt hingegen die Entfernung.

Australien gibt Entwarnung

Die Arzneimittelbehörde Australiens, wo 9000 PIP-Patientinnen leben, gibt wiederum Entwarnung: Die PIP-Produkte rissen oder platzten nur in 0,4 Prozent der Fälle, das liege unter dem Schnitt von einem Prozent. Britische Behörden und Ärzte, die in ihrem Land 42.000 PIP-Kundinnen gezählt haben, sind sich selbst nicht einig, wie hoch der Prozentsatz defekter Produkte ist. Die Entfernung wurde nicht empfohlen.

In den USA, Hauptmarkt der Schönheitschirurgie, wurde dagegen schon im Jahr 2000 vor PIP-Produkten gewarnt und deren Import unterbunden. Die Rücknahme der 35.000 bereits eingesetzten Kissen wurde aber nicht gefordert.

Amtlich getestet wurden Silikoneinlagen selten - "weil diese Tests sehr teuer sind" , sagt der französische Schönheitschirurg Claude Nos. Die nationale Kontrollbehörde Afssaps habe "schlicht nicht die Mittel für solche Analysen".

Laut Pierre Faure, Arzneimittelchef des Pariser Spitals Saint-Louis, gilt das bei weitem nicht nur für Brustkissen: "Medizinaldispositive werden viel weniger genau kontrolliert als Medikamente. Bei 20 Prozent der heute eingesetzten Prothesen wurden vorab keine klinischen Tests erstellt, die eine Unschädlichkeit über drei, vier oder fünf Jahre belegen könnten." (Stefan Brändle aus Paris, DER STANDARD, Printausgabe, 21/22.1.2012)