Die medizinische Versorgung im Heiligen Land sicherstellen: Das ist das Ziel der Hadassah.

Foto: Standard/Hadassah

Jerusalem - Im Hadassah Medical Center in Jerusalem hat man den Eindruck, dass irgendwann in dieser Region vielleicht doch noch die Vernunft siegen könnte - der Frieden hat hier hinter den Krankenhausmauern auf jeden Fall längst Einzug gehalten. Im Spital auf einer Anhöhe im Westen von Jerusalem über dem beschaulichen Dorf En Kerem arbeiten Juden, Muslime und Christen zusammen, Patienten jeder Konfession liegen Bett an Bett, rekonvaleszente Kinder von Orthodoxen und Palästinensern quietschen beim gemeinsamen Spielen in den Gängen. "Hügel der Heilung" wird dieser Ort auch genannt.

"Hadassah war niemals nur auf die jüdische Bevölkerung spezialisiert, sondern ursprünglich auf die gesamte Bevölkerung Palästinas, später dann Israels", betont Susanne Shaked, Präsidentin von Hadassah Österreich, man versuche im Krankenhaus mit der verschärften politischen Situation fertig zu werden. Dabei ist die israelische Hadassah-Bewegung mit dem University Medical Center heute ein Inbegriff für Therapie und Lehre. Weltbekannt wurde sie durch ihre Forschung. So gelangen Wissenschaftern der Hadassah Durchbrüche in der embryonalen Stammzellforschung und in der Genomforschung.

Medizin im Krisengebiet

Doch was im Krisenherd Israel nicht minder wichtig erscheint: Hadassah forciert Projekte in den umliegenden palästinensischen Gebieten. "Krankheiten sind grenzüberschreitend, wenn Hepatitis ausbricht, ist das ansteckend und betrifft uns gemeinsam", sagt Shaked. Hadassah unterstützt über die Organisation "Physicians for Human Rights" Krankentransporte aus den palästinensischen Gebieten. An den Hadassah-Spitälern selbst erhalten jährlich acht bis zehn palästinensische Ärzte eine Anstellung, um so ihre Fachausbildung zu absolvieren. Ihr Gehalt wird von der österreichischen Karl Kahane Foundation finanziert. Mittlerweile gibt es 42 "Karl Kahane-Fellows", die in den palästinensischen Gebieten arbeiten, den Kontakt mit ihren Kollegen in Israel jedoch aufrechterhalten und sich über schwierige Patienten fachlich austauschen

Hadassah unterstützt aber auch viele Projekte zur Kindergesundheit: Ein Team von Herzchirurgen ist auf die Operation der sogenannten "Blauen Babys" spezialisiert, eine sehr häufige genetische Erkrankung bei Palästinensern. Seit mehr als zehn Jahren operieren Eli Milgalter, Jude aus Jerusalem, und Bashir Marzouka, Palästinenser aus Bethlehem, Seite an Seite.

Die Abteilung der Kinderpsychiatrie der Hadassah hat sich auf Traumabehandlung von Kindern spezialisiert - in diesem Zusammenhang wurde auch ein Jugendpsychiater aus Gaza ausgebildet. Auch die Knochenmarkspendezentrale für arabische Leukämie-Patienten gilt als bis jetzt einzigartig in der gesamten Region. "Deshalb behandeln wir auch viele Patienten aus dem gesamten arabischen Raum", stellt Susanne Shaked klar. All das funktioniere, weil das gemeinsame Ziel das Wohlbefinden und die Gesundung der Patienten ist.

In Zusammenarbeit mit staatlichen Institutionen ist Hadassah in Katastropheneinsätzen im Vorderen Orient und weltweit tätig. Verletzte werden nach Israel transportiert und dort behandelt, wobei die Kosten von Hadassah getragen werden. Darüber hinaus vergibt die Organisation Stipendien für Studierende aus Entwicklungsländern, führt Massenimpfungen an Kindern in gefährdeten Gebieten durch und hilft Kollegen in Afrika beim Aufbau eines lokalen Gesundheitswesens.

Die Ursprünge

Die Idee zur Organisation feiert 2012 ihr 100-Jahre-Jubiläum: Henrietta Szold, geboren 1860 in Pressburg, schloss sich in New York einem Kreis von Anhängern um Ascher Ginzberg an. Dieser sah im Zionismus eine kulturelle, religiöse und erzieherische Aufgabe und lehnte den politischen Zionismus ab. 1909 reiste Szold mit ihrer Mutter nach Palästina. Die dort herrschenden mangelnden hygienischen und sanitären Bedingungen, unzureichende ärztliche Versorgung, die hohe Sterblichkeit von Müttern bei der Geburt und die unaufhaltsame Verbreitung von Typhus, Tuberkulose, Cholera und Malaria ließen in ihr den Gedanken heranreifen, Hadassah zu gründen. Der Name "Hadassah" bezieht sich auf den hebräischen Namen der Königin Esther, die Juden vor der Vernichtung durch den Wesir Haman bewahrte.

Das erste Hadassah-Ambulatorium wurde am 23. März 1913 in Mea Shearim, dem orthodoxen Viertel Jerusalems, gegründet und war damals auf Gynäkologie, aber auch auf Augenheilkunde spezialisiert.

Neue Standorte

Nach und nach wurden weitere medizinische Einrichtungen in Jaffa, Tiberias und Safed gegründet, und 1918 wurde in Anwesenheit der späteren Hadassah-Präsidentin Alice L. Seligsberg in Jerusalem im alten Rothschild-Spital aus dem Jahr 1854 die erste moderne Klinik eröffnet. Der Augenarzt Albert Ticho - er und seine Frau Anna studierten in Wien - hatte es gemeinsam mit seinem Kollegen Chaim Yassky geschafft, die in Palästina grassierenden Erblindungen von Kindern infolge der Krankheit Trachom einzudämmen.

Henrietta Szold war auch Mitglied der Friedensbewegung "Brith Shalom", die das Ziel verfolgte, einen Weg der Verständigung zwischen der jüdischen und der arabischen Bevölkerung Palästinas zu suchen. Dennoch wurde Hadassah als Pionierprojekt im Bereich der Krankenpflege anfangs fast nur von Frauen unterstützt. Ihr Ziel: ein funktionierendes Gesundheitsversorgungssystem zu schaffen und zu erhalten, dessen Einrichtungen nach und nach den zuständigen Gemeinden übereignet wurden.

Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten bemühte sich Henrietta Szold um die Rettung jüdischer Kinder nach Palästina und suchte nach Möglichkeiten, die von den Briten beschränkten Einwanderungsbestimmungen zu umgehen. Ärzte, die aus Deutschland geflüchtet waren, und Vertreter der "Österreichischen Schule" fanden im Hadassah-Krankenhaus am Mount Scopus Arbeit und begründeten ihren Ruf. Finanziert wird Hadassah ausschließlich über Spenden aus der ganzen Welt.

"Trotz der schwierigen politischen Situation bemühen wir uns, in den Spitälern der Hadassah allen Menschen der Region auf unkomplizierte Weise Zugang zu medizinischer Versorgung zu ermöglichen", sagt Shaked. Sie weiß: Es ist möglich. (Hans Stephan Grasser, DER STANDARD Printausgabe, 27.12.2011)