Aleksandar Dragovic über die riskante Offensiv-Philosophie seines Ex-Trainers Thorsten Fink: Wir sahen uns als Innenverteidiger immer Eins-gegen-Eins-Situationen gegenüber, waren konteranfällig. Aber es war ein Spektakel für die Fans."

Foto: derStandard.at

Der FC Basel ist nicht der FC Barcelona: "Barca verteidigt sehr hoch, mit dem Unterschied zu uns: Sie verlieren in der Offensive keinen Ball", sagt Dragovic im Gespräch mit derStandard.at-Redakteur Florian Vetter.

Foto: derStandard.at

Bild nicht mehr verfügbar.

Gegen Servette Genf traf Dragovic für Basel.

Foto: Reuters/Wiegmann

Wien - Für Aleksandar Dragovic läuft es dieser Tage beim FC Basel nicht schlecht: In der Champions League im Achtel­finale, in der Liga auf Meisterkurs. Im Interview mit derStandard.at spricht der Ex-Austrianer und ÖFB-Teamspieler über unterschiedliche Spielphilosophien, den Lernprozess Champions League und die Basler Fans. Philip Bauer und Florian Vetter fragten nach.

derStandard.at: Ihr Wechsel in die Schweiz war für viele Beobachter nicht nachvollziehbar. Nun sind Sie Meister, Tabellenführer und stehen nach einem Sieg über Manchester United im Achtelfinale der Champions League. War der Sprung zu Basel die beste Entscheidung Ihres Lebens?

Dragovic: Jeder soll sich seine eigene Meinung bilden. Der Trainer wollte mich unbedingt haben. In der Champions League gibt es keinen anderen 20-jährigen Innenverteidiger, der so viel Spielpraxis bekommt. Ich bin dem Klub dankbar, dass er mir die Chance gibt, diese Erfahrung zu machen.

derStandard.at: War es ein Mitgrund für Ihre Entscheidung, dass der Schweizer Meister einen Fixplatz in der Königsklasse hat?

Dragovic: Das habe ich am Anfang gar nicht gewusst. Aber Basel ist bekannt dafür, immer im Europacup zu spielen. Das war schon ein wichtiger Faktor. Bei der Austria musste man immer kämpfen und hoffen, dass man einen leichten Gegner bekommt.

derStandard.at: Wie läuft so ein Entscheidungsprozess ab? Wie sind Sie auf Basel gekommen?

Dragovic: Als ich auf Basel angesprochen wurde, war mein erster Gedanke: Die Schweizer Liga ist ähnlich wie die österreichische, das interessiert mich nicht. Als ich dann vor Ort war, haben mich aber Klub und Präsidium überzeugt. Mit meiner Familie habe ich alle Vor- und Nachteile abgewogen. Für mich war das Wichtigste, dass ich Spielpraxis bekomme. Die Chance habe ich bei Basel gesehen.

derStandard.at: Wer hat den Deal letztendlich eingefädelt?

Dragovic: Das war Vladimir Jugovic. Dafür bin ich ihm sehr dankbar, es gab aber keine weitere Zusammenarbeit. Ich habe keinen Manager und werde auch in Zukunft keinen haben. Für seriöse Angebote bin ich offen, man kann mich kontaktieren.

derStandard.at: Der ehemalige Basel-Trainer Thorsten Fink machte sich seinerzeit für ihre Verpflichtung stark. Waren Sie enttäuscht als er zum HSV ging?

Dragovic: Natürlich. Aber im Fußballleben muss man sich schnell an neue Situationen gewöhnen. Man wird schnell vergessen. Ein Teil des Champions League-Erfolges gehört aber auch Fink.

derStandard.at: Der bisherige Interimstrainer Heiko Vogel ist mittlerweile eine Dauerlösung, sein Vertrag wurde bis 2014 verlängert. Was macht ihn aus?

Dragovic: Heiko war schon als Co-Trainer der beste Assistent, den man sich vorstellen kann. Er ist ein Taktikfuchs, kennt alle gegnerischen Mannschaften auswendig.

derStandard.at: Man hört, dass die Basler Fans sehr kritisch sein können. Ein Dress wurde Ihnen einmal zurückgeworfen. Spüren Sie Druck von Seiten der Tribüne?

Dragovic: Druck ist das falsche Wort. Wir haben die besten Fans in der Schweiz, sie sind sehr emotional. Als wir zu Saisonbeginn nur auf Platz acht lagen, gab es viel Kritik. Da war es nach einem schlechten Spiel besser zu Hause zu bleiben, als in die Stadt zu gehen.

derStandard.at: Der Verein hat im Schnitt 30.000 Zuschauer. Kann da die Liga neben der Champions League überhaupt zum grauen Alltag werden?

Dragovic: Nein, man ist als Spieler viel motivierter, wenn im Stadion immer tolle Stimmung ist. Dass eine Stadt so fußballverliebt sein kann, hätte ich nie geglaubt. Es gibt zwar in Basel noch einen Eishockeyverein, aber es dreht sich definitiv alles um Fußball.

derStandard.at: Der Schweizer Fußball im Kontrast zur Österreich: Wie unterscheidet sich das Training beim FC Basel von jenem bei der Austria?

Dragovic: Vielleicht wird eine Spur professioneller gearbeitet. Wir haben zum Beispiel einen Mann, der nur für Videoanalyse zuständig ist. Er filmt auch das Training. Das hat es bei der Austria nicht gegeben.

derStandard.at: In welchen Bereichen werden in Basel die Schwerpunkte in Sachen Training gelegt?

Dragovic: Wir sollen schön spielen und nicht grätschen. Taktik ist ein großes Thema. Wir wissen über jeden Gegner genau Bescheid, sogar wann er schlafen geht (lacht). Wir beschäftigen uns auch mit den Tendenzen von Spielern in Matchsituationen. Dass der Stürmer X zum Beispiel immer links vorbeidribbeln will. Oder wann er einen Trick probiert.

derStandard.at: Mit Ihnen und David Alaba stehen zwei Spieler aus der Austria-Akademie im Achtelfinale der Champions League. Haben Sie die bestmögliche Fußball-Ausbildung genossen?

Dragovic: Wir haben im Austria-Nachwuchs immer viel Technik trainiert. Jetzt hat sich die Arbeit ausgezahlt. Weil wir international erfolgreich sind, heißt das aber nicht gleich, dass die Austria die beste Nachwuchsarbeit betreibt. Da ist natürlich auch Zufall dabei.

derStandard.at: Sie sagen, sie hätten mit 20 Jahren noch lange nicht ausgelernt. Wo gibt es das größte Steigerungspotenzial und in welchen Bereichen haben Sie sich im letzten Jahr verbessert?

Dragovic: Kein Mensch ist perfekt, man lernt ja nie aus. Ich kann mich im Kopfballspiel und mit meinem linken Fuß verbessern, dafür trainiere ich täglich. Am Anfang der Saison war ich noch nicht gut in Form. Nun habe ich aber gelernt, konstant zu spielen. Bei der Austria hatte ich auch immer meine Hochs und Tiefs, aber ich denke, das ist normal bei jungen Spielern.

derStandard.at: Sind die Spiele in der Champions League nicht ein extrem fördernder Lernprozess?

Dragovic: Auf jeden Fall. Jeder Fehler den du machst, wird beinhart bestraft. Das kann man nicht mit Spielen in der Liga vergleichen. Das muss man erleben, durch solche Partien wird man besser. Spiele gegen Xamax, Bellinzona oder in Österreich gegen Kapfenberg oder Mattersburg sind für die Fische.

derStandard.at: Ist es auch wichtig zu sehen, dass man gegen die stärksten Gegner bestehen kann?

Dragovic: Natürlich. Der Unterschied zu den Stars ist nicht so groß, wie man glaubt. Es sind oft die kleinen Details die einen internationalen Top-Spieler von einem Bundesligaspieler unterscheiden. Es heißt Rooney ist ein Ausnahmetalent, er hat aber auch nur zwei Beine.

derStandard.at: Sie sagen, dass bei Basel höher verteidigt wird als bei Austria Wien. Wie schwierig war die Umstellung für Sie?

Dragovic: Unter Thorsten Fink haben wir höher verteidigt, bei Heiko stehen wir wieder tiefer. Fink hatte eine offensive Philosophie. Damit wurden zwei Titel geholt, also hat es sich ausgezahlt. Wir hatten 70 Prozent Ballbesitz, bekamen im Konter aber auch leicht Gegentore. Wir wollten den Zuschauern ein Spektakel bieten, uns war ein 4:3 lieber als ein 1:0. Unter Vogel stehen wir defensiver, haben in den letzten Spielen sehr wenig Gegentore bekommen.

derStandard.at: Stichwort Höher verteidigen: Wie kann man das messen?

Dragovic: Wir sahen uns als Innenverteidiger immer Eins-gegen-Eins-Situationen gegenüber. Normalerweise sollte ein Spieler absichern, das haben wir nie gemacht. Der Gegner sollte zum Ballverlust gezwungen werden, eine riskante Sache. Besser schaut es für die Verteidigung und die Scouts natürlich aus, wenn wir wenige Gegentore bekommen.

derStandard.at: Geht es dabei um die Anpassung an den modernen Fußball oder ist es eine Frage der Spielphilosophie?

Dragovic: Es ist eine Frage der Philosophie. Barcelona verteidigt auch sehr hoch, mit dem Unterschied zu uns: Sie verlieren in der Offensive keinen Ball. Wenn man früh attackiert, muss man auch die Bälle halten. Wir haben Bälle verloren und waren konteranfällig. Das ist der Unterschied zwischen dem FC Basel und dem FC Barcelona.

derStandard.at: Manche Kritiker meinen, Karl Daxbacher wäre oft zu ängstlich. Wenn die Austria in Führung liegt, spiele sie zu defensiv. Wie ist Ihre Meinung als Ex-Spieler?

Dragovic: Die Kritiker sollten sich die Ergebnisse anschauen. Daxbacher ist mit der Austria vor zwei Jahren Cupsieger geworden und hat mit einer sehr jungen Mannschaft zweimal sehr knapp den Titel verpasst. Er hat für einen Umschwung gesorgt, seit Stronach weg ist. Dafür gebührt ihm Lob. Die Austria hatte auch viel Pech: letztes Jahr das Handspiel in Wr. Neustadt, im Jahr davor spielte Sturm im letzten  Spiel mit der B-Truppe gegen Red Bull. Bei der Austria gab es jedes Jahr eine schwierige Phase. Vor zwei Jahren war diese bittere 1:5-Niederlage gegen Salzburg. Drei Tage später haben wir Rapid geschlagen. Da muss die Mannschaft jetzt durch.

derStandard.at: Werden Sie am Donnerstag gegen Malmö FF im Stadion sein?

Dragovic: Auf jeden Fall. Die Austria ist mein Herzensverein.

derStandard.at: Sie sehen Ihre langfristige Zukunft in England. Gibt es Grenzen oder ist jeder Verein erreichbar?

Dragovic: Jetzt erleben wir natürlich ein Hoch. Und weil wir Manchester geschlagen haben, glauben jetzt viele, dass wir auch Real schlagen können. Wir müssen aber realistisch bleiben, da war auch eine große Portion Glück dabei wenn ich an den Lattenschuß von Steinhöfer denke. Ich will mich jetzt bei Basel weiterentwickeln, fühle mich wohl und habe keine Wechselabsichten. Mein Ziel bleibt aber England.

derStandard.at: Kommen wir zum Thema Nationalteam: Wenn Basel Manchester schlägt, kann Österreich auch zur WM nach Brasilien fahren, oder?

Dragovic: Sicher. Österreich hat so viele Legionäre wie noch nie. Das Spiel unter dem neuen Teamchef in der Ukraine war ein Fortschritt. Wir dürfen aber nicht nur jedes fünfte Match gut spielen.

derStandard.at: Hatten Sie zuletzt Kontakt mit Marcel Koller?

Dragovic: Er hat mir per SMS zum Sieg gegen Manchester gratuliert.

derStandard.at: Sie haben keinen Stammplatz in der Innenverteidigung, der Konkurrenzkampf ist groß. Ist das nicht auch ein Qualitätsmerkmal für das Team?

Dragovic: Auf jeden Fall. Bei uns im Verein gibt es viel Lob für das österreichische Nationalteam. Alexander Frei findet, dass wir eine unglaublich gute Mannschaft mit starken Spielern haben, wir machen nur zu wenig daraus. Unser Potenzial wird im Ausland wahrgenommen. Es fehlen nur die Erfolge.

derStandard.at: Es heißt, Sie würden im Team mit Marko Arnautovic gut auskommen. Wird ihm medial Unrecht getan?

Dragovic: Viele österreichische Journalisten schreiben Dinge, die nicht wahr sind. Über Marko wird immer negativ berichtet. Er hat als Spieler die außergewöhnlichsten Fähigkeiten. Jeder Mensch hat einmal Aussetzer. Ich kenne ihn gut, er ist ein super Kerl. Man kann mit ihm reden.

derStandard.at: Auch Sie sind nicht kleinlaut: "Rooney war ein Totalschaden", "Young Boys Bern ist eine kaputte Mannschaft". Haben Sie keine Angst als "Großmaul" zu gelten?

Dragovic: Es ist mir egal, was die Zeitungen schreiben. Sie machen im Endeffekt auch nur ihren Job. Ich kann damit leben. Bei Rooney habe ich übertrieben. In dem Spiel war er aber nicht gut, das ist ein Faktum. Aber deswegen muss man ihn nicht schlecht reden. (derStandard.at, 14.12.2011)