In ihrem Container haben es sich die "Marsianer" gemütlich gemacht. Nach eineinhalb Jahren dürfen sie nun bald raus.

Foto:ESA

Romain Charles träumt von Croissants. Außerdem will der Franzose nun wieder einmal die Sonne genießen, wie es in seiner jüngsten Audiobotschaft aus dem Raumschiff der Mission Mars500 heißt. Er und die fünf anderen Marsianer, die nie die Erde verließen, haben es bald geschafft. Nach eineinhalb Jahren geht das Isolationsexperiment kommenden Freitag zu Ende. Wenn sich die Luke des Containers öffnet, werden Charles, Diego Urbina aus Italien, die drei Russen Sukhrob Kamolow, Alexei Sitew und Alexandr Smoleewski sowie Wang Yue aus China russischen Boden betreten - und, wie schon zu Beginn der Simulation, weltweites Medienecho auslösen. Die Pressekonferenz in Moskau vier Tage nach der "Landung" ist längst ausgebucht.

520 Tage, das ist die Dauer, die nach derzeitigem Stand der Wissenschaft für einen Flug zum Mars, einen Spaziergang auf dem roten Planeten und für die Rückreise einkalkuliert werden muss. Die Technik ist nicht unbedingt das Hauptproblem bei der Planung zukünftiger Raumflüge, da ein Großteil der benötigten Technologien bereits vorhanden ist oder in naher Zukunft verfügbar sein wird. Die große Unbekannte ist das menschliche Verhalten und das Zusammenspiel unter den Besatzungsmitgliedern während eines Langzeitaufenthalts auf engem Raum und unter Stress. Dies steht im Mittelpunkt beim 15 Millionen Dollar teuren Mars500-Experiment, das von der russischen Weltraumagentur Roskosmos und der europäischen Weltraumorganisation Esa durchgeführt wird.

Die "Marsonauten" seien wohlauf, sagte der russische Versuchsleiter Jewgeni Djomin zuletzt. "Ihre geistige und körperliche Verfassung ist normal. Keine Klagen" , heißt es offiziell. Doch vor knapp zwei Monaten stand das Projekt am Rande des Abbruchs: die Monotonie des simulierten Rückflugs machte den Männern schwer zu schaffen, trotz Ablenkungsmöglichkeiten (Video, Fitness, Schlagzeugspielen) nahm die Langeweile bedenkliche Ausmaße an. Auch die anfänglich als witzig beschriebene Bordsprache "Russglisch" ging allen auf die Nerven. Im Mission-Control-Center am Institut für Biomedizinische Probleme in Moskau entschied man sich schließlich dafür, die Eingeschlossenen mit Angehörigen sprechen zu lassen, um den Lagerkoller zu überwinden. Mit Erfolg. Mit seiner Mutter zu plaudern sei für ihn die schönste Überraschung gewesen, erklärte danach der italienische Spacecowboy.

Mars500, dessen Container aufgrund seiner vielen Kameras an Big Brother erinnert, ist die bisher längste Weltraumsimulation. Kritiker bemängeln, dass sich die Ergebnisse nicht auf einen echten Flug übertragen ließen, weil keine Schwerelosigkeit herrsche. Doch auch hier wurden bei Mars500 Simulationen durchgeführt: Um Muskelschwund herbeizuführen, mussten drei Crewmitglieder 30 Tage im Bett liegenbleiben.

Die Ergebnisse von Mars500 werden auf jeden Fall mit der Untersuchung des längsten tatsächlichen Weltraumaufenthalts verglichen. Der russische Kosmonaut Waleri Poljakow harrte Mitte der 90er-Jahre 438 Tage in der Raumstation Mir aus, das Grazer Institut für Raumfahrtphysiologie wertete dabei Daten aus. Unter anderem wurde festgestellt, dass in der Schwerelosigkeit der Herzschlag allein ausreicht, um den Körper in Vibration zu versetzen. (Michael Simoner/DER STANDARD, Printausgabe, 31. 10. 2011)