Daniel Libeskind: "Gerade in Krisenzeiten sollte man nicht mittelmäßig werden."

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STANDARD: Mit dem gläsernen Keil haben Sie eine Art "Wahrzeichen" für die Stadt entworfen. Warum?

Libeskind: Ich wollte kein Gebäude, das über eine eindrucksvolle Fassade verfügt. In einer nichtdemokratischen Gesellschaft kann man "Krieg" und "Militär" hinter dicken Mauern verstecken und vorgeben, dass alles in Ordnung sei. Aber in einer Demokratie muss die eigene Militärgeschichte Teil der gesellschaftlichen Auseinandersetzung sein.

STANDARD: Was bedeutet das gläserne V, das sich wie ein stilisierter Jagdbomber in das Gebäude bohrt?

Libeskind: Der gläserne Keil soll einen Dialog zwischen dem historischen Gebäude und dem neuen Teil herstellen. Dort führt eine Aussichtsplattform, von der die Besucher die Schönheit Dresdens bewundern können, seine Topografie, seine Verletzlichkeit und Widerstandsfähigkeit angesichts der Kriegsgeschichte vor. Geschichte ist nicht etwas, was einmal war.

Das Militär ist auch ein Teil unserer Demokratie. Das gilt für Deutschland, die USA, Großbritannien und Frankreich. Es gibt Kriege in Afghanistan, im Irak. Vor diesen Auseinandersetzungen können wir unsere Augen nicht verschließen, besonders nicht in Deutschland mit seiner Vergangenheit. Das MHM beschäftigt sich mit Katastrophen, Kriegsverbrechen und den Folgen: für die Soldaten und die Familien zu Hause. Es ist ein Museum für Menschen verschiedener Generationen und Nationalitäten. Es geht um das Menschsein.

STANDARD: Ihre Entwürfe stehen für Gebäude, die ikonografisch aus dem Stadtbild hervorstechen. Wird die Finanzkrise diesem Trend ein Ende setzen?

Libeskind: Finanzkrisen zeigen eines: Gerade in Krisenzeiten sollte man nicht mittelmäßig werden. Jetzt ist nicht die Zeit, große Ideen fallenzulassen und kleine zu verfolgen. Im Gegenteil. Jetzt ist es Zeit umzudenken, sich größerer Zusammenhänge zu besinnen. Wir haben ja während der Finanzkrise gesehen, dass sehr viel Geld verschwendet wurde, nur um kurzfristige Gewinne zu machen. Jetzt brauchen wir eine nachhaltige Architektur. (Michael Marek, DER STANDARD/ALBUM - Printausgabe, 22./23. Oktober 2011=