SCHÜLERSTANDARD: Welche Probleme haben Jugendliche mit Migrationshintergrund?

Faßmann: Da würde ich stark differenzieren. Es gibt nicht "die Migration" und "den Migrationshintergrund", sondern ganz unterschiedliche Milieus. Wenn es bestimmte Problembereiche gibt, dann sind es jene, die auch für inländische Jugendliche gelten, etwa eine geringe Schulbildung oder gar keinen Schulabschluss zu haben. Und das formatiert sich meistens zu Problemen bei der Platzierung im Beschäftigungssystem.

SCHÜLERSTANDARD: Wie ist es mit der Identitätsbildung bei Jugendlichen mit Migrationshintergrund?

Faßmann: Sehr unterschiedlich, weil man nicht von "den Jugendlichen" und "dem Migrationshintergrund" sprechen kann. Ich glaube, wir haben hier die gesamte Palette von "Ich lass mich zu 100 Prozent auf Österreich ein" bis zu "Ich habe immer noch einen Rückkehrwunsch, eine Orientierung am eigenem Herkunftsland oder am Herkunftsland meiner Eltern". Die Identitätsfrage wird in den Vordergrund gerückt, ich glaube aber, es ist für die Jugendlichen viel wichtiger, welche Chancen sie in der Gesellschaft haben.

SCHÜLERSTANDARD: Aus der GfK-Umfrage im Integrationsbericht 2011 des Österreichischen Integrationsfonds geht hervor, dass 65 Prozent der Österreicher die Integration als eher oder sehr schlecht funktionierend empfinden. Trägt die österreichische Mehrheitsgesellschaft dazu bei?

Faßmann: Dieser hohe Wert der Unzufriedenheit ist ein hoher Wert der Unzufriedenheit mit der Politik und mit dem politischen Diskurs über Integration, weniger aber mit der realen Situation. Denn real funktioniert die Integration in Österreich viel besser, als es ihr Ruf aussagt. Ob Österreicher selbst viel dazu beitragen, ist durchaus eine berechtigte Frage. Denn Integration ist immer ein zweiseitiger Prozess. Wo die einen Platz nehmen wollen, müssen die anderen auch Platz geben.

SCHÜLERSTANDARD: Im Integrationsbericht wurden 20 Vorschläge zur Verbesserung der Integration gemacht. Wie effektiv sind diese?

Faßmann: Die Effektivität zeigt sich erst einige Jahre, nachdem sie implementiert wurden. Was hier wichtig ist, ist die Aufforderung, zielgerichtet etwas zu tun. In erster Linie Richtung Schule, Bildung und Spracherwerb.

SCHÜLERSTANDARD: Was sind die Schwachpunkte der Integration in Österreich?

Faßmann: Ich sehe Schwachpunkte im Bildungsbereich. Zuwanderern der zweiten und dritten Generation gelingt es nicht, in der gleichen Geschwindigkeit an Bildungsprozessen teilzunehmen wie der Bevölkerung ohne Migrationshintergrund. Durch diese Schwachstelle werden auch soziale Statuspositionen zu stark vererbt, und man hat zu wenig Möglichkeit, sich davon zu lösen.

SCHÜLERSTANDARD: Welche Rolle spielen Sprachprobleme?

Faßmann: Eine große Rolle. Sprache ist nicht nur Kommunikation, Verständigung und Austausch von Informationen, sondern sie dient in jeder Gesellschaft als Selektionsinstrument. Wer die Sprache nicht perfekt beherrscht, beweist: "Ich gehöre nicht dazu", oder die andere Seite, die Mehrheitsgesellschaft, interpretiert das so.

SCHÜLERSTANDARD: Welche Anreize könnte der Staat für solche Jugendlichen schaffen?

Faßmann: Eine Sache, die auch wir vorgeschlagen haben, ist so etwas wie eine Koppelung zwischen Integrationsprozessen und rechtlicher Etablierung. Konkret gesagt: Wer Integrationsfortschritte zeigt, kann auch eine raschere Staatsbürgerschaftsverleihung erleben. Die Belohnung wäre dann: "Du gehörst zu uns." (Nico Raschner, Corina Längle, DER STANDARD, Printausgabe, 21.9.2011)