Die palästinensisch-italienische Journalistin Rula Jebreal bei ihrer Buchpräsentation in Jerusalem

Foto: Andreas Hackl

Rula Jebreal betritt den vollen Saal im American Colony Hotel in Jerusalem. Bevor sie etwas sagt, geht sie ein Stück von dem kleinen Tisch aufs Publikum zu, lehnt sich nach vorne und bittet eine Frau darum, ihr das Buch, dass sie in der Hand hält, zu leihen. Darauf steht: „Miral".

Es erzählt die Geschichte eines jungen palästinensischen Mädchens, das mit fünf Jahren nach dem Selbstmord ihrer Mutter in das Jerusalemer Waisenhaus Dar al-Tifl kommt. Dann bricht die erste Intifada aus. Das Mädchen rebelliert, geht auf die Straße und riskiert viel. „Mama Hind", wie die Dar al-Tifl Gründerin Hind Husseini von ihren Kindern genannt wurde, schickt sie 1988 mit anderen Schülerinnen in Flüchtlingslager. Sie unterrichten dort, weil die Schulen des UN-Flüchtlingshilfswerks (UNRWA) vom israelischen Militär geschlossen wurden. Das Mädchen wird bald älter. Mit 19 bekommt sie ein Stipendium für Italien und verlässt ihre Heimat.

Das ist die Kurzfassung der Jugendgeschichte von Rula Jebreal, die heute eine 38-jährige, in Italien berühmte Journalistin ist. „Ich wuchs mit der Idee auf, dass wenn ich wirklich will, alles möglich ist. Das habe ich von Hind Husseini, die alles für uns Mädchen möglich gemacht hat", sagt sie zu Beginn ihrer Buchvorstellung. Sie streckt ihre Hand in Richtung Fenster, zeigt mit dem Finger nach draußen. Dort, nur wenige Meter entfernt vom prunkvollen American Colony Hotel, hat sie gelebt. Damals sei sie oft am Fenster gesessen, hat vom Waisenhaus herüber geschaut und die feiernden Gäste bewundert.

Rula Jebreal hat in Bologna zuerst Physiotherapie studiert, wollte aber Journalistin werden. Sie erzählt, wie sie zu ihrer ersten Story gefunden hat. Ein arabischer Junge hatte ihr in der Universität Haschisch angeboten. Sie wollte wissen, warum er das macht, woher das Gras kommt, wie es funktioniert und fand heraus, dass die italienische Mafia die Jugendlichen hierher bringt, dass am Dach der Universität jemand Wache hält, und recherchierte weiter. Darüber hat sie dann ihre erste Geschichte geschrieben. Ein befreundeter Redakteur hat den Text gelesen, fand ihn gut und bot ihr einen Job an. Später wurde sie wegen einem Artikel über die Intifada in eine Fernsehshow eingeladen. Woraufhin sie der Direktor des Kanals gleich als Nachrichtensprecherin einstellte.

Doch das Buch Miral ist für Rula mehr als nur eine weitere Geschichte in ihrer Karriere als Journalistin und Autorin. „Für mich war es Selbstbefreiung", sagt sie. Nur so konnte sie im Reinen mit ihrer Vergangenheit sein. Ihre Offenheit haben Bekannte in der Altstadt von Jerusalem, wo sie gelebt hat bevor sich ihre Mutter das Leben nahm, scharf verurteilt. „Ich habe die Wahrheit über die sexuelle Vergewaltigung meiner Mutter erzählt, aber für diese Leute habe ich die Ehre meine Mutter verraten."

Ihre Tochter habe sie im Flugzeug nach Israel gefragt, was sie in der nahen Zukunft noch vorhabe. „Ich weiß, dass ich vor allem mit und über Frauen arbeiten will", lautete ihre Antwort. Sie erzählt von Mädchen, die oft keine andere Wahl haben, als jemanden zu heiraten, der doppelt so alt ist wie sie. Wie für Hind Husseini ist auch für Rula Bildung der Schlüssel zu einem selbstbewussten Leben junger Frauen. „Früher fühlte ich mich oft dünn, schwach und jung. Aber was ich hatte, war ein schlauer Kopf." Das sei wichtig, damit sich Jugendliche ausdrücken können. „Denn was ist es, das Gewalt und Patronen loslässt? Es ist die Unfähigkeit der Menschen, sich auszudrücken."