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In Bhutan steht das "Brutto-Nationalglück" (Gross National Happiness) im Zentrum, nicht nur das Wirtschaftswachstum.

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DER STANDARD-Schwerpunkt Thema Glück

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Thimphu/Wien - Wenn sich der Abend über Thimphu legt, übernimmt hundertfaches Hundegekläff die Herrschaft über den malerisch gelegenen Talkessel im Himalaya. Tausende räudiger Straßenköter streunen jaulend durch die Hauptstadt des Königreiches Bhutan, blockieren Straßen, nehmen Häuser in Beschlag. Die Behörden unternehmen nichts dagegen. "Wer sich bleibende Verdienste erwerben will", heißt es in einem alten Sprichwort, "der sei freundlich zu Hunden." Denn die hätten die größten Chancen, als Menschen wiedergeboren zu werden. Die buddhistischen Bhutaner halten sich daran. Und das ist nicht die einzige Eigenheit, die in dem kleinen Himalaya-Königreich gepflogen wird.

Bhutan, das "Land des Donnerdrachen", ist eines der am wenigsten entwickelten Länder der Welt. Im Human Development Index belegt es Platz 132 von 182. Zwei Drittel der 700.000 Einwohner des Königreichs leben als Subsistenz-Bauern, die sich - wenn es optimal läuft - gerade einmal selber versorgen können. Und dennoch nimmt Bhutans Regierung nicht jeden Cent an Entwicklungshilfe an, den sie bekommen kann. Denn für Bhutan zählt nicht bloß Prosperität, es zählt das "Brutto-Nationalglück" (Gross National Happiness) als dominante Größe.

Exzentrischer Versuch

Den Begriff hat der damalige König Jigme Singye Wangchuck vor 25 Jahren geprägt. Und was einigermaßen exzentrisch klingt, ist der Versuch, das zwischen den Riesen China und Indien eingezwickte Land behutsam vom Mittelalter ins 21. Jahrhundert zu führen. Das Konzept hat etwas von autoritär verordneter Glückseligkeit, von buddhistischem Gleichmut und geschicktem Marketing vor allem für Westler, die darin ihre sentimentalen Bedürfnisse wiederzufinden glauben.

Erfolgreich allerdings war es allemal. In den vergangenen Jahrzehnten stieg die Lebenserwartung von knapp unter 40 auf über 65 Jahre, das Bruttonationaleinkommen von 50 auf 1900 US-Dollar pro Kopf. Die Elektrifizierung des Landes (auch mit Hilfe Österreichs, Bhutan ist ein Schwerpunktland der hiesigen Entwicklungszusammenarbeit) schreitet voran, das Bildungsniveau der Bürger steigt rasant: 1983 lag die Alphabetisierungsrate bei 21, heute beträgt sie über 50 Prozent.

Andere Segnungen der Zivilisation wurden wiederum langsamer eingeführt: Fernsehen gibt es in Bhutan seit etwas mehr als zehn Jahren und nur mit ausgesuchten Kanälen, Handys seit 2004. Das Rauchen ist seit einigen Jahren ausnahmslos abgeschafft - und wenn es sein muss, wird dieser Beitrag zum Brutto-Nationalglück auch mit Razzien und Festnahmen durchgesetzt.

Eingeführt wurde 2008 nach 100 Jahren absolutistischer Königsherrschaft auch die Demokratie und eine Verfassung, in der das Brutto-Nationalglück als Staatsziel verankert ist. König Jigme Singye Wangchuck hat den Prozess eingeleitet, dessen Sohn und nunmehriger Herrscher Jigme Khesar Namgyel Wangchuck Wahlen abhalten lassen, bei denen die Royalisten gewonnen haben. Eine staatliche Glückskommission, in der alle Regierungsmitglieder vertreten sind, beurteilt seither alle wichtigen Entscheidungen danach, ob sie den vier Glückskriterien der Verfassung entsprechen: Bewahren und Fördern der Kultur, Leben im Einklang mit der Natur, gerechte Wirtschaftsentwicklung und gutes Regieren.

Den Bhutanern scheint diese Art der Staatsführung zu gefallen, in einer Umfrage von 2007/2008 waren sie trotz großer Armut (50 Prozent der Bevölkerung lebten 2008 von weniger als zwei Dollar pro Tag) sehr zufrieden.

Die einzigen in der Tat unglücklichen Bürger leben im Ausland: Rund 70. 000 Bhutaner nepalesischer Abkunft, die nach Unruhen Anfang der 1990er-Jahre aus dem Königreich vertrieben wurden, leben immer noch in Flüchtlingslagern in Nepal. Etwa 40.000 von ihnen wurden vor allem in die USA expatriiert. Ein Rückkehrabkommen ins Land des Brutto-Nationalglücks ist gescheitert. (Christoph Prantner, DER STANDARD, Printausgabe, 22.6.2011)