Mag sein, dass Eva Glawischnig Politik auch aus einer persönlichen Betroffenheit macht. Die Bundessprecherin der Grünen ist Mutter zweier kleiner Kinder. Dem Schutzbedürfnis einer Mutter geschuldet mag der Kampf gegen Raucher sein. Das ist nachvollziehbar.

Das Rauchverbot in Lokalen ist weitgehend umgesetzt. Für Glawischnig nicht genug: Sie hat auch ein Rauchverbot in Gastgärten angeregt und zuletzt ein Verbot von Zigarettenautomaten gefordert.

Man kann es auch übertreiben.

Der Feldzug der grünen Parteichefin nimmt missionarische Züge an. Gibt's keine anderen Themen? Stimmt da die Prioritätenreihung noch?

Anderes Beispiel. Ein Radfahrer fährt gegen die Einbahn. Huch! Maria Vassilakou, Chefin der Wiener Grünen, Vizebürgermeisterin und als Stadträtin für den Verkehr verantwortlich, hat ein neues Feindbild entdeckt. Erstaunlich: Es sind Radfahrer. Die Rowdys nämlich. "Ich finde es unglaublich, wie manche Fahrradlenker rücksichts- und bedenkenlos Fußgeher, aber auch langsamere Radler in Gefahr bringen" , wettert Vassilakou in der Kronen Zeitung. "Das muss einfach abgestellt werden." Vassilakou plant einen "Knigge" für Radfahrer. Mit Verhaltensregeln sollen ungestüme Radfahrer zur Räson gebracht werden. Wieder neue Regeln, neue Paragrafen, neue Strafen. Auch Nummerntafeln für Radfahrer würden überlegt.

Geht's noch? Wurden Radfahrer früher nicht einst als grüne Stammwählerschicht betrachtet? Wen versucht die Wiener Vizebürgermeisterin mit ihrem Kampf gegen Fahrrad-Rowdys zu erreichen? Gibt es wirklich so viele Rowdys unter den Radfahrern, oder wird hier nicht künstlich ein neues Feindbild geschaffen?

Probleme zwischen Radfahrern und Fußgängern gibt es tatsächlich genug. Es sind aber nicht die rücksichtslosen Radfahrer schuld, sondern eine missratene Verkehrsplanung, die Radfahrer und Fußgänger auf der gleichen Verkehrsfläche zusammenführt. Bestes Beispiel ist die Wiener Ringstraße, wo Autofahrer ungehindert freie Fahrt haben, die Radfahrer aber fahrlässig auf Kollisionskurs mit Horden japanischer Touristen geleitet werden.

Aber vielleicht lässt sich die Geschichte mit den Fahrrad-Rowdys besser an die Kronen Zeitung verkaufen.

Dass Regeln und Gebote die neue Antwort der Grünen sind, irritiert nicht nur ihre Sympathisanten, sondern auch ihre Funktionäre. Die Grünen haben ihre Wurzeln in der Bürgerrechtsbewegung, die ihren Antrieb aus dem Widerstand gegen die Obrigkeit ableitete. Die Grünen haben ihre Wurzeln auch in der Anarchoszene, die aus dem gesellschaftlichen Reglement ausbrechen wollte. Umso überraschender ist es, dass die neue Generation der Grünen sich ausgerechnet als Vorreiterin einer Regulierungswut aufspielt, in der alles in Verbote und Gebote gegossen werden soll. In totaler Umkehr einstiger Legalize-it-Bestrebungen wird der Bürger gemaßregelt, wird Mündigkeit hinterfragt und Eigenverantwortung geringgeschätzt.

Die Tendenz ist erschreckend. Wer das weiterdenkt, landet in einem autoritären System. Wer sich das nicht vorzustellen vermag, wird immerhin die Lustfeindlichkeit der Grünen beklagen und ihre neue Kleinbürgerlichkeit bestaunen. Der öffentliche Raum soll offenbar reguliert werden: Wer gegen die Regeln verstößt, wird ausgeschlossen oder abgestraft. Die Grünen haben sich von der Ordnung vereinnahmen lassen. Sie sind spießig geworden. (Michael Völker, DER STANDARD; Printausgabe, 15.6.2011)