Milchkaffeefarbene Hautflecken unterschiedlicher Größe gelten als typisches erstes Zeichen der Neurofibromatose 1.

Foto: Irene Slavc/Medizinische Universität Wien

Sein Schicksal hat die Menschen berührt. „Der Elefantenmensch" Joseph Cary Merrick wurde im viktorianischen England von Schaustellern als Monster vorgeführt. Seine Deformierungen galten als beispielhaft für die entstellenden Auswirkungen der Neurofibromatose Typ 1. 

„Große plexiforme Neurofibrome können zu solchen extremen Entstellungen führen. Allerdings werden diese heute früher diagnostiziert und sind in dieser Ausprägung deshalb selten geworden", weiß Irene Slavc, Neuroonkologin an der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendheilkunde in Wien. Diese per se gutartigen Tumore, breiten sich entlang tiefer Nervengeflechte aus und gelten als pathognomonisch für die Neurofibromatose 1. Die operative Entfernung ist heikel und die mögliche Entartung ein lebenslanges und gefährliches Problem.

Kaffeeflecken und Tumore

Zudem bereiten plexiforme Neurofibrome mitunter Schmerzen und treten oft im jugendlichen Alter auf. Ein zwingendes Kriterium dieser Erkrankung sind sie jedoch nicht. „Meine Tochter wurde mit einem Cafe au lait-Fleck geboren", erzählt Anna Schnabl, Geschäftsführerin und Mitbegründerin der Selbsthilfegruppe NF-Austria. Milchkaffeefarbene Hautflecken unterschiedlicher Größe gelten als typisches erstes Zeichen der Neurofibromatose 1, besitzen für sich alleine jedoch keinerlei Krankheitswert. „Finden sich sechs oder mehr Cafe-au-lait-Flecken dann steht der Verdacht eine Neurofbromatose 1 im Raum ", beschreibt Slavc die diagnostisch wegweisende Pigmentierung. 

Sommersprossen in den Achselhöhlen oder der Leistengegend, Tumoren am Sehnerv (Optikusgliome, Anm. Red.), verbogene Schienbeine, eine Skoliose , runde bräunlich gefärbte Veränderungen in der Regenbogenhaut der Augen (Lisch-Knötchen, Anm. Red.) und kleine gutartige Geschwulste auf der Haut (kutane Fibrome, Anm. Red.) - Die Neurofibromatose 1, auch als Morbus Recklinghausen bekannt, hat einiges anzubieten, zeigt jedoch bei jedem Betroffenen ein ganz individuelles Gesicht. „Mein Tochter bewegte sich unbeholfen und hatte in der Volksschule Lernschwierigkeiten", erzählt Schnabl von einem weiteren Merkmal der unheilbaren Erkrankung. Die Diagnose Neurofibromatose 1 war bei ihrer Tochter zu diesem Zeitpunkt noch nicht gestellt. Der Kinderarzt hegte jedoch einen Verdacht und ordnete ein MRT des Schädels an. Im Bereich der Sehnervenkreuzung wurde der Radiologe dann fündig. Er ortete ein Optikusgliom.

Sehkraft erhalten

Im Kindesalter steht die Entwicklung von Optikusgliome bei der Neurofibromatose 1 häufig im Vordergrund. Diese Augentumore sind zwar gutartig, aufgrund ihrer Nähe zum Sehnerv aber nicht immer unproblematisch. „Kleinkinder sind augenärztlich schwierig zu untersuchen. Deshalb ist beim Verdacht auf eine Neurofibromatose 1, die Bildgebung des Kopfes im ersten Lebensjahr unerlässlich", so die Expertin Slavc. Therapeutische Konsequenz haben Optikusgliome bei Patienten mit NF 1 oft keine, denn in vielen Fällen bleibt ihre Größe fortwährend gleich. Nicht so bei Schnabls Tochter Tanja. Als die besorgte Mutter in Hamburg Hilfe bei dem Neurofibromatose-Experten Victor- Felix Mautner fand, lag die Sehleistung ihrer Tochter nur noch bei 30 Prozent. 

Mit einer Chemotherapie gelang es dem deutschen Spezialisten das Wachstum des Augentumors zu stoppen. 20 Prozent Sehkraft ist Tanja bis heute erhalten geblieben. Zwei plexiforme Neurofibrome wurden der jungen Frau im Laufe des Lebens bereits entfernt, verschont ist sie bislang von kutanen Neurofibromen geblieben. „Die Knötchen treten meist im Erwachsenenalter auf und werden von den Betroffenen als besonders störend empfunden", weiß Slavc.
Finden sich mehrere hundert kutane Neurofibrome, dann ist die Lebensqualität der Patienten nachvollziehbar beeinträchtigt. Die Läsionen sind zwar mittels Laser entfernbar, jedoch bleiben kleine Narben zurück und in vielen Fällen kommen neue Fibrome bald nach.

Psychosoziale Betreuung

Neben der Überwachung und Entfernung plexiformer und kutaner Neurofibrome, liegt das therapeutische Augenmerk in der psychosozialen Betreuung. Im Erwachsenenalter stehen kosmetische Probleme im Vordergrund. Kinder leiden vor allem aufgrund motorischer und kognitiver Defizite. „Eltern und Lehrer müssen lernen die Stärken der Kinder speziell zu fördern, und ihre Schwächen zu akzeptieren", betont Slavc. Im Wiener AKH bieten Neuropsychologen den kleinen Patienten ihre Hilfe an. Mit Aufmerksamkeitstraining, Ergo- Spiel- und Musiktherapie werden Entwicklungsverzögerungen kompensiert. 

Psychosoziale Unterstützung bekam Tanja keine, ihre berufliche und soziale Integration hat sie nicht zuletzt dem Engagement ihrer Mutter zu verdanken. Die Selbsthilfegruppe NF-Austria ist eine wichtige Anlaufstelle für offene Fragen geblieben und Schnabl bemüht sich weiter darum, die wenig bekannte Erbkrankheit mit Aufklärung ins öffentliche Bewusstsein zu rücken. "Auch unter Ärzten muss ein besseres Verständnis für die Erkrankung geschaffen werden, um Betroffene frühzeitig zu erkennen - insbesondere bei Kinder- und Schulärzten", ergänzt Slavc.

Mit der Monstrosität des Elefantenmenschen hat die Neurofibromatose 1 jedenfalls wenig zu tun. Und wie sich 2003 herausstellte hat Joseph Cary Merrick das Bild der Erkrankung auch zu Unrecht geprägt. Einer DNA-Analyse zufolge litt er nämlich unter dem Proteus-Syndrom. (derStandard.at, 05.2011)