Manuel Marinelli war zwei Monate an Bord der Rainbow Warrior II.

Foto: ZVG/Greenpeace

Fast jeder Aktivist träumt davon, einmal mit dem Flagschiff von Greenpeace zu segeln.

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Das Innere des Schiffs ist voller Andenken an vergangene Aktionen.

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In Hongkong projizierte Greenpeace "Lieber Energiesparen als große Kraftwerke bauen" auf ein Hochhaus.

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Seit acht Jahren engagiert sich Manuel Marinelli bei Greenpeace. Der 27-jährige Meeresbiologe aus Kärnten war schon beim Klimagipfel in Kopenhagen 2009, auf Tagungen in den USA und auf der Rainbow Warrior II bei ihrer eigentlich letzten Fahrt. Bis das AKW-Unglück in Japan alles veränderte. Im Moment befindet sich Marinelli in Kroatien auf einer meeresbiologischen Station und erklärt Schulklassen den Lebensraum Mittelmeer. Trotzdem will er irgendwann zurück auf die Warrior. Zumindest auf das Nachfolgeschiff, das im Oktober 2011 zu Wasser gelassen wird.

derStandard.at: Die Rainbow Warrior ist das Flaggschiff von Greenpeace. Gilt es unter Aktivisten als "Königsdisziplin", auf dieses Schiff zu kommen? Vor allem bei ihrer letzten Fahrt?

Manuel Marinelli: Es ist sicher ein großes Ziel von sehr vielen Aktivisten und etwas ganz Besonderes. Allein das Umfeld auf dem Schiff ist außergewöhnlich. Die Rainbow Warrior II ist seit dreißig Jahren im Einsatz – und nach jeder größeren Aktion kommen Einheimische an Bord und bringen Dankesgeschenke. Deshalb ist der Innenraum des Schiffes voll von solchen Gaben, wie zum Beispiel mit Paddeln aus der Südsee oder mit einem Schild eines indigenen Stammes in Kanada.

derStandard.at: Wie sind Sie auf die Rainbow Warrior II gekommen?

Marinelli: Greenpeace International hat mich im Mai 2010 angerufen und gefragt, was ich die nächsten sechs Wochen mache. Der Grund: Sie haben für die Warrior noch Taucher gesucht. Zwei Wochen nach dem Telefonat hätte ich eigentlich einen Job beginnen sollen, den ich aber sofort abgesagt habe. Zwei Tage später bin ich dann auf die Warrior geflogen und war bei einer Thunfischkampagne im Mittelmeer dabei. Das hat mir so gut gefallen, dass ich mich als Volontär gemeldet habe und im Oktober auf der Esperanza (Greenpeace-Schiff, Anm. d. Red.) war.

derStandard.at: Auch auf der vorläufig letzten Fahrt des Kultschiffs waren Sie mit dabei. Wohin ging die Reise?

Marinelli: Beim letzten Trip war ich rund zwei Monate an Bord. Ich bin in Hongkong aufgestiegen. Zur selben Zeit plante "China Light and Power" ein neues Atomkraftwerk in der Region und bewarb es mit dem Slogan "Clean. Safe. Sustainable." (Sauber. Sicher. Nachhaltig., Anm. d. Red.). Um gegen den Bau zu protestieren, projizierten wir den Satz "Lieber Energiesparen als große Kraftwerke bauen" auf ein Hochhaus.

Danach versteckten wir uns drei Tage in Taiwan vor dem schlechten Wetter und wollten weiter nach Korea, wo große Aktionen gegen Thunfischfang geplant waren. Während der Überfahrt passierte aber der Tsunami in Japan mit dem anschließendem AKW-Unfall. Uns war klar, dass die ganze Welt über Atomkraft nachdenken wird. Deshalb haben wir in Taiwan auf weitere Anweisungen gewartet. Die Entscheidung ist schließlich auf Japan gefallen.

derStandard.at: War die Entscheidung eindeutig oder wurde im Vorfeld viel diskutiert?

Marinelli: Es wurde viel überlegt. Die Entscheidung über den Reiseverlauf wird im Endeffekt in Amsterdam getroffen, wo der Sitz von Greenpeace International ist. Nur der Kapitän des Schiffes hat ein Vetorecht, wenn er der Ansicht ist, dass die Gefahr für die Crew zu groß wäre. Nachdem klar war, dass wir vor Japan segeln, wurde jedem Crewmitglied freigestellt, von Bord zu gehen. Die Entscheidung hatte keinerlei Folgen. Man darf also jederzeit zurück auf das Schiff. Von 15 Mann haben fünf Personen die Warrior verlassen – inklusive mir.

derStandard.at: Warum sind Sie von Bord gegangen?

Marinelli: Ich habe die Vorbereitungen für den Trip noch mitbekommen. Es war schon sehr furchteinflößend, als die Frischluftluken plötzlich verschweißt wurden. Anschließend wurden die Luftfilter getauscht – und diese sind nicht gerade günstig, vor allem bei einem Schiff, das demnächst eingestampft werden soll. Dann sind die Schlüssellöcher noch mit Harz ausgegossen worden, damit ja keine Luft in das Schiff gelangt. Zusätzlich wurden Schutzanzüge und Geigerzähler an Bord gebracht. Da habe ich mir schon Gedanken gemacht, weil ich irgendwann Kinder haben möchte und sehr an meiner Gesundheit hänge – und deshalb habe ich diese Entscheidung getroffen. Aber ich unterstütze natürlich die Greenpeace-Entscheidung, vor Fukushima Messungen zu machen, weil sie sonst niemand macht oder gemacht hätte.

derStandard.at: Stehen Sie noch in Kontakt mit der Besatzung? Wie ist die Stimmung an Bord?

Marinelli: Ich schreibe fast täglich mit dem einen oder anderen von der Besatzung. Da sind im Laufe der Zeit richtige Freundschaften entstanden. Die Stimmung an Bord wurde vor Fukushima auch immer bewusst hoch gehalten, und sie haben sich nach Feierabend, den es ja theoretisch gibt, gegenseitig abgelenkt. Mittlerweile haben sie wieder von Japan abgedreht und sind auf dem Weg nach Taiwan. Trotzdem sind die Sicherheitslevel an Bord noch immer hoch. Ein finnischer Aktivist hat mir erzählt, dass sie an Deck weiterhin nur mit Aktivkohlefilter und Schutzanzug herumlaufen dürfen. Außerdem wird die Crew jeden Abend mit Geigerzählern untersucht. Das nagt natürlich an den Leuten und alle freuen sich darauf wieder zu Hause zu sein. Deshalb bin ich froh, dass ich nicht mitgesegelt bin.

derStandard.at: Wollen Sie wieder zurück auf das Schiff?

Marinelli: Als ich das letzte Mal an Bord war, sollte die Warrior II nur noch drei Monate unterwegs sein, also wäre ich theoretisch bis zum Schluss dabei gewesen. Mit Japan hat sich alles verändert. Es weiß niemand, wie die Tour weitergeht. Auf diese Rainbow Warrior werde ich wahrscheinlich nicht mehr kommen. Die Dreier (Rainbow Warrior III, Anm. d. Red.) wird im Oktober zu Wasser gelassen, und auf der würde ich dann gerne wieder mitsegeln.

derStandard.at: Sie haben gesagt, dass Ihnen die atomare Bedrohung Angst macht und Sie in dem speziellen Fall um Ihre Gesundheit fürchteten. Aber ist es nicht auch gefährlich, wenn man sich wie Sie an Ankerketten hängt?

Marinelli: Wenn man an einer Ankerkette hängt, kann man eigentlich davon ausgehen, dass das Schiff nicht losfährt und den Anker nicht fallen lässt. In diesem Fall würde die Besatzung ja jemanden umbringen. Deshalb finde ich so etwas okay. Nur 2010 bei einer Thunfischkampagne im Mittelmeer ist mir persönlich ziemlich anders geworden. Wir wollten ein Fangnetz versenken. Es befanden sich zwei große Fischerboote und neun kleine Boote im Wasser, um das Netz hochzuhalten. Wir waren mit der Rainbow Warrior, der Arctic Sunrise und acht Schlauchbooten vor Ort und wollten Sandsäcke an das Netz hängen, damit es untergeht und der Thunfisch wieder rauskommt.

Nur hat niemand mit der Reaktion der Fischer gerechnet, weil diese wirklich Enterhaken in unsere kleinen Boote geschmissen haben und mit Vollgas weggefahren sind. Dadurch haben die Fischer zwei von unseren Booten versenkt, und unser Aktionskoordinator hatte das Pech, dass seine Wade von einem Haken getroffen wurde. Er musste eine Stunde später mit dem Helikopter ausgeflogen werden. Das war das erste Mal, dass ich bei einer Aktion dabei war, bei der es danach kein gemütliches Zusammensitzen gegeben hat. Alle Leute sind in der Schiffsmesse gesessen und haben geschwiegen. Sämtliche Crewmitglieder haben danach von Greenpeace das Angebot bekommen, kostenlos einen Psychiater aufzusuchen.

derStandard.at: Wie lange wollen Sie noch Aktivist sein?

Marinelli: Auf einem Schiff will ich sicher nicht mehr lange mitfahren. Über kurz oder lang geht man an der harten Arbeit kaputt. Bis Mitte 30 vielleicht. Dann hätte ich gerne einen richtigen Job oder etwas, das andere Leute als Job bezeichnen. Bei Aktionen am Land werde ich aber noch länger dabei sein. In Kopenhagen (Klimagipfel 2009, Anm. d. Red.) waren 60- und 70-jährige Aktivisten dabei, die sich noch mit Freuden irgendwo angekettet haben. Ich könnte mir vorstellen, so ein Mensch zu werden. Zumindest hoffe ich das. (Bianca Blei, derStandard.at, 19.5.2011)