Werden TschechInnen in Wiener Schanigärten tschechisches Bier servieren? Möglich. Ihre ArbeitskollegInnen aus Deutschland bleiben trotzdem in der Überzahl.

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51,6 Millionen Menschen aus Osteuropa können ab 1. Mai in Österreich auf Jobsuche gehen. Soweit die Theorie. In der Praxis wird sich die Zahl jener, die vom freien Arbeitsmarktzugang Gebrauch machen wollen, in ziemlich engen Grenzen halten. Das ist das Ergebnis einer neuen Studie des Wirtschaftsforschungsinstituts (Wifo), die am Montag im Beisein von Sozialminister Rudolf Hundstorfer (SPÖ) präsentiert wurde.

Insgesamt sollen in den ersten beiden Jahren nach der Öffnung des Arbeitsmarkts für die 2004er-Beitrittsstaaten der EU rund 15.000 zusätzliche ArbeitnehmerInnen aus Tschechien, Ungarn und der Slowakei nach Österreich kommen, danach flache die Kurve ab, prognostiziert das Wifo, das in den letzten Jahren regelmäßig erhoben hat, wie groß die Wanderbereitschaft in diesen Ländern ist. Die Zahl trügt jedoch: Mehr als die Hälfte werde nicht nach Österreich übersiedeln, sondern zum Arbeitsplatz pendeln, sagt Wifo-Experte Klaus Nowotny.

Nur für ein paar Jahre

Von den übrigen hat ein Zehntel der Befragten vor, maximal ein bis zwei Jahre im Land zu bleiben, weitere 40 Prozent haben eine höchstens drei- bis fünfjährige Tätigkeit in Österreich im Visier. Wie viele Menschen aus den EU-10 tatsächlich in Österreich zu arbeiten beginnen, richte sich letztlich nach dem Jobangebot: Laut Wifo ist nicht damit zu rechnen, dass ein großer Anteil der Neuankömmlinge heimische Arbeitskräfte von ihren Jobs verdrängt. Dazu kommt, dass jedes Jahr ein beträchtlicher Teil osteuropäischer Zugewanderter wieder aus Österreich auswandern: Während im Jahr 2009 5778 Ungarn nach Österreich migrierten, wanderten im selben Jahr 3869 Ungarn wieder aus Österreich aus. Im Rahmen von Sonderabkommen war es Ungarn und Ungarinnen nämlich schon jetzt möglich, in der Grenzregion Jobs anzunehmen.

Im Februar zählte die österreichische Beschäftigungsstatistik insgesamt knapp 73.000 MigrantInnen aus den zehn 2004er-Beitrittsstaaten. Zum Vergleich: 86.000 Deutsche verdingten sich am österreichischen Arbeitsmarkt.

Bau, Tourismus, Landwirtschaft

Der verbreiteten Annahme, es handle sich vorwiegend um schlecht qualifizierte ArbeitnehmerInnen, widerspricht das Wifo: Rund drei Viertel der Pendel-Interessierten verfügten über Matura oder Lehrabschluss. Das übrige Viertel bestehe zu gleichen Teilen aus Menschen mit Uni-Abschluss und Pflichtschulbildung. Da für die Wanderwilligen jedoch primär temporäre Beschäftigungen in Frage kommen, dürfte sich die Jobnachfrage hauptsächlich auf die Baubranche, das Gastgewerbe, die Landwirtschaft und das verarbeitende Gewerbe richten. Schlechte Nachrichten bedeutet das für die Kleinbetriebe: Die lang ersehnten Fachkräfte dürfte ihnen auch die Ostöffnung nicht bringen.

Nicht viel mehr Fachkräfte

Ob sich Österreich, dessen gewerbliche Wirtschaft ja schon seit Jahren über den Fachkräftemangel stöhnt, durch die verspätete Öffnung des Arbeitsmarktes Chancen verbaut hat? "Mag sein", sagt Hundstorfer. "Aber in Österreich fürchtet man sich traditionell zuerst, bevor man etwas tut", meint der Minister. Er könne jedenfalls von sich behaupten, etwas getan zu haben - Stichwort Anti-Sozialdumping-Gesetz und die neue Ausbildungsoffensive.

Die Wifo-Studie legt nahe, dass sich besser qualifizierte MigrantInnen anderswo niederlassen: Die größten Migrationswellen gingen nach 2004 in Richtung Großbritannien. Diese ersten Wanderungen legten den Grundstein für weitere Arbeitsmigration: Wer im Ausland Job sucht, geht laut Wifo nicht ins nächst gelegene Land, sondern dorthin, wo schon Bekannte oder Verwandte angesiedelt sind.

"Sehr guter Zeitpunkt"

"Noch besser wäre gewesen, man hätte eine hohe Mauer für die Niedrigqualifizierten gelassen, aber ein großes Loch für die Hochqualifizierten geöffnet", meint Wifo-Chef Karl Aiginger rückblickend. Er hält den Zeitpunkt der Ostöffnung mit 1. Mai 2011 dennoch für "sehr gut": Die Krise sei überwunden, die Beschäftigung in Österreich zuletzt um 50.000 gestiegen - "da bringen wir 15.000 Menschen locker unter". (Maria Sterkl, derStandard.at, 11.4.2011)