Eine der zwei Jessicas (gespielt von Stefanie Philipps).
Foto: Barbara Palffy

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Die drei Darstellerinnen aus Jessica, 30: Anna Morawetz, Karola Niederhuber und Stefanie Philipps.
Foto: Valerie Schandl

Foto: Valerie Schandl

Was denken eigentlich die vielen Frauen, die am frühen Morgen oder in den kühlen Abendstunden die Prater Hauptallee entlanglaufen? Bei "Jessica, 30" finden sich ein paar Anregungen dazu.

In der Bühnenfassung des Roman der österreichischen Schriftstellerin Marlene Streeruwitz legt der Text genau an der Stelle los, wo die Protagonistin Jessica ihre selbstauferlegte Jogging-Runde beginnt. Der innere Monolog durchläuft eine krude Fahrt durch das Innenleben dieser jungen Frau: Festhalten und loslassen von Gedanken, fündig werden im Wirrwarr der eigenen Assoziationen und Sicherheit erlangen: "das bin ich", "so bin ich". 

Die Atemlosigkeit, die dieser Text ja bereits im Roman verströmt, wird in der Inszenierung von Alex.Riener noch verstärkt durch das behände Joggen der Jessica(s) - es sind die Schauspielerinnen Anna Morawetz und Stefanie Philipps, die sich die Sequenzen teilen. In der Bühnenfassung fügte Marlene Streeruwitz außerdem noch eine weitere Figur hinzu, die Mutter (gespielt von Karola Niederhuber) der prekären Freelance-Journalistin Jessica. Im Stück darf sie den Lebensentwurf der Tochter kommentieren und ihre Generation mit ins Spiel bringen.

Was treibt eine also an beim Joggen? Der Abend im Theater Drachengasse liefert auf diese Frage im doppelten Sinn eine Antwort. Es ist die Angst vor Gewichtszunahme, Existenzängste wie Geldsorgen, der Kampf um berufliche Anerkennung, die schäbige Affäre und die eigenen Ansprüche. Aber auch Vergessen und abschalten wollen, ganz bewegtes Objekt sein ohne zu denken. 

Dass diese Jessica ein Symbolbild für eine ganze Generation ist, die sich jahrelang mit Praktikas und befristeten Aufträgen mehr unter als über Wasser hält, verdeutlicht die Bühnenfassung auf bestechende Weise. Der gesamte Lebenszusammenhang wird mitentsichert, verschlankt, konformer gemacht, auch davon erzählt diese Inszenierung. Mag auch die Problematisierung der "Generation Praktikum" theoretisch nicht mehr so taufrisch wirken, die Darstellung der intimen Zuckungen nach dieser "Behandlung" ist es allemal. (freu, dieStandard.at, 5.4.2011)