Berlin - Als Konsequenz aus der Atomkatastrophe in Japan will die deutsche Bundesregierung einige ältere Atomkraftwerke zumindest vorübergehend sofort abschalten lassen. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Außenminister Guido Westerwelle (FDP) kündigten am Montag in Berlin an, dass die im vorigen Jahr von der schwarz-gelben Koalition in Deutschland durchgesetzte Verlängerung der Laufzeiten für drei Monate ausgesetzt wird.

Auf die Frage, ob damit Atomkraftwerke vom Netz müssten, die ihre Reststrommengen nach dem alten rot-grünen Ausstiegsbeschluss bereits aufgebraucht hätten, sagte Merkel: "Das wäre die Konsequenz, ja. Sonst wäre es ja kein Moratorium". Zum Zeitpunkt sagte die Kanzlerin: "Ich würde mal sagen, wenn wir mit den Kernkraftwerks-Betreibern gesprochen haben."

Dies betrifft das Kraftwerk Bilis A in Hessen und das AKW Neckarwestheim I in Baden-Württemberg. In Baden-Württemberg wird am 27. März ein neuer Landtag gewählt. Aber auch das bayerische AKW Isar 1 (Isar I) könnte abgeschaltet werden:

Bayerns Umweltminister will grenznahes AKW Isar I abschalten

Bayerns Umweltminister Markus Söder (CSU) will das umstrittene Kernkraftwerk Isar I (Isar 1) abschalten. Das sagte Söder nach Angaben informierter Kreise am Montag bei einer Telefon-Besprechung des CSU-Präsidiums. Dafür habe er Beifall erhalten.

Isar I liegt keine 100 Kilometer von der österreichischen Grenze entfernt. Daher hatte es auch in österreich zuletzt vehemente Forderungen gegeben, das AKW stillzulegen. "Wir wollen ein sicherheitstechnisches Aufrüsten oder die Abschaltung", sagte beispielsweise Umweltminister Niki Berlakovich (ÖVP) am Sonntag in der ORF-"Pressestunde".

Es handle sich um einen alten Reaktor. Bei einem möglichen Unfall - über Isar 1 verläuft die Einflugssschneise zum Flughafen München - könnte Radioaktivität über die Isar zur Donau und damit auch nach Österreich gelangen.

Merkel: Keine Rückkehr zu rot-grünem Atomausstieg

Merkel hat aber eine Rückkehr zu dem unter Rot-Grün vereinbarten Atomausstieg ausgeschlossen. "Es wird nicht das rot-grüne Energiekonzept herauskommen, weil das nicht ehrlich ist", sagte Merkel am Montagabend im ZDF.

Gleichzeitig betonte sie, bei der von ihr angekündigten Suche nach einem neuen Konzept werde es "absolut keine Tabus geben". "Es muss über alles gesprochen werden", sagte sie auf die Frage, ob Atomkraftwerke ohne ausreichenden Schutz bei Flugzeugabstürzen dauerhaft abgeschaltet werden sollen. Sie schließe nichts aus. Entscheidungen würden am Ende des am Montag verkündeten dreimonatigen Moratoriums fallen.

"Moratorium ist keine Vertagung"

Westerwelle sagte: "Das Moratorium ist keine Vertagung, sondern das ändert die Lage." Der Vizekanzler betonte, die Regierung habe bei der Laufzeitenverlängerung keine Garantie für den Weiterbetrieb jedes einzelnen Atomkraftwerks gegeben. Merkel nannte keine Atommeiler, die nun womöglich vom Netz müssten. Infrage kämen dafür die beiden ältesten Atomkraftwerke: Biblis A in Hessen und Neckarwestheim I in Baden-Württemberg. Für die Inkraftsetzung des Moratoriums muss das Gesetz laut Merkel nicht geändert werden.

"Es gibt bei dieser Sicherheitsprüfung keine Tabus", sagte Westerwelle. Deutschland könne aber noch nicht auf die Atomkraft verzichten. Die im Durchschnitt 12 Jahre längeren Laufzeiten waren erst im Herbst beschlossen worden.

Debatte seit dem Wochenende

Die Katastrophe in Japan hatte im besonders atomkritischen Deutschland seit dem Wochenende für beträchtlicher Unruhe gesorgt. In dem Land gibt es seit Jahrzehnten eine starke Anti-Atombewegung. Die jetzigen Oppositionsparteien SPD und Grüne hatten im Jahr 2000 einen Atomausstieg durchgesetzt. Danach sollte jeder Reaktor nur noch eine Strommenge produzieren dürfen, die einer Gesamtlaufzeit von 32 Jahren entspricht.

Die ältesten der noch 17 deutschen Kernkraftwerke hätten daher schon abgeschaltet werden müssen, wenn Merkels seit 2009 regierende christlich-liberale Koalition das Atomgesetz nicht wieder geändert hätte. Die Änderung mit den längeren Laufzeiten trat zum Jahresbeginn in Kraft, gegen sie ist aber eine Klage mehrerer SPD-geführter Bundesländer vor dem Bundesverfassungsgericht anhängig. Das Atomthema spielt jetzt auch in den Wahlkampf hinein. In Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz werden am 27. März neue Landtage gewählt.

Die Ministerpräsidenten mit Atomstandorten wollen sich an diesem Dienstag mit Kanzlerin Angela Merkel treffen. Ebenfalls für Dienstag lud EU-Energiekommissar Günther Oettinger die Energieminister der Europäischen Union zu einem Energiegipfel ein. (APA/Reuters)