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Ingo Jungwirth, Analyst für Japan bei der Raiffeisen Bank International, rechnet mit einem Rückgang des Bruttoinlandsprodukts Japans von 1,0 bis 2,0 Prozent im zweiten Quartal. "Das entspricht einem Produktionsstillstand von ungefähr einer Woche."

Sollte allerdings der "Worst Case", die atomare Katastrophe wie vielerorts befürchtet tatsächlich eintreten, so wären nicht nur ganze Landstriche für Jahrzehnte nicht mehr nutzbar, sondern auch das Ausmaß der wirtschaftlichen Probleme und damit auch der BIP-Einbruch sowie die irreparablen Schäden größer, die Folgen länger andauernd.

"Wir können nur hoffen, dass die Naturkatastrophe durch Erdbeben und Tsunami den Schaden allein ausmachen", so Jungwirth auf Anfrage von derStandard.at. Die Kosten und die Folgen für die japanische und die globale Wirtschaft seien in diesem Fall einschätzbar und beherrschbar. Japan könne einem kurzfristigen Einbruch entgegensteuern. Außerdem habe das Land in der Vergangenheit gezeigt, dass es nach dem Wiederaufbau sogar etwas stärker wachsen könne als zuvor.

Für die Weltwirtschaft erwartet Jungwirth keine langfristigen Auswirkungen, auch wenn die Börsen am Montag durchaus auf die Talfahrt der Tokioter Börse reagierten. Was der Raiffeisen-Analyst aber schon sieht, ist, dass gewisse Industriezweige sehr wohl einen Rückschlag erleben dürften. "Besonders die Energieversorger, die auch in atomare Energie investieren, sehen schon jetzt Reaktionen", meint Jungwirth. Der mögliche Super-GAU in Japan frische die politische Diskussion rund um die Atomenergie vor allem in Europa wieder auf und könnte auch zu einem Umdenken führen.

Versicherungsfragen

"Um die Banken macht sich derzeit keiner Sorgen", erklärt der Aktienanalyst bei Raiffeisen Research, Jörn Lange. Zwar dürften auch internationale Banken durchaus vom Wiederaufbau von Filialen betroffen sein, sonst aber keine zusätzlichen Probleme haben, die nicht auch andere Branchen betreffen, so Lange im Gespräch mit derStandard.at. In Japan sei es bei Naturkatastrophen grundsätzlich so, dass es einen staatlichen Mechanismus gebe, der versicherte Schäden mit bis zu 40 Milliarden Dollar auffängt. Dadurch müssten laut Lange die Versicherer nicht die Gesamtlast tragen. Außerdem gebe es in Japan keine Pflichtversicherung gegen Erdbebenschäden. Wegen des hohen Risikos seien diese auch relativ teuer, daher, so Lange, seien die Japaner auch eher in geringem Ausmaß gegen Beben-Schäden versichert. Ersten Schätzungen zufolge dürften sich die versicherten Schäden nach dem Beben in Japan zwischen 14 und 35 Milliarden Dollar bewegen. (Im Vergleich dazu summierten sich diese beim Erdbeben in Kobe 1995 auf 3,5 Milliarden Dollar.) Die japanische Niederlassung der Schweizer Großbank Credit Suisse in Tokio schätzt die wirtschaftlichen Schäden der japanischen Erdbeben- und Tsunami-Katastrophe auf rund 170 bis 180 Milliarden Dollar.

Schwierig dürfte die Lage aber für die Versicherungsbranche weltweit werden, vor allem für die Rückversicherer. "Der japanische Versicherungsmarkt wird großteils von japanischen Versicherern dominiert. Aber das Rückversicherungsgeschäft ist mittlerweile ein globales." Zwar seien Verluste bzw. massive Gewinnrückgänge im Jahr 2011 nicht auszuschließen, nachhaltig rechnet Lange aber nicht mit "existenzbedrohenden" Problemen für die Branche.

Was den Wechselkurs des Yen angeht, glaubt Jungwirth, dass die japanische Zentralbank intervenieren werde, es somit keine große Aufwertung der Währung geben dürfte. In der Vergangenheit sei es nämlich zu einer solchen gekommen. "Die Japaner holten ihre Ersparnisse, die oft im Ausland liegen, für den Wiederaufbau ins Land zurück und mussten das Geld dann eben auch in Yen umwechseln, was zu einer Aufwertung führte", so Jungwirth.

Der Wiederaufbau werde laut Jungwirth von staatlicher Seite vorwiegend über Schulden finanziert. Die Zentralbank kaufe vermehrt Staatsanleihen. Da die Regierung mit Staatsschulden den Aufbau der Infrastruktur in die Hand nehme, sei die Schuldenaufnahme auf längere Sicht aber ein Nullsummenspiel für das Land.

Gelassene Börsen

Überrascht zeigte sich der Erste Group-Chefanalyst Friedrich Mostböck über die vergleichsweise gelassene Reaktion der Finanz- und Rohstoffmärkte auf das verheerende Erdbeben in Japan und die in Folge drohende Atomkatastrophe. Die Tokioter Börse hat zwar gemessen am Aktienindex Nikkei mehr als sechs Prozent verloren, andere Börsen in Asien und Europa zeigten hingegen nur sehr moderate Verluste. Auch an den Devisen- und Rohstoffmärkten kam es vorerst zu keinen größeren Schwankungen.

Das Minus in Tokio und an anderen asiatischen Märkten sei angesichts des Ausmaßes der Katastrophe überraschend gering ausgefallen, sagte Mostböck in einer ersten Reaktion zur Austria Presse Agentur. "Offensichtlich scheint die aktuelle Lage dort nicht so schlimm aufgefasst worden sein", so der Experte.

Auch Mostböck schätzt die Folgen auf die Weltkonjunktur - ein Ausbleiben einer nuklearen Katastrophe vorausgesetzt - moderat ein. Eine Änderung der Politik der Notenbanken außerhalb Japans sei vorerst auch nicht absehbar. "Damit will ich nicht sagen, dass alles beim Alten bleibt. Das ist natürlich eine absolute Katastrophe. Inwiefern Maßnahmen nötig sein werden, wird aber erst die Zukunft zeigen", so Mostböck.

Monika Rosen, Chefanalystin bei UniCredit Private Banking, erwartet hingegen, dass die chinesische und die europäische Zentralbank ihre Zinserhöhungen verschieben werden, sollte an den Finanzmärkten vor dem Hintergrund einer drohenden Atomkatastrophe eine anhaltende Risikoaversion entstehen. (rom, derStandard.at, 14.3.2011)