Ex-Schulinspektor Prigl bricht - wenig sozialpartnerschaftlich - eine Lanze für die bessere Bildung der Lehrlinge: "Das Verhältnis zwischen Berufsschule und Lehrbetrieb müsste man ändern."

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Vier Tage "hackeln", ein Tag Berufsschule - die Realität der meisten Wiener Lehrlinge. Prigl sieht die Allgemeinbildung zu kurz kommen.

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Die Berufsschule löst keine Integrationsaufgaben? "Das stimmt insofern, dass keine Zeit dafür bleibt", sagt Prigl.

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So würde Prigl das Gesetz gerne ändern und hofft dafür auf 10.000 Unterschriften.

15 Jahre lang war Hubert Prigl Landesschulinspektor für die Wiener Berufsschulen. Anfang November trat er seinen Ruhestand an. Doch seinen Unmut über die Ungleichheiten im österreichischen Schulsystem nahm er mit in die Pension.

Ein Beispiel: Gymnasiasten und Schüler an Berufsbildenden Höheren Schulen haben alle Turnunterricht. In Berufsschulen gibt es Leibesübungen hingegen nicht als Pflichtfach. "Schauen Sie sich einmal den Lebensstil der Berufsschüler an, wie viele da übergewichtig sind", ärgert sich Prigl. Als vor einigen Jahren Wiener Jugendliche zu sportlichen Leistungstests zusammenkamen, schnitten Gymnasiasten in allen Bereichen besser ab als die Berufsschüler. Prigl: "Nur bei den Klimmzügen waren unsere besser."

Berufsschule wie die Matura nachholen

Der 64-Jährige sieht viele solche Ungerechtigkeiten - von der Klassengröße bis zur täglichen Unterrichtszeit. Die mehr als 22.000 Wiener Berufsschüler - in ganz Österreich sind es über 130.000 - stellen für ihn "eine fast vergessene Majorität im österreichischen Schulsystem" dar.

Prigl würde gerne alle diese Benachteiligungen bekämpfen. Weil er aber irgendwo anfangen muss, will er zuerst jener relativ kleinen Gruppe von Erwachsenen helfen, die ihre Lehrabschlussprüfung nachholen wollen. "Man kann mit Ausnahme der Volksschule jeden Schultyp mit Hilfe der öffentlichen Hand im Nachhinein absolvieren", sagt Prigl. Warum solle das nicht auch für Berufsschüler gelten? Die Forderung will er ins Parlament bringen.

Menschen, die in Implacement-Stiftungen ausgebildet werden und ihre Lehrabschlussprüfung absolvieren wollen, sollen künftig ganz normal eine Berufsschule besuchen dürfen. Implacement-Stiftungen bezeichnen eine AMS-Maßnahme, die Unternehmen, die Personalbedarf haben, mit Arbeitslosen zusammen führt, denen für einen bestimmten Arbeitsplatz die Qualifizierung fehlt. Derzeit werden diese Auszubildenden nur als außerordentliche Schüler geführt (sie verursachen den Berufsschulen dadurch keine Kosten). Prigl will diese Gruppe durch eine Änderung des Schulorganisationsgesetzes zu vollen Berufsschülern machen.

Arbeiten statt zuhause sitzen

Dasselbe soll für Arbeitnehmer gelten, die schon einige Jahre Praxis haben und die Lehrabschlussprüfung in ihrer Branche nachholen wollen. Prigl nennt als Beispiel einen Hilfsarbeiter. "Der braucht nur Stempelgebühren für die Prüfung bezahlen, aber da fällt er halt durch, weil er eben die Fachtheorie nicht hat."

Auch wirtschaftlich mache das Sinn, sagt Prigl. Erst vor kurzem habe ein Wiener Berufsschuldirektor quasi in privatem Engagement - mit Hilfe des Arbeitsmarktservice - 20 Langzeitarbeitslose zu Installateuren qualifiziert. Früher seien sie zuhause gesessen und waren verzweifelt, sagt Prigl, heute leisten sie als Installateure gute Dienste für ihre Unternehmen. "Das ist für eine Gruppe von älteren Menschen, die sich qualifizieren wollen. Sie wollen die Lehrabschlussprüfung bestehen, und dafür brauchen sie irgendwo die Theorie. Die holen sie sich in der Berufsschule", rechtfertigt Prigl seine Forderung.

Ziel: 10.000 Unterschriften

Er selbst bezeichnet sich als "in der Wolle gefärbten Sozialisten", seine parlamentarische Bürgerinitiative möchte er aber als überparteilich verstanden wissen. Bis Weihnachten sammelt er jetzt Unterschriften. 500 brauche er, um im Parlament angehört zu werden, aber erst ab 10.000 Unterstützern fange er sich zu freuen an. "Meine Hoffnung ist die: Wenn ich die Sache mit 10.000 Unterschriften ins Parlament kriege, die ja nur die winzige Gruppe der Erwachsenen betrifft, dann muss über den ganzen Paragraphen 46 im Schulorganisationsgesetz diskutiert werden."

Weniger Unterricht an einem Tag

Dann, so sein Kalkül, müsste auch über andere Benachteiligungen für Berufsschüler gesprochen werden. "Das Zeit-Verhältnis zwischen Berufsschule und Lehrbetrieb müsste geändert werden", erklärt Prigl zum Beispiel. Als grobe Zielrichtung spricht er sich für zwei Tage Unterricht und dafür nur drei Tage Arbeit aus - was vor allem an der Wirtschaftskammer, die Lehrlinge naturgemäß lieber im Betrieb als in der Schule sieht, scheitern dürfte.

Realistischer als ein zusätzlicher Schultag für die Wiener Berufsschüler wäre eine Verkürzung der täglichen Unterrichtszeit. "Wo wir noch neun Pflichtstunden an einem Tag haben, gehört das geändert", fordert Prigl. "Wir haben ja auch eine Integrationsaufgabe von Jugendlichen mit dramatisch schlechten Leistungsprofilen." Schließlich kämen in Wiens Berufsschulen Jugendliche zum Teil direkt aus der 6. AHS-Stufe mit Kollegen aus der Sonderschule zusammen. "Wenn man den Förderunterricht in der 9. oder 10. Stunde anhängt, ist der Schüler natürlich schon sehr müde. Die leistungsschwachen Schüler müssten zusätzlich in die Schule kommen dürfen, natürlich zu Ungunsten des Lehrbetriebes."

Förderunterricht käme besonders Jugendlichen mit Migrationshintergrund zugute. Deren Anteil ist in keinem anderen Schultyp so hoch. Dass ihre Integration auch in der Berufsschule oft nicht gelingt, bestätigt Prigl insofern: "Es bleibt unseren Lehrern schlicht keine Zeit dafür."

Baumeister: 10.000 Euro, Architekt: gratis

Außerdem auf Prigls Wunschliste: dass die Schülerzahl von maximal 25 pro Klasse im Gesetz festgeschrieben wird und dass Berufsschüler auch eine musische oder bildnerische Erziehung bekommen.

Vorläufig würde sich der Ex-Schulinspektor aber einmal über 10.000 Unterschriften für seine Initiative freuen. Denn das Bildungssystem steht auf schiefem Boden, ist er überzeugt: "Ich bin ja für den freien Zugang zur Uni, aber man möge mir erklären: Wenn jemand Maurer ist und Baumeister werden will, dann zahlt der junge Mann über 10.000 Euro für einen Wifi-Kurs. Warum ist in Österreich ein Meister eine private und ein Architekt eine öffentliche Investition?" (Lukas Kapeller/derStandard.at, 24.11.2010)