Die fast originalgetreu erhaltene Wohnung von Hugo Meisl wollte Stadtrat Michael Ludwig vor kurzem noch räumen lassen.

Foto: Wolfgang Hafer

Dass politische Entscheidungsfindungsprozesse in der Stadt Wien, Abteilung Wohnen, zuweilen grotesk anmuten können, davon kann auch Hugo Meisl eine Geschichte erzählen. Oder besser gesagt, die Nachfahren des 1937 verstorbenen Trainers des österreichischen Wunderteams. Die Mannschaft galt Anfang der 1930er-Jahre unter Meisls Ägide als beste Fußballmannschaft der Welt.

Die Enkel von Meisl, Wolfgang und Andreas Hafer, hatten die Idee entwickelt, in der Vier-Zimmer-Wohnung im Karl-Marx-Hof, die Meisl einst mit seiner Frau und seinen drei Kindern bewohnt hat, ein Museum einzurichten. Die rund 100 Quadratmeter große Wohnung ist nach dem Auszug Meisls 1934 bis heute nahezu im Originalzustand verblieben.

Seine heute 90-jährige Tochter Martha Meisl hatte bis September 2009 hier gewohnt, ehe sie aus gesundheitlichen Gründen in ein Pflegeheim ziehen musste. "Das elfteilige Ensemble von Art-déco-Möbeln aus den 1920er-Jahren ist genauso erhalten wie ein Pokal, der in den Wirren des österreichischen Bürgerkriegs im Februar 1934 angeschossen wurde", erzählt Meisls Enkel Wolfgang Hafer.

Der historischen Bedeutung der Wohnung im roten Pracht-Gemeindebau war man sich bei Wiener Wohnen, die die Wohnung im April 2010 rückerstattet bekam, nicht bewusst. Am 29. September 2010 erhielt Wolfgang Hafer ernüchternde Informationen aus dem Büro von Stadtrat Michael Ludwig. "Von Seiten des Ressorts für Wohnen, Wohnbau und Stadterneuerung der Stadt Wien gab und gibt es keine konkreten Planungen die ehemalige Wohnung von Hugo Meisl im Karl-Marx-Hof in ein Museum umzuwandeln." Die E-Mail liegt dem Standard vor.

Selbst Fischer setzt sich ein

"Dabei haben sich der Österreichische Fußballbund und Bundespräsident Heinz Fischer schon vor einem Jahr mit Briefen an Vizebürgermeister Ludwig für die Erhaltung der Wohnung als Museum eingesetzt", sagt Hafer. Man werde prüfen, lautete damals die Antwort aus dem Büro Ludwig.

In der E-Mail vom 29. September an Hafer wird präzisiert: "Aus der Geschichte des Wiener Gemeindebaus ist diese Wohnungen (sic!) nicht primär interessant." Genau einen Monat später spitzt sich die Situation zu. Diesmal kommt die E-Mail von der Sachwalterin von Hafners Tante Martha Meisl. "Wiener Wohnen hat nunmehr die Räumung der Wohnung und deren Übergabe urgiert. Ich habe daher die Wohnung bis spätestens 12. November zu räumen und dem Verein Wiener Wohnen zu übergeben", schreibt die Sachwalterin.

Über die bevorstehende Räumung berichtete vor vier Tagen erstmals der Kurier. Als aber der Standard im Büro von Wohnbaustadtrat Ludwig um eine Stellungnahme bittet, fällt die Antwort überraschend aus. "Es gibt keinen Räumungsbeschluss", heißt es. "Wir haben das Wien Museum beauftragt, eine Einschätzung abzugeben, ob eine museale Gedenkwohnung umsetzbar ist. Bis das geklärt ist, bleiben die Möbel, wo sie sind. Das kann noch Monate dauern."

Wie ungeschickt und widersprüchlich die Informationspolitik des Wohnbaustadtrat-Büros ausfällt, bezeugt wiederum ein Blick auf die Mail vom 29. September. "Es wird darauf hingewiesen, dass die Möbel bald aus der Wohnung zu entfernen sind, damit diese instand gesetzt werden kann." Keine Rede also von einer "Prüfung", sondern von einer bevorstehenden Räumung. Wie sich die Diskrepanz zwischen dem aktuellen Stand der Dinge und dem E-Mail erklären lässt? "Möglicherweise ein Systemfehler", heißt es aus dem Büro Ludwig.

Der Standard jedenfalls durfte Meisls Enkel Wolfgang Hafer von der Absage des Räumungstermins berichten, wieder wird die Umsetzung einer Gedenkwohnung im Karl-Marx-Hof überprüft. Von der Stadt Wien wurde Hafer diesbezüglich noch nicht kontaktiert. (David Krutzler, DER STANDARD-Printausgabe, 11.11.2010)