Bereits 1985 thematisierte Richard Kriesche die Militarisierung des elektronischen Raums - mit einem Kopf-Satelliten aus Neonröhren. 1989 legte er für einen Satelliten eine Plane als Pixel aus. Im gleichen Jahr entzauberte er die "Mona Lisa".

Foto: Kriesche

Seit den frühen 1970er-Jahren beschäftigt er sich mit Computerkultur – und in der Folge mit dem Internet.

Wien – Mitte der 1970er-Jahre sorgte Humanic für Konfusion: Das Unternehmen zeigte in den Werbespots keine Schuhe, sondern stellte die 30 Sekunden Künstlern zur Verfügung. Damals explodierte eine rot-gelb-blaue Mauer von Roland Göschl. Und Richard Kriesche mutierte am Markusplatz zur Plastik, die sich veränderte und schließlich auflöste. Denn hunderte Tauben pickten von seinem Anzug die aufgeklebten Körner. Zudem konfrontierte er den Fernsehzuschauer mit einer damals völlig unverständlichen Ideologie: "Kunst heißt eingreifen. Eingreifen heißt ordnen."

Dieses Postulat gilt auch heute noch. Kriesche greift als Konzept- und Medienkünstler ein, um Zusammenhänge sichtbar zu machen. "Die Gesellschaft ist meine Leinwand. Dort arbeite ich" , sagte er einmal. Die Kunst sei dazu da, Wahrnehmen leichter zu machen: "Das ist alles. Das ist das ganze Rezept, mehr ist nicht drinnen."

Sein wichtigstes Werkzeug ist dabei eine "Maschine" , der Computer. Bereits 1989 sagte er in weiser Vorausahnung: "Ich setze mich mit der Computerkultur auseinander, weil sie einfach die Kulturform ist, die jetzt zur Debatte steht. Und Zur-Debatte-Stehen bedeutet nichts anderes als: Wenn wir diese Kulturform nicht begreifen, stehen wir selbst – als Österreicher – nicht mehr zur Debatte."

Das Angebot des Standard, die Ausgabe "Digitale Welt" zu gestalten, nahm Kriesche daher mit nüchterner Begeisterung an. Denn es ging nicht darum, zu illustrieren (das hätte er abgelehnt), sondern um das Eingreifen: in die Bildwelt der Zeitung. Denn Kriesche bearbeitete praktisch jedes Foto. Einen Teil ließ er von der Gruppe Bildanalyse und Messsysteme am Institut Digital des Joanneum Research in Graz durch diverse Computerprogramme laufen. Das Team rund um Heinz Mayer und Martina Uray stellte sein Know-how zur Verfügung. Zur Anwendung kamen die Programme Diffusion (es lässt homogene Zonen zusammenwachsen), ColorSpace (es transformiert Farbräume) und Maximally Stable Extremal Regions (es macht Regionen mit hoher Stabilität sichtbar).

Besonders faszinierte Kriesche das Programm LokaleVarianz: Es setzt ein Pixel in Beziehung zu den neun umliegenden Pixeln und stellt das Ergebnis dreidimensional dar. "Das autonome Pixel gibt es nicht. Wie es auch den autonomen Menschen nicht gibt: Jeder Wert wird durch den Wert des Umfelds bestimmt."

In die meisten Bilder aber wurde während der Tagesproduktion in Zusammenarbeit mit Bildbearbeiter Otto Beigelbeck eingegriffen: Kriesche ließ die Fotos oder nur Teile in mehreren Skalierungsstufen "pixelieren" . Mitunter ist das Dargestellte erkennbar, manche Bilder wirken wie expressionistische Kunstwerke, bei einigen lenkt Kriesche das Augenmerk auf eine Struktur oder ein Detail, bei anderen verbirgt er wissentlich essenzielle Inhalte.

Den ganzen Freitag über stand er unter Hochspannung: "Jetzt verstehe ich, was Massenbildproduktion ist." Die Herausforderung bestand darin, blitzgeschwind zu agieren – mithilfe elektronischer Medien, auf denen auch die "analoge" Zeitung basiert. "Das Medium liefert Möglichkeiten, die das Umfeld der Künste nicht bietet. Eine solche Arbeitssituation kann man sich nicht wünschen, das ist ein Privileg", sagt Kriesche. "der Standard wagt sich vor ins Experiment: Die Zeitung stellt sich mir zur Verfügung, sie setzt sich unter dem Titel ,Digitale Welt' der digitalen Auseinandersetzung aus. Das finde ich äußerst mutig."

Auf das Pixel – im Sinne von Bildpunkt – stieß Kriesche, Jahrgang 1940, schon früh. Denn was konnte nach der Radikallösung von Malewitsch, dem Schwarzen Quadrat auf weißen Grund, noch kommen? Ab 1963, nach dem Studium an der Akademie der bildenden Künste, malte Kriesche abstrakte Bilder nach numerischen Systemen: "Die Farben wurden in einer bestimmten Anordnung aufgetragen – ohne Empfindung, ohne künstlerische Verve. Heute würde man sagen: Diesen Bildern lag ein Programm zugrunde."

Ein neues Bild unserer Erde

Und dann kam der Monitor: "1970 habe ich in London eine Videomaschine gesehen. Das war etwas Unvorstellbares. Ich erkannte: Mit der Digitalisierung fängt eine neue Welt an. Beziehungsweise ein neues Bild unserer Welt – von außen. Das größte Bild des 20. Jahrhunderts waren sicher die Satellitenfotos der Erde."

1989 realisierte Kriesche eine Hommage an Malewitsch: Er legte in Gröbming eine 20 mal 20 Meter große Plane auf, rund um die weiße Fläche feierte die Bevölkerung ein Fest. "Die Menschen bildeten den Bilderrahmen für dieses Pixel." Der Satellit scannte die Szenerie – und die Hoffnung erfüllte sich: Auf der Aufnahme war genau dieses Pixel als Eingriff zu erkennen. Danach wurde die Plane, deren Rückseite mit Tarnmustern bemalt war, gewendet: "Wir verschwanden in der Welt."

Damals digitalisierte Kriesche zusammen mit Peter Gerwin Hoffmann auch Meisterwerke von da Vinci, Cézanne und Pollock. Die Bilder wurden in homogene Zonen segmentiert, nach lokalen Schwerpunkten hin überprüft. Was auffiel: Nach der Analyse lächelte die Mona Lisa nicht mehr.

In der Folge kommunizierte Kriesche mit "unserem" Mir-Astronauten und ließ die Datenflüsse zu einer Skulptur brennen. In der von ihm kuratierten Landesausstellung zum Thema Kommunikation im Jahr 2000 konnte man in Lichtgeschwindigkeit durch die Galaxien des Internets rasen. Und noch immer ist Richard Kriesche der einzige Österreicher, der von der Biennale Venedig ausgezeichnet wurde. Und zwar 1995 für seine Telematische Skulptur Nr. 4. Sie war die allererste Internet-Arbeit in den Giardini von Venedig. (Thomas Trenkler, DER STANDARD/Printausgabe, 07./08.08.2010)