Eltern gehörloser Kinder, die auf Eigeninitiative hin Gebärdensprache lernen, sind in der Minderheit, weiß Stefanie Euler, Job Coach für gehörlose Personen in Wien. Warum das? "Weil sie auffällig ist. Also lieber versuchen, dass sich das Kind anpasst und spricht. Außerdem wird ihnen gesagt: Wenn sie gebärden lernen, dann wird das Kind faul, dann möchte es nicht mehr sprechen. Man macht den Eltern zusätzlich Angst."

Foto: Markus Hammer

Wenn im Allgemeinen Krankenhaus in Wien bei einem Kleinkind die Diagnose Gehörlosigkeit gestellt wird, drücken MedizinerInnen den Eltern meist prompt den Folder über das Cochleaimplantat (CI) in die Hand. Das ist der eingebaute Hörappart, durch den der Hörnerv verstärkt wird samt Elektrodenband, das die Impulse via Sender ans Gehirn schickt - und das so wieder "hören" kann.

Taub? Tabu!

Stefanie Euler, Gebärdensprachendolmetscherin und Job Coach für gehörlose Personen, bestätigt, dass das Implantat die Geräuschwahrnehmung wieder möglich macht - und nach jahrelangem Training auch wieder das Sprechen. Von Gehörlosen selbst wird das künstliche Ohr bzw. die Idee, die dahinter steht, mitunter kritisch gesehen, auch deswegen, weil man kein Wort über die Möglichkeit der Gebärdensprache verliert. "Taub sein wird als Behinderung definiert, die repariert werden muss, man muss wieder hören und lautsprechen können", sagt Euler. Weil sich durch diese Sichtweise alles auf den mühsamen Spracherwerb für das gehörlose Kind konzentriert, fehle oftmals ein Familienleben, wie Hörende es kennen: Dass man sich über alles Mögliche austauscht und den Kindern erklärt: "So funktioniert die Welt".

"Wir kriegen direkt mit, wieviel den Jugendlichen oft fehlt", schildert Euler ihren Arbeitsalltag, in dem sie und ihre Kolleginnen als Arbeitsassistentinnen und begleitende Stütze im Job auch viel Pädagogik hineinbringen müssen: "Bei Jugendlichen ist es noch möglich, ein bisschen zu erziehen, aber bei Erwachsenen wird's dann oft schwierig. Weil sie sich Verhalten angelernt haben, mit dem sie Jahre lang durchgekommen sind, und plötzlich anstehen und Probleme kriegen. Zu sagen: 'Versuch es doch mit dem Verhalten oder der Strategie', funktioniert nicht so einfach."

Betreuung hin zur Selbstständigkeit

Euler ist seit Beginn des WITAF*-Projekts Job Coaching 2003 als psychologisch und pädagogisch geschulte Helferin für gehörlose und schwerhörige Personen am Arbeitsmarkt im Einsatz. Die Einrichtung betreut jene, die es alleine nicht schaffen, einen Arbeitsplatz zu bekommen: "Wir bieten das Service an, dass wir in die Firmen kommen und den gehörlosen Neuling in ihrem/seinem Arbeitsalltag eine Zeit lang und regelmäßig begleiten, bei der Einschulung unterstützen oder auch bei  Krisen Lösungsversuche anbieten. Wir erklären den Firmen, worauf sie achten müssen und wie sie sich an die Bedürfnisse des Gehörlosen anpassen sollten. Wir schauen darauf, dass tatsächlich alle Informationen beim Gehörlosen ankommen und stehen natürlich auch den Firmen als Anlaufstelle bei etwaigen Fragen zur Verfügung."

Euler betont, dass sie viele Gehörlose kenne, die eine solche Unterstützung nicht gebraucht haben und nie brauchen werden, weil sie sich sehr gut zurecht finden in der hörenden Welt. "Es gibt aber auch viele, bei denen es an der Sprache hapert, oder am Verständnis. Diejenigen brauchen Hilfe, vom Bewerbungsschreiben angefangen bis hin zum Einarbeiten."

Als Job Coach betreut sie über ein halbes Jahr hinweg jeweils zwischen zehn und 14 Personen; Erwachsene, die eine Ausbildung haben, und Hilfe brauchen, eine Stelle zu finden, ebenso wie Jugendliche, die eine Lehrstelle suchen, von SchülerInnen bis zu fast Pensionierten reicht ihre Kundschaft. "Oft ist es auch so, dass wir eine gehörlose Person nur einmal sehen, weil eine rechtliche Frage aufgetaucht ist - und keine Langzeithilfe von Nöten ist."

Doktrin Sprechen lernen

In der österreichischen Gebärdensprache ist Euler ebenfalls firm, 2009 hat sie die kommissionelle Prüfung des österreichischen GebärdensprachdolmetscherInnen-Verbands ÖGSDV abgelegt. Es scheint auf der Hand zu liegen, dass eine mit Gehörlosen arbeitende Person auch deren nicht auf Lauten basierende Sprache sprechen kann. Doch das tut es nicht. Es ist nicht einmal selbstverständlich für die Betroffenen selbst, die Gebärdensprache zu erlernen: "Die Lehrpläne, nach welchen sich die Gehörlosenschulen in Österreich richten, sind sehr alt. Beim Mailänder Kongress 1880 wurde beschlossen, dass Gehörlose lautsprachlich unterrichtet werden müssen. Das oberste Ziel ist: Sie müssen sprechen lernen. Weil gesagt wird, dass man ohne Lautsprechen isoliert wird und man nicht an die hörende Welt anschließen kann."

In Wien gibt aber auch einige Integrationsprojekte an Bildungseinrichtungen, wie zum Beispiel dem Kindergarten in der Gussenbauergasse, in dem man mit dem bilingualen Konzept arbeitet. "Aber die Merheit geht in Gehörlosenschulen, wo sie sprechen lernen", erklärt Euler.

Gebärdensprache verdrängt

Je nachdem, wie begabt das Kind ist - sie lernen, wie sich das anfühlt, die einzelnen Buchstaben zu sprechen, ebenso wie das Lippenlesen - und wieviel Zeit darin investiert wird, zu trainieren, so gut kann es dann letztlich auch sprechen und verstehen. "Ich finde es schade, dass in Österreich auf die Gebärdensprache so oft vergessen wird. Es wird oft gesagt, Gebärdensprache sei etwas für die ganz schwachen Kinder, die es nicht schaffen, zu sprechen. Dabei wäre es eine so gute Ergänzung, das Kind bilingual aufzuziehen. Viel mehr, als es jetzt passiert. Es ist wichtig, eine Sprache zu haben, die man wirklich perfekt beherrscht."

Auch wenn es mittlerweile einiges an Protest gegen die lautsprachliche Ausrichtung an den Gehörlosenschulen gibt, hat sich nur wenig dort geändert. Manche LehrerInnen können bereits Gebärdensprache, aber oft nicht komplett und kompetent. Immer wieder gibt es Schulprojekte, in deren Rahmen bilingual unterrichtet wird, "aber das sind eben nur Projekte mit beschränkter Laufzeit, die, wenn's keine Fördergelder mehr gibt, nicht weiter geführt werden", bedauert Euler.

Angstmache

So muss sie immer wieder feststellen, dass bei ihrer Kundschaft oft keine der Sprachen wirklich ausgebildet ist. Wenn gehörlose Kinder in hörende Familien - egal welcher Gesellschaftsschicht, betont der Job Coach - hineingeboren werden, herrscht auch in den Familien sehr wenig Kommunikation. "Es wird sehr wohl noch als Schicksalsschlag aufgefasst, ein gehörloses Kind zu haben. Es ist Angst da, man möchte nicht, dass das eigene Kind anders als die anderen ist. Ich kenne nur wenige Eltern, die auf Eigeninitiative hin Gebärdensprache lernen. Weil sie auffällig ist. Also lieber versuchen, dass sich das Kind anpasst und spricht. Außerdem wird ihnen gesagt: Wenn sie gebärden lernen, dann wird das Kind faul, dann möchte es nicht mehr sprechen. Man macht den Eltern zusätzlich Angst."

Basis fehlt

Ihrer Meinung nach ist das der falsche Weg, "weil das Kind dadurch sehr viele Informationen nicht mitbekommt. In anderen Ländern wie Schweden kriegen Eltern und Geschwister eines gehörlosen Kindes gratis Gebärdenkurse angeboten. Damit eine Basis da ist, sich auszutauschen." Es gehe sonst viel verloren, veranschaulicht Euler anhand eines Erlebnisses aus ihrer Beratungsarbeit: "Mutter und gehörloser Sohn kommen zu uns und wir gebärden mit dem Jungen. Und da die Mutter nicht mitgebärden kann, nutzt sie die Chance, dass wir übersetzen, was sie ihrem Sohn sagen will: 'Bitte sagen Sie meinem Sohn, dass ich ihn sehr, sehr lieb hab'."

Bildungssituation "heikles Thema"

Gehörlose könnten zwar einen Teil der Sprache von den Lippen ablesen, "es ist aber nicht so, dass es die Sprache voll ersetzt", führt Euler aus: "Ein Viertel bis ein Drittel der Laute können abgelesen werden, der Rest muss sich gedacht werden. Das ist sehr viel Kombinationsarbeit. Und Raterei. Aber vor allem ist es eines: Sehr anstrengend. Bei Vorträgen oder längeren Gesprächen ist Lippenlesen kein Wundermittel, weil die Konzentration einfach nachlässt. Und dann die Hälfte nicht verstanden wird."

Die Gebärdensprache hingegen stellt die Sprache dar, die ohne Hindernisse verwendet werden kann: "Da versteht die gehörlose Person wirklich alles. Vorausgesetzt, sie hat die Gebärdensprache gut gelernt." Das versucht Euler als Job Coach auch den Firmen zu erklären: "Auch wenn die Gehörlosen auf Nachfrage nicken, dass sie alles verstanden haben, ist es gut möglich, dass dem nicht so ist." Auch auf schriftlichem Kommunikationsweg ist das nicht immer gegeben: "Die Bildungssituation von Gehörlosen ist ein heikles Thema", sagt die Expertin. "Es ist schwierig für sie, eine adäquate Ausbildung zu bekommen, weil sich in den Gehörlosenschulen in ganz Österreich auf das Sprachtraining konzentriert wird und dadurch die Wissensvermittlung in den Hintergrund rückt. Schriftsprache wird oft nur mangelhaft beherrscht."

Das Resultat: Euler betreut sehr viele Personen, die nicht schriftsprachkompetent sind. "Es ist sehr, sehr selten, dass ein/e Gehörlose/r die Lautsprache perfekt spricht und versteht. Wenn ein/e Jugendliche/r dann in die Berufsschule kommt, nur die Hälfte versteht und auch nicht lesen kann, kann er/sie es nie schaffen. Wir organisieren auch DolmetscherInnen für die Klassen - aber wenn die Gebärdensprache auch nicht gut erlernt wurde, dann hat man nicht einmal das als sprachliches Mittel, über das man Wissen und Entwicklung vorantreiben kann. Es ist schade, wenn beide Sprachen so verkümmert sind und es wird für die Betroffenen irrsinnig schwer, eine passende Ausbildung zu bekommen und ihre Zukunft gestalten zu können."

"Veraltetes Konzept"

Rund 70 Menschen haben Euler und ihre Kollegin bislang zur Selbstständigkeit und zu Berufsperspektiven verholfen: Bei so vielen läuft es mittlerweile gut am Arbeitsplatz. Hauptsächlich kommen die Schützlinge in Handwerksberufen unter: "Es gibt integrative Lehrstellen in der Schneiderei, Tischlerei oder beim Schlosser. Wir haben aber auch viele HilfsarbeiterInnen bei uns, die im Reinigungs- oder Küchenbereich Stellen finden. Bei Personen mit Ausbildung schauen wir drauf, dass sie auch in ihren Bereichen arbeiten können."

Aus der Halbjahresstatistik des Job Coachings geht hervor, dass gleich viele Männer und Frauen in Betreuung waren, aber auch, dass die Mehrheit der Ausbildungslosen und Billigst-LöhnerInnen Frauen sind. Außerdem werden viele Frauen an Schneidereien vermittelt, ein Bereich, der sich im "Aussterben" befindet, stellt Euler fest, weil eine Auslagerung der Textilberufe ins billigere Ausland passiert. Aber die Gehörlosenschulen nehmen diese Stellen kontinuierlich ins Visier: "Ein veraltetes Konzept", meint Euler. "Ich würde mir wünschen, dass neue Zweige geöffnet werden und Gehörlose andere Berufsbilder kennen lernen." Im IT-Bereich zum Beispiel, aber das sei mühsam und oft nicht von Erfolg gekrönt, weiß der Gehörlosen-Coach.

Alltägliche Diskriminierung

Denn die Ressentiments gegenüber Menschen, die nicht hören, sind stark: "Es beginnt schon bei den Vorstellungsgesprächen, dass Arbeitgeber meinen, sie könnten keine/n Gehörlose/n einsetzen, weil man telefonieren muss. Obwohl es mittlerweile Bereiche gibt, wo man gut via E-Mail kommunizieren kann. Nur sind viele Firmen nicht bereit, es zu versuchen, weil sie meinen, das könnten sie den Kunden nicht zumuten." Auf Baustellen hieße es meist, es sei viel zu gefährlich für jemanden, der nicht hört. "Die Gefahr wird leicht überbewertet dargestellt, meiner Meinung nach. Eigentlich sollte eine Baustelle für jeden sicher sein."

Auch der Arbeitsdruck samt einer erforderlichen Schnelligkeit bei Tätigkeiten wird ins Feld geführt und von vornherein gesagt, "da kommt die/der Gehörlose nicht mit, wie soll man mit der/dem kommunizieren, die/der kann das doch nicht." Die Vorbehalte tauchen überall dort auf, wo aufs Hören viel wert gelegt wird, zum Beispiel im Traumberuf vieler Burschen, auch gehörloser: Automechaniker. Verschiedene Motorschäden könnten nur hörend erkannt werden, heißt es. "Da haben wir auch ein paar Gegenargumente: Wir stellen klar, dass Gehörlose sehr gut fühlen und Schwingungen spüren können, wenn sie die Hand statt dem Ohr einsetzen, und so erkennen können, woran es hapert. Sie erfahren eben sehr viel durch ihre anderen funktionierenden Sinne." Oft sei dies aber vergebliche Müh': "Die Chefs davon zu überzeugen, ja überhaupt einmal soweit zu bekommen, in die Richtung zu überlegen, dass man es einer/m Gehörlose/n doch eine Chance geben könnte, ist sehr schwer."

Rückzug

Gesetzlichen Diskriminierungsschutz hätte man, sagt Euler, "nur kommt es oft gar nicht so weit, dass der greifen würde, weil man die gehörlosen Personen gar nicht in die Betriebe hineinbringt." Mittlerweile darf man zwar in AMS-Inseraten nicht mehr anführen, dass man keine Gehörlose haben will - was früher durchaus gangbar war. "Aber wenn man bei den ausgeschrieben Stellen anruft und jemanden vermitteln will, der nicht hört, heißt es dann eben übers Telefon: 'Na, Gehörlose, ah na, is nix.' Das wird sofort abgeblockt."

Diese Erfahrungen der Zurückweisung und des Ausschlusses führen dazu, dass viele Menschen nicht zugeben, dass sie schlecht hören, und Gehörlose sich aus dem öffentlichen Leben zurückziehen - müssen. "In Österreich leben an die 10.000 Gehörlose, dann kommen noch viele Schwerhörige dazu, und die Dunkelziffer wird hoch geschätzt. Es gibt viele Gehörlose, die versteckt leben und nicht registriert werden."

Kampf um Bildung

Diejenigen, die sich nicht unterkriegen lassen und sich bis zum Studium vorarbeiten, müssen viele Hürden nehmen. Sie bekommen vom Bundessozialamt ein geringfügiges Budget, mit dem sie GebärdensprachdolmetscherInnen anfordern können, "nur reicht das gerade Mal für ein, zwei Vorlesungen im Semester - und das ist einfach viel zu wenig." Es sei nicht mehr Geld da, heißt es von den Zuständigen. Punkt. "Da kommen dann auch die DolmetscherInnen unter Druck, weil von ihnen verlangt wird, billiger zu werden." Nur wovon dann leben? "Man kann diese qualitative Arbeit nicht zu einem Spottpreis anbieten." Es wird viel gekämpft, von Seiten der Studierenden und der DolmetscherInnen, um die Situation zu verbessern. "Es ist so mühsam. Du müsst für jeden Antrag kämpfen, um jeden Euro. Es werden viele Steine in den Weg gelegt, und gerade in der Bildung ist das fatal: Es gibt so viele Leute, die schlechte Bildungschancen haben, aber so viel Potenzial. Wenn das brach liegt, verkümmert das mit der Zeit."

Gehörlosen mehr Gehör schenken

Euler sieht es als ihre Aufgabe, das nicht soweit kommen zu lassen und will zwei Welten zueinander führen: Die der Gehörlosen und der Hörenden. Was bei ersterer ein besonderer Punkt ist: "Ich seh' sie mittlerweile nicht als Behindertengruppe sondern als eigene Minderheitengruppe mit eigener Kultur, mit eigener Sprache, der man die benötigte Anerkennung und Respekt entgegenbringen muss. Sie sollte selbstverständlicher vorkommen und behandelt werden, insbesondere im Bildungswesen wäre mir das wichtig. Dieser Gruppe sollte mehr Gehör geschenkt werden. Weil sie so leicht verschwindet."

Kleine Schritte mit großer Wirkung

Es hänge so viel von der hörenden Welt ab, ist Euler überzeugt, von deren Rücksichtnahme und Bereitschaft, etwas "anderes" zuzulassen und ihre Möglichkeiten zu weiten. Oft kann das schon über kleine Dinge passieren, wie dem Einsatz von Untertiteln im Fernsehen oder der Präsenz von DolmetscherInnen, wie nun auch in der ORF-"Zeit im Bild" um 19.30 Uhr. "Wichtig wäre, mehr Aktuelles zu dolmetschen und für die breite Masse zugänglich zu machen." Apropos öffentlich-rechtliches Staatsfernsehen: Was von Seiten des Gehörlosenbunds ÖGLB erreicht wurde, ist die Abschaffung der vollen GIS-Gebühr für Gehörlose. 

Um das Leben von Betroffenen angenehmer und barrierefreier zu gestalten, gibt es Maßnahmen wie bei den Wiener Linien, die Haltestellen-Digitalanzeigen eingeführt haben. "Da sitzt eine engagierte Dame im Beirat", weiß Euler. Es gibt vereinzelt auch schon Displays in den U-Bahn-Garnituren, aber das ist alles eine Frage des Geldes. Auch bei Homepages, die mit Gebärdensprach-Videos versehen werden. "Das Internet ist für Gehörlose eine tolle Erfindung. Sie chatten irrsinnig viel, es gibt auch eigene Gehörlosenchatrooms, wo 'gehörlosisch' geschrieben wird. Die Grammatik ist eine andere als bei der deutschen Sprache, es ist eine eigene Schriftsprache."

So wird es Schritt für Schritt besser, ist Euler optimistisch, auch wenn manche Veränderungen von der hörenden Welt nicht immer begrüßend aufgenommen werden: "Weil diese 'Maxln' stören, die neben der Nachrichtensprecherin 'herumfuchteln'", erzählt sie von so mancher Beschwerde. Sie selbst ist als selbstständige Dolmetscherin im Einsatz, dort, wo man erkennt, dass sie gebraucht wird, und sie organisiert Gebärdensprachkurse für Firmen, zumindest, um die Basics der Kommunikation und Zwischenmenschlichkeit zu vermitteln.

Misstrauen

Diese Bereiche sind oft von Missverständnissen geprägt, auch von Seiten der Gehörlosen, meint Euler: "Ich stelle oft ein gewisses Misstrauen gegenüber der hörenden Welt fest. Das ist ein sehr häufiges Problem in Firmen. Die Gehörlosen machen sich viele Gedanken, was geredet werden könnte, was womit zusammenhängen könnte, weil sie auf sich zurückgeworfen werden. Die größte Gefahr ist eben, wenn man Gehörlosen zu wenig Informationen gibt, was so in den Firmen abläuft und sie sich dann selber Sachen zusammenreimen, die nicht stimmen." Dieses Misstrauen müsse sie als Coach abbauen, und dafür sorgen, dass die Gehörlosen die Infos auch kriegen, die sie brauchen - was letztlich beiden Seiten zu Gute kommt.

Feminisiertes Berufsfeld

Was allerdings einseitig ist: Das Geschlechterverhältnis unter den BetreuerInnen. "Es vermischen sich zwei typisch weibliche Berufsbereiche, Sprachen und Soziales. Wir haben es ziemlich schwer, Männer in unser Team zu bringen", resümiert Euler über die Frauenquote im WITAF von 100 Prozent, "obwohl es sehr wichtig wäre, weil wir sowohl Frauen wie Männer betreuen, und manche einen männlichen Betreuer wollen und brauchen." Immer wieder hätten auch Männer mitgearbeitet, "nur haben die sich früher oder später als Dolmetscher selbstständig gemacht oder andere Jobangebote angenommen. Seit mindestens fünf Jahren sind wir nur Frauen." Es sieht laut Euler auch nicht so aus, als ob sich das ändern würde, von den Bewerbungen her: "Es gibt zwar Männer, die sich vorstellen, aber entweder können sie die Gebärdensprache nicht oder machen von sich aus einen Rückzieher, wenn man ihnen sagt, wie viel sie verdienen würden. Fast keiner kann das Gehalt akzeptieren. Und so bleiben die Frauen über." (bto/dieStandard.at, 16.8.2010)