Ist das Leben als Schwuler nicht wundervoll? Gianni Versace ist noch aktiv, und Steven (Jim Carrey, re.) und sein Lebensabschnittsgefährte Jimmy (Rodrigo Santoro) lassen es sich richtig gutgehen.

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Jim Carrey brilliert in dieser Rolle nicht nur beim Coming-out.

Wien - Kleine Rückblende in den Winter 2009: Der US-Kinostart von Gus Van Sants Biopic Milk steht kurz bevor, und beim Filmfestival in Sundance läuft eine Komödie, die ebenfalls auf der realen Biografie eines bekennenden Schwulen basiert. Mit Jim Carrey und Ewan McGregor spielen zwei Hollywood-Stars die Hauptrollen in I Love You Phillip Morris. Auch der Umstand, dass ihr Kollege Sean Penn für seine Verkörperung des legendären Kommunalpolitikers und Aktivisten Harvey Milk wenig später einen Academy Award und stehende Ovationen erhält, könnte darauf hindeuten, dass das Queer Cinema mitten im Mainstream - und in den Multiplexen - angekommen ist.

Aufschub ohne Ende

I Love You Phillip Morris verschwindet jedoch erst einmal wieder vom Radar (der Film des Sundance-Jahrgangs 2009, der noch Furore machen wird, ist Precious - aber das ist eine andere Geschichte). Erst im Mai 2009 meldet das Branchenmagazin Variety, dass sich nun doch ein US-Verleih gefunden habe. Ein Kinoeinsatz in den USA wird seither immer wieder verschoben. Die jüngste Verlegung auf Oktober 2010 ist die Folge eines Rechtstreits, ursprünglich waren es aber dem Vernehmen nach inhaltliche Gründe.

I Love You Phillip Morris basiert auf der außergewöhnlichen Lebensgeschichte von Steven Russell. Der sitzt im wahren Leben immer noch seine 144-jährige Haftstrafe ab: Zwischen 1985 und 2000 hat er es zu einer bemerkenswerten Karriere als Betrüger und Gefängnis-Ausbrecher gebracht.

Vorher hatte der Sohn strenggläubiger Adoptiveltern sich in Überanpassung als Polizist und heterosexueller Familienvater versucht. Nach seinem Outing finanziert er seinen Lebensstil ("Gay life is expensive!") und den Unterhalt von Ex-Frau und Tochter bald hauptsächlich mit Versicherungs- und Kreditkartenbetrug. Im Gefängnis begegnet Russell einem gewissen Phillip Morris. Ab dann lügt und betrügt er auch im Namen der großen Liebe.

Für die filmische Verarbeitung dieser Biografie in eine unverblümte und bissige Komödie ist das Autoren- und Regieduo Glenn Ficarra und John Requa (Bad Santa) zuständig. Jim Carrey, der zuletzt vor allem als menschliches Ausgangsmaterial für allerlei Trickfilmexperimente (A Christmas Carol) im Einsatz war, spielt den begnadeten Täuscher und Tarner hier ohne Maske. Ewan McGregor gibt das naive Landei, das in zartgelber Knastuniform in Stevens Blickfeld tritt.

Fragen der Ökonomie

Der Film verwandelt sich in diesem Moment vorübergehend in eine zarte Persiflage von Romantic-Comedy-Sujets. Dass und wie die Ökonomie und deren Beherrschung selbst den Gefängnisalltag bestimmt, verlieren der Film und sein Held aber nie aus den Augen.

Die Szene, die laut Variety möglicherweise zulasten der Gesundheit heterosexueller Carrey-Fans gehen könnte, geht übrigens so: Steven, den man zuvor eher halb-engagiert und im Pyjama beim Vollzug seiner ehelichen Pflichten gesehen hat, ist mit breitem Grinsen, nackter Brust und ordentlich Hüftschwung a tergo zugange. Man darf annehmen, dass Umzug und Berufswechsel diese Veränderung im biederen Sexualleben des Ehepaares Russell bewirkt haben. Zumindest so lange, bis vorn ein schnauzbärtiges Gesicht ins Bild kommt.

Diese Outingszene ist ein Kalauer und trotzdem ziemlich komisch - und bei weitem nicht die einzige derart komische Szene in diesem Film. Sie arbeitet schön mit einfachsten Mitteln filmischer Inszenierung. Sie demonstriert grundsätzlich Gleichwertigkeit und im konkreten Fall eindeutige Präferenz: Steven ist schwul. Mit Hingabe, bald auch nicht mehr heimlich und in jedem Fall jetzt bei uns im Kino. (Isabella Reicher / DER STANDARD, Printausgabe, 15.7.2010)