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Die Causa Goldman bestätigt manchen Kritiker des Kasino-Kapitalismus.

Foto: Reuters/Jessica Rinaldi

Nach der SEC planen auch Berlin und London eine Untersuchung der Vorgangsweise von Goldman Sachs bei der Verbriefung fauler Immobilienkredite. Obamas Finanzmarktreform könnte von der Affäre profitieren.

Washington – Goldman Sachs gerät immer mehr unter Druck. Nachdem die amerikanische Börsenaufsicht SEC eine Klage gegen die größte und erfolgreichste Investmentbank der Wall Street angestrengt hatte, denken auch Deutschland und Großbritannien über Ermittlungen nach. Zahlreiche Investoren sehen sich durch die Ermittlungen bestätigt und fordern Schadenersatz. Und US-Präsident Barack Obama forciert nun seine vom Kongress blockierte Finanzmarktreform.

Die deutsche Finanzaufsicht Bafin werde ein Auskunftsersuchen an die Amerikaner stellen, kündigte Regierungssprecher Ulrich Wilhelm an. "Nach einer sorgfältigen Bewertung der Unterlagen werden wir rechtliche Schritte prüfen" , sagte er der Welt am Sonntag. Die Affäre zieht Kreise bis nach Deutschland, weil die Mittelstandsbank IKB zu den Großabnehmern von Papieren gehörte, die Goldman offenbar in dem Wissen verkaufte, dass sie rasch an Wert verlieren würden.

Die Bank, vor drei Jahren auf Kosten des Steuerzahlers vor der Pleite gerettet, soll rund 150 Mio. Dollar in hypothekengedeckte Anleihen gesteckt haben, in sogenannte Collateralized Debt Obligations, CDO. Viele der Wertpapiere basierten auf Subprime-Hypotheken, hochriskanten Krediten für Geringverdiener, die ihr Eigenheim ohne Eigenkapital kauften.

Noch schlimmer traf es ABN Amro, die inzwischen der Royal Bank of Scotland gehört, weshalb auch der britische Premier Gordon Brown eine Untersuchung ankündigte. Das Institut verlor 841 Mio. Dollar bei einem Deal, der eingefädelt wurde von zwei schillernden Jongleuren – einem Jungstar von Goldman und einem erfahrenen Hedgefonds-Manager.

Fabrice Tourre, der Jungstar, ließ in einer launigen E-Mail erkennen, wie er hin- und hergetrieben war zwischen realistischer Einsicht und blankem Zynismus. "Das ganze Gebäude wird jeden Moment zusammenstürzen" , schrieb er vor drei Jahren, das Platzen der Immobilienpreisblase ahnend. Er selber, witzelte er, sei der "einzige potenziell Überlebende" . "Nur der fabelhafte Fab (Fabrice Tourre – Red.) wird inmitten dieser komplizierten, exotischen Geschäfte stehen, die er schuf, ohne notwendigerweise alle Folgen dieser Monstrositäten zu verstehen."

Ein Näschen für den Crash

Auf eigene Faust handelte Tourre allerdings nicht, auch wenn ihn die Aufsicht bislang als einzigen Verantwortlichen benennt. Eine auf Hypotheken spezialisierte Goldman-Runde, kontrolliert von den Spitzen des Hauses, musste absegnen, was er an komplexen Produkten ersann. John Paulson wiederum, der erfahrene Hedgefonds-Manager, hatte beizeiten einen Riecher für die Wende am Immobilienmarkt. Die Goldgräberstimmung, die die Preise bis 2006 auf immer neue Rekordhöhen trieb, würde bald in Katzenjammer umschlagen, sah er richtig voraus. Der Höhenflug der Subprime-Kredite würde mit einer Bruchlandung enden, am Ende bliebe ein Scherbenhaufen. Dass die Wette aufging, spülte Paulson 2007 vier Mrd. Dollar aufs Konto, 2008 noch einmal zwei Milliarden.

J. P., wie ihn die Wall-Street-Prominenz ehrfürchtig nennt, wurde von Politikern hofiert, um Rat gefragt, als wäre er ein Guru. Zwei Monate nach dem ersten Schock der Finanzkrise lud ihn der US-Kongress ein, nicht als Schuldigen, sondern als gesuchten Experten. Umso lauter dröhnt nun der Paukenschlag. Nach Erkenntnissen der Prüfer durfte Paulson maßgeblich mitbestimmen, was Tourre in den Warenkorb packte. Es lag in seinem Interesse, dass die riskantesten Hypothekenpapiere ins Portfolio kamen, jene Papiere, auf deren Absturz er am besten wetten konnte.

Nach dem Verkaufsstart im April 2007 ging Abacus 2007-AC1, so der Name des Konstrukts, tatsächlich so rasant auf Talfahrt, dass den Investoren nur Krümel blieben. Im Oktober 2007 waren 80 Prozent der Kreditpapiere de facto wertlos, Anfang 2008 99 Prozent. Der Absturz als solcher wird Goldman nicht angekreidet, zumindest nicht von den Behörden. Ebenso wenig kann geahndet werden, dass ein Hedgefonds auf fallende Preise setzt. Kern der Klage ist vielmehr ein Interessenkonflikt, über den sich die "Goldmänner" ausschwiegen. Die Bank hätte die Kunden über die Rolle Paulsons informieren müssen, betont die SEC. Dass sie es nicht tat, nährt den Verdacht auf Betrug.

Darüber hinaus verstärkt es beim Normalverbraucher den Eindruck, dass die Wall Street nur ein Kasino ist. Stimmen die Anschuldigungen, doziert der Börsenhistoriker Steve Fraser in der New York Times, "bestätigen sie die Leute nur in ihrem Glauben, dass Finanzinstitute absolut egoistisch handeln" . Nichts könne mehr Schaden anrichten als dieses Gefühl, hier gehe es um mehr als um Inkompetenz oder Draufgängertum – "es geht um zynisches, selbstsüchtiges Ausnutzen". (Frank Hermann aus Washington, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 19.04.2010)