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Soziale Medien verkörpern die menschliche Seite an Organisationen

Wien - Es war einmal eine Zeit, da hat die Personalchefin vor dem Interview die Kandidatin, den Kandidaten gegoogelt und geschaut, ob da online auch keine Dummheiten zu finden sind. Gelegentlich schreibt mir einer meiner Studentinnen und Studenten aus Lehrveranstaltungen an der Uni Salzburg, ich möge doch bittebitte ihren Porträtschnappschuss und die dazugehörige Kurzbeschreibung von der Webseite nehmen, wo sich Inhalte und Arbeiten der Lehrveranstaltung finden. Weil sie besser keine Spuren im Netz hinterlassen wollen, Sie wissen schon, wegen Personalchefinnen und Chefs, die vor Interviews googeln.

Ich lösche dann artig das unverfängliche Bildchen samt Text, der Auskunft über die fleißige Arbeit der Betreffenden an einer Universität gegeben hätte, und denke mir dabei, niemals würde ich jemanden einstellen wollen, von dem ich keine Spuren im Netz finde. Keine Onlinespuren zu finden, das sollte heute verdächtig erscheinen: Haben diese Menschen denn kein Leben? Keine sozialen Kontakte zu anderen, keine gescheiten, durchschnittlichen, blöden Gedanken, die sie gelegentlich in die Welt hinausposaunen? Lesen die nicht, was auf Twitter in ihrer Peergruppe los ist, welche Zeitungsartikel gerade online weiterempfohlen werden?

Und wäre ich ein Kandidat für eines jener wichtigen Interviews mit einer Personalchefin, dann würde ich diese ganz sicher googeln und schauen, was die oder der so ist, in welches Unternehmen man da vielleicht dabei ist hineinzuwachsen. Und fände ich dann diese Person nicht auf Facebook, nicht auf Twitter, keine Bilder, keine Texte, nicht einmal die harmloseste Onlinespur: Dann wäre ich auf der Hut.

Sozialer Kit

Soziale Medien sind in wenigen Jahren zur kommunikativen Drehscheibe geworden. Etwa am Beispiel Twitter, in der Selbstdefinition der "Telegraf des 21. Jahrhunderts": Hierüber bilden sich höchst unterschiedliche soziale Netze ab, und als Benutzer muss man lernen, mit diesen Strukturen umzugehen. Das sind persönliche wie professionelle Netze, die sich SMS-artig und mit Links zu Infos, die aufgefallen sind, auf dem Laufenden halten. Um den mitgedachten Einwand zu entkräften: Nein, das ersetzt keine Begegnung, kein Gespräch. Aber es ist der soziale Kit, der Gruppen zusammenhält, wie Smalltalk beim Sonntagsbrunch und bei der Happy Hour mit Kollegen.

Man muss kein Selbstvermarkter sein, um von Twitter profitieren zu können: Auch ohne selbst zu posten, erfährt man viel von Meldungen ausgewählter Teilnehmer oder nach Suchbe_griffen durchforsteten Tweets. Denn Nachrichten haben eine starke soziale Komponente - häufig lesen wir, was uns Freunde oder Kollegen empfehlen, über Twitter oder Facebook. Was der Pressespiegel gestern war, ist heute der sozial selektierte Online-Newsfeed.

Es gibt viele Gründe, warum soziale Medien immer wichtiger werden. Der Verbund etwa bedient sich der Fotocommunity Flickr für seine Pressefotos und spart sich so den Betrieb einer eigenen Fotodatenbank. Nebeneffekt: Die Bilder erreichen damit auch eine interessierte Fotocommunity und zeichnen so ein ganz anderes Bild des Energieversorgers, als traditionell rüberkommt.

Soziale Medien verkörpern die menschliche Seite an Organisationen. Wenn man Mitarbeiter lässt, reden sie über ihren Job, über ihre Produkte, und das ist immer noch die überzeugendste Art, um andere Menschen anzustecken.Und sie hören und lesen, was andere über ihr Unternehmen denken - können auf Beschwerden reagieren, Lob weitergeben. Customer-Care und Relationship-Management, ganz ohne Aufwand.

Nation Facebook

Der Kommunikationschef des Davoser Weltwirtschaftsforums Matthias Lüfkens hält soziale Netze wegen dieser Dialogmöglichkeit längst für unverzichtbar. Viel mehr Menschen, als in Davos teilnehmen könnten, können sich über Youtube, Facebook, Twitter beteiligen. Wäre Facebook ein Land, sagt Lüfkens, dann wäre es das drittgrößte der Welt. Twittern als Chefsache: Ciscos Chief Technology Officer Padmasree Warrior hat fast eineinhalb Millionen Zuhörer („Followers") auf Twitter.

Natürlich stellt das eine Firma auf die Probe: Denn wer sich fürchtet, dass bei Tweets und Facebook-Updates rauskommt, was man lieber unter den Teppich kehrt, baut sowieso Mist. Hingegen lassen sich übliche Konflikte zwischen Veröffentlichung und Vertraulichkeit, zwischen Loyalität gegenüber der Firma und den eigenen Interessen regeln, wenn soziale Medien gewünscht statt unerwünscht sind. Reuters ermutigt seine Journalisten zu sozialen Medien und hat ein Handbuch erstellt, welche Spielregeln es sich erwartet. Und sogar das US-Militär, naturgemäß kein Freund des Tratschs, hat erst vor wenigen Wochen Facebook und Co seinen Segen erteilt: „Der Nutzen überwiegt Sicherheitsbedenken", sagt der stellvertretende Verteidigungsminister David Wennergren. Das müsste wohl auch einen Personalchef überzeugen. (Helmut Spudich, DER STANDARD, 3./4./5.4.2010)