Walter Nettig

Foto: DER STANDARD/Robert Newald

Standard: Bei der Sängerknabenhotline haben sich bisher elf Personen gemeldet. Was wird in diesen Fällen unternommen?

Nettig: Wir werden uns in jedem einzelnen Fall intensiv mit dem Betroffenen auseinandersetzen - auch über die weitere konkrete Vorgangsweise.

Standard: Besteht Bereitschaft, Psychotherapien zu finanzieren, wie einige Beschwerdeführer fordern?

Nettig: Ich bitte um Verständnis, dass ich dazu keine allgemeine Aussage treffen kann. Jeder Fall, jeder Betroffene ist für sich einmalig. Wir werden jedenfalls alles tun, um jedem Einzelnen die gewünschte Unterstützung zukommen zu lassen.

Standard: Betroffene von früher beschreiben einzelne Präfekten als besonders übergriffig - auch sexuell. Wie gehen Sie damit um?

Nettig: Sofern die Präfekten noch leben und wenn es von Betroffenen gewünscht wird, werden wir sie darauf ansprechen. Rechtlich betrachtet sind aber alle bisherigen Vorwürfe bereits verjährt.

Standard: Sind die Vorwürfe ein Anlass, um die pädagogische Vergangenheit der Sängerknaben generell kritisch zu untersuchen?

Nettig: Übergriffe, ganz gleich welcher Art, stellen ein Unrecht dar, mit dem wir uns intensiv auseinandersetzen müssen und wollen. Auch, wenn eine Tat verjährt oder rechtlich keine Straftat ist.

Standard: In der Vergangenheit wurde auf ähnliche Vorwürfe, wenn, dann mit internen Konsequenzen reagiert. Hätte man offener damit umgehen sollen?

Nettig: Natürlich ist man im Nachhinein immer klüger, und vieles würde heute anders gehandhabt als früher. Aber auch damals wurde auf alle Vorwürfe immer unverzüglich und in Absprache mit den Eltern reagiert. Heute würden wir in jedem Fall Anzeige erstatten.

Standard: Haben Sie Ihre eigene Sängerknabenzeit von 1944 bis 1948 auch als streng in Erinnerung?

Nettig: Ich habe sie in positiver Erinnerung und möchte sie nicht missen. Die pädagogischen Methoden von damals waren aber nicht mit den heutigen zu vergleichen. So mussten wir zum Beispiel die Lehrer in der Schule in der dritten Person anreden. (Irene Brickner/DER STANDARD, Printausgabe, 24.3.2010)