Zur Person:
Geb. 1944 in Graz. Seit 1969 im ORF, u. a. als persönl. Referent von GI Gerd Bacher; Artdirector; Programmkoordinator, Hauptabteilungsleiter Kultur; Intendant des Landesstudios Steiermark, seit 2006 TV-Programmdirektor

Foto: E. Semotan

Standard: Vieles von "Changing Channels" fand in den von Ihnen erfundenen "Kunst-Stücken" statt. Waren das goldene Fernsehzeiten?

Lorenz: Man konnte damals im Schatten des Establishments unglaublich viel machen, weil sich das Fernsehen erst selbst erfunden hat. Die Freiräume waren größer, die Kontrollen weniger strikt. Man konnte programmieren, ohne dass der Generalintendant oder Fernsehdirektor gefragt wurden. Das klingt heldischer, als es war. Wir hatten Geld und behaupteten: Das Fernsehen sind wir. Diese Arroganz ist heute unmöglich, unangemessen und nicht zeitgemäß.

Standard: Jetzt sind Sie selbst im Management, da könnten Sie sich doch diese Freiräume schaffen?

Lorenz: Tue ich auch, aber die Zeiten sind vorbei, wo man reich und glücklich war und auf die Quoten gepfiffen hat. Die Qualität des Fernsehens stellt ja heute bekanntlich die Quote fest. Der Sprung in den Kommerz hat dem ORF natürlich nicht nur gut getan. Ich versuche ein empfindliches Gleichgewicht zwischen Qualität und Quote zu halten.

Standard: Woran liegt die Entfremdung zwischen Kunst und TV?

Lorenz: Die Avantgarde hatte damals die uneingestandene Sehnsucht, sich bis zu einem gewissen Grad fast bürgerlich zu verorten. Die Kunst-Stücke waren eine Art Zuhause und galten bald als feine, mutige Adresse. Man glaubt es heute kaum, aber zur Weltelite zählende Künstler wie Nam June Paik, Bruce Nauman oder Peter Greenaway haben von sich aus die Zusammenarbeit angestrebt. Wir hatten übrigens zum Teil verheerende Ratings, aber das haben wir, technisch bedingt, erst viel später erfahren. Und es war allen völlig egal. Nicht alles, was wir gezeigt haben, war übrigens erste Sahne. Aber es hat immer etwas gehabt: den Geruch der Freiheit.

Standard: Womit die Künstler damals provoziert haben, scheint nun fernsehtauglich für die Massen?

Lorenz: Der von mir verehrte Peter Weibel hat in einem Interview gesagt, die Avantgarde sei damals zu weit gegangen. Das, wofür man vor 30 Jahren mit dem Gefängnis bedroht wurde, verschafft einem heute eine Einladung zu Talkshows. Die Avantgarde ist letztlich an der bürgerlichen Umarmung gestorben und entartet in Unfassbarkeiten wie Big Brother, Käferfressen und Wettkotzen.

Standard: Was tun Sie als Fernsehdirektor dagegen - außer buchstäblich zuschauen?

Lorenz: Dagegen halten, so gut es geht. Fernsehen ist aber mittlerweile so ausgereizt, dass es sich neu erfinden wird müssen, um zu überleben. Dazu müsste man eine strikte Vorstellung von Gesellschaft haben; die hat aber weder die Politik, noch wir. Es ist eine Bewusstlosigkeit eingetreten, die daraus resultiert, dass ständig etwas zusammengebrochen ist - Kommunismus, Sozialismus, Kapitalismus -, ohne dass etwas Neues entstanden wäre. Daher auch eine ständig schlecht aufgelegte Gesellschaft, die selbst nicht weiß, was sie von uns will - außer ein sogenanntes "gutes Programm" . Aber sie weiß nicht, welche Lebenswelten, Menschenbilder, Zukunftsaussichten wir kommunizieren sollten. Es ist eine reine Überlebensgesellschaft; und so ist aus dem ORF eben auch ein Überlebensrundfunk geworden.

Standard: Droht dem ORF ein AUA-Schicksal?

Lorenz: Ich glaube, nein. Wir sind ja keine Flieger. Flugzeuge haben keine Seele, wir schon.

Standard: Ihre Einschätzung des neuen ORF-Gesetzes?

Lorenz: Es ist ein Schritt in Richtung Staatsfernsehen. Die Politik versucht den Rundfunk als Sprachrohr versus Wähler zu instrumentalisieren. Das läuft den Stiftungszielen diametral entgegen. Dem ist mit aller Vehemenz entgegenzutreten, da bedarf es einer kampfbereiten Mannschaft.

Standard: Und: Ist sie das?

Lorenz: Kann ich so nicht global beantworten. Einige schon. Aber im Wesentlichen fahren wir das beschriebene Überlebensmodell der Politik mit.

Standard: Mit Dominic Heinzl als Überlebensretter?

Lorenz: Eine blanke Überschätzung. Aber ich war an seinem Erwerb und der Implantation ins Programm nicht beteiligt.

Standard: Glauben Sie, dass Sie Ihre ehemaligen Künstler-Weggefährten mit Ihrem Programm enttäuschen?

Lorenz: Wieso ehemalig? Man hält mich für Mr. Kunst, der die Kunst des Unmöglichen zu beherrschen hat. Ich schaffe die Kunst des Möglichen ziemlich gut, aber die des Unmöglichen nur mehr selten, dazu hat sich Fernsehen zu sehr verändert, vermarktet, kommerzialisiert. Aber auch die Künstler arbeiten in verdächtig hohem Maße nur mehr für den Markt. Die Quote hat auch die Kunst voll erwischt.

Standard: Welche Quote wird dem für 2011 geplanten Kulturkanal vorgegeben?

Lorenz: Gar keine. Da wird man eventuell neue Kulturen anpflanzen und eine neue Fernsehavantgarde pflegen können. Es wäre fabelhaft, wenn ein Hauch von Werkstatt, von Beheimatung einer möglichen Avantgarde, Bestandteil des Kulturkanals würden. Aber wir können nur die Nester bauen. Eier legen müssen die Künstler dann schon selber.

(Andrea Schurian, DER STANDARD/Printausgabe, 06./07.03.2010)