Rund 3.000 Personen kamen zur spontanen Blockade-Demonstration am Albertplatz in Dresden.

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Einige Demonstranten hatten ihre ganz eigenen Vorstellungen davon, wie man mit Rechten umgehen soll.

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Ein großes Polizeiaufgebot aus ganz Deutschland trennte rechte und linke Gruppen. Es kam nur zu wenigen Zusammenstößen.

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Konstantin Wecker während der Blockade am Samstag: "In manchen Gegenden hier beanspruchen die Rechten die kulturelle Hoheit und sagen das auch ganz offen."

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Ob er denn traurig sei, heute hier sein zu müssen? Konstantin Wecker blickt kurz auf und sein Gesicht wird müde. "Ich bin seit 40 Jahren traurig darüber, dass es noch immer Nazis gibt. Meine Lieder haben leider nichts bewirkt", sagt er. Ein neben ihm stehender Freund spendet ihm ein aufmunterndes Lächeln, das sagen will: "Ach Konstantin, jetzt sieh das doch nicht so schwarz!" - oder treffender: Braun.

Der Naziaufmarsch in Dresden am Jahrestag der alliierten Luftangriffe im Februar 1945 ist seit der Wende traurige Realität für die Stadt. Jahr für Jahr versammeln sich tausende Neonazis aus ganz Europa hier und ziehen schweigend durch die Stadt. Begleitet wird das Ganze von lautstarken Protesten, einem riesigen Polizeiaufgebot und fast immer fliegen dabei Steine und Knüppel, kommt es zu Ausschreitungen und Zusammenstößen zwischen den rivalisierenden Gruppen und der Polizei. In diesem Jahr sollte es anders werden. Eine Blockadedemonstration verhinderte erstmals, dass die Neonazis marschieren konnten und es blieb friedlich.

Wecker, der Liedermacher aus Bayern, kommt gerade von einem Auftritt auf der improvisierten Bühne der Blockadedemonstration am Dresdner Albertplatz herunter. Blockade gegen die größte Demonstration von Neonazis in ganz Europa. Das war sie zumindest im vergangenen Jahr, als 6.500 von ihnen durch die Dresdner Altstadt marschieren durften - sicher durch die Stadt geleitet von Polizeikräften. Es war wie in jedem Jahr seit der Wende, in denen nationalsozialistische Märsche durch Dresden angemeldet wurden, diesmal durch die Junge Landsmannschaft Ostdeutschland e.V.

Es ist Samstagvormittag und Wecker hat gerade ein kurzes Set gespielt. Seine Lieder gegen Rechts. Er thematisiert Rostock-Lichtenhagen, wo unter dem Beifall tausender Menschen im Jahr 1992 ein Asylwerberheim angezündet wurde. Er nennt Mölln, Hoyerswerda und Erberswalde - Städte in Deutschland, die im kollektiven Gedächtnis haften geblieben sind durch rechtsradikale Übergriffe. Die meisten von ihnen liegen im Osten des Landes. Und Dresden? "Wir müssen das Gespenst Dresden endlich bannen", sagt Wecker nach seinem Auftritt.

Für die Neonazis ist die Sache klar

Das Gespenst Dresden ist in diesem Moment ganz nah. Von Wecker und den anderen rund 3.000 Demonstranten ist es abgetrennt durch eine Hundertschaft an Polizisten. In Sichtweite des Albertplatz liegt der Bahnhof Neustadt, an dem sich heute 8.500 Neonazis angekündigt haben, um wieder einen Marsch durch die Stadt zu vollziehen, die wie keine andere zum Symbol für die sinnlose Zerstörung zivilen Lebens im Zweiten Weltkrieg in Europa geworden ist. 25.000 Menschen kamen im Bombenhagel der britischen und amerikanischen Flugzeuge in dieser Offensive um. Für Dresden und für Deutschland stellt sich seit Jahren die Frage, wie man dem Angriff auf Dresden und seiner zivilen Opfer gedenken kann, ohne dabei die Rollen zu vertauschen zwischen Opfer und Täter. Es ist ein Lavieren.

Für die Neonazis ist die Sache klar: Der Luftangriff auf Dresden sei militärisch sinnlos gewesen und ein "Bomben-Holocaust". Deshalb sind sie hier, sagen sie. Um zu trauern. Aber ganz so einfach ist es nicht. Denn die Rechten nutzen den medienwirksamen Auftritt vor allem um ihre jetzige Stärke zu demonstrieren. "Das war schon was, mit so vielen durch die Stadt zu marschieren", zitierte die Berliner taz einen Neonazi-Aussteiger. "Da denkt man, wir sind eine Macht." Am Ende des Tages spricht die Polizei von 6.400 rechten Demonstranten, die am Bahnhof Neustadt ankamen - und dort blieben.

"Sie glauben ja wohl nicht, dass ich mich da einreihen werde, nur damit es schöne Fotos in der Altstadt gibt", sagt Johannes Lichdi, Landtagsabgeordneter der Dresdner Grünen zu derStandard.at. Er meint damit die Menschenkette, die am Samstag rund um die Altstadt gebildet wurde. Im Gedenken an die Opfer des Luftangriffs und im Protest gegen Rechts riefen Parteien, Kirchen und andere Organisationen zu dieser Kundgebung auf, die ein voller Erfolg wurde. 10.000 Menschen - darunter auch die Grüne Parteivorsitzende Claudia Roth - beteiligten sich.

Nur: Zu umringen hatten sie außer einigen barocken Gebäuden nichts. Die Demonstration der Neonazis wurde kurz vor dem 13. Februar an den Bahnhof Neustadt auf der nördlichen Elbseite verlegt - und damit weg von der Altstadt, aber in direkte Nachbarschaft zum bekannten linksalternativen Viertel Dresdens. "Damit haben sie Dresden in zwei Teile gespalten", sagt Lidchi, der sofort danach die Blockade-Demonstration am Albertplatz angemeldet hatte.

"Nach dem Motto: In der Neustadt wohnen ja eh nur die Chaoten." Und die - ob links oder rechts - könnten sich ja dann dort bekriegen, während es auf der anderen Elbseite ruhig bliebe. Lidchi ist nicht allein mit seiner Kritik am Umgang der Stadt mit dem Naziaufmarsch. Cornelia Ernst, Europaabgeordnete der Partei Die Linke, empfindet es als "pietätlos, die Nazi-Demo am Bahnhof Neustadt stattfinden zu lassen". Von dort gingen während des Zweiten Weltkriegs auch Deportationszüge in Richtung Osten, eine Gedenktafel erinnert heute daran.

Die Polizei riegelt im Laufe des Vormittags die Elbbrücken ab. Wer von Süden aus in die Neustadt möchte, muss sich ausweisen und nachweisen, dass er dort wohnt. Eine junge Frau im Kapuzenpulli gibt von der Bühne am Albertplatz immer wieder Informationen zum Verlauf der Blockade aus. Sie spricht von 2.000 Menschen, die auf diese Weise am Zugang zur Demonstration gehindert werden. Überall stehen junge Menschen und informieren sich per sms oder über twitter über die Ereignisse. Die Stimmung ist friedlich, aber angespannt. Die Polizeitrupps, die immer wieder in schnellen Schritt den Platz queren, verwirren die Teilnehmer. Warum gehen die in diese Richtung? Gab es einen Zusammenstoß? Ist die Blockade an einer Stelle aufgelöst worden?

Es wird Musik gespielt, viele tanzen dazu, auch um die Kälte aus den Knochen zu bekommen. Derweil füllt sich langsam der Bahhofsvorplatz in Dresden-Neustadt. Aus wenigen hundert werden bald 4.000 Neonazis, die marschieren wollen. Aber die Polizei lässt sie nicht - Aufgrund der vielen Blockierer rund um den Bahnhof.

27 Personen verletzt, davon 15 Polizisten

Am Samstagvormittag geht die Nachricht durch die Reihen, das Alternative Zentrum Conni, eine stadtbekannte linke Einrichtung, sei das Ziel einer Attacke von Neonazis geworden, wobei eine Person schwer verletzt wurde. Die Dresdner Polizei bestätigt am Samstagabend gegenüber derStandard.at eine solche Auseinandersetzung. "Zum jetzigen Zeitpunkt kann ich aber nicht sagen, ob es sich dabei um einen Angriff von Rechten auf Linke handelte oder umgekehrt", sagt der Sprecher am Samstagabend.

Später zünden linke Blockierer eine Straßensperre auf dem Bischofsweg an, Wasserwerfer werden eingesetz. Es gibt kleinere Zusammenstöße zwischen linken Demonstranten und der Polizei. Gegen 13 Uhr fliegen auf dem Bischofsweg in Richtung der Polizisten. Nachdem den Neonazis am Bahnhof Neustadt über Lautsprecherdurchsagen mitgeteilt wird, dass der Aufmarsch untersagt wird, kommt es auch hier zu Auseinandersetzungen. Einige von ihnen werfen Feuerwerkskörper und Flaschen und sprühen Reizgas in Richtung der Einsatzkräfte. Insgesamt werden 27 Personen während des gesamten Tages verletzt, davon 15 Polizisten. 29 Personen werden in Gewahrsam genommen. Der Polizeibericht zählt am Ende acht zum Teil komplett zerstörte Fahrzeuge in der Umgebung der Demonstration. Insgesamt waren 5.693 Polizeikräfte aus dem gesamten Bundesgebiet im Einsatz.

Bizarre juristische Auseinandersetzung

Die Entscheidung, die Demonstration des JLO am Neustädter Bahnhof stattfinden zu lassen, war der Höhepunkt einer bizarren juristischen Auseinandersetzung im Vorfeld des Gedenktages. Dabei wollten alle demokratischen Parteien im sächsischen Parlament diese Veranstaltung am liebsten verbieten. Sie zimmerten ein neues Versammlungsrecht, das die Demonstrationsfreiheit am 13. und 14 Februar in Dresden einschränken sollte. Das wurde aber zwei Tage vor dem Demo vom Oberverwaltungsgericht des Landes gekippt. Die Justiz ging auch gegen das Bündnis Dresden Nazifrei! vor und stufte deren Aufrufe zu Sitzblockaden bei der Neonazidemo als illegal ein. Plakate wurden beschlagnahmt und Einrichtungen durchsucht.

Manche vermuten dahinter System: "Das ist ein wahltaktisches Handeln der CDU. Sie versucht linke Gruppen zu kriminalisieren", sagt Katja Kipping, Bundestagsabgeordnete der Linkspartei zu derStandard.at. Sie kritisiert, dass die das Land seit Jahren regierende CDU (inzwischen in einer Koalition mit der FDP) zwar gern allgemein gegen Rechtsextrismus reden würde, aber nicht konkret handelt. "Der Staat müsste für die, die hier organisieren, zumindest eine Dankeschön-Party schmeißen oder zumindest warmen Kaffee ausschenken", so Kipping am Albertplatz zu den Demonstrierenden.

"Das erste Mal den Naziaufmarsch verhindert!"

"Falls es euch noch nicht klar ist, wir haben heute das erste Mal den Naziaufmarsch am 13.2. in Dresden verhindert!" twittert der Liveticker von Dresden Nazifrei um kurz nach 15 Uhr. Jubel brandet auf, als die Botschaft von der Bühne verkündet wird, dass die Polizei aufgrund der hohen Zahl an Blockierern schon zwei Stunden vor dem offiziellem Ende der Demonstration um 17 Uhr bekannt gibt, dass niemand durch Dresden marschieren wird.

Unter den Blockierern läuft auch Hans-Christian Ströbele, Bundestagsaabgeordneter aus Berlin und einziger mit einem Direktmandat in den Bundestag gewählter Grüner des Landes. Die Linken auf dem Bischofsweg grüßen ihn und nicken freundlich, wenn er an ihnen vorbei läuft. Für sie ist der weißhaarige Mann einer von ihnen. Er nennt das Ergebnis "einen erheblichen Erfolg". Auch er habe sich Demonstration der Neonazis aus der Nähe angesehen. "Wenn da 4.000 Rechte stehen, das ist schon ein beklemmendes Gefühl", sagt er.

Ströbele berichtet auch von einer Gruppe von 1.000 Neonazis, die sich über die Bahngleise unkontrolliert Zugang zum Bahnhof Neustadt verschafft hätten. "Das war eindeutig illegal", sagt Ströbele. Der Polizeisprecher kann diesen Vorfall am Samstagabend nicht bestätigen. "Davon ist mir nichts bekannt", sagt er und auch im Polizeibericht findet sich tags darauf nichts darüber. Allerdings bestätigen Demonstrationsteilnehmer am Sonntagabend gegenüber derStandard.at dass dort eine Gruppe von 500 Neonazis vom Bahnhof Mitte aus über die Gleisanlagen Richtung Dresden-Neustadt gelaufen sei. "Das war schon beängstigend, wie die da gröhlend und Steine werfend entlang gelaufen sind", sagt einer der Demonstranten, denen am Samstag auf der anderen Elbseite der Zugang in die Neustadt und zur Blockade am Albertplatz verwehrt wurde. 

Ausschreitungen in anderen Städten

Der Bundestagsabgeordnete Ströbele freut sich zwar über den Erfolge der Blockade, wirklich  glücklich könne er aber auch nicht sein. Er finde es "schlimm, dass das Gedenken an die Opfer so missbraucht wird". Missbraucht für eine Auseinandersetzung zwischen Links und Rechts, die sich in den vergangenen Jahren immer weiter aufgeschaukelt hat. Dass die Nacht auf Sonntag in Dresden friedlich blieb, trotz des "hohen Potenzials an Gewalt in der Stadt", wie es die Polizei am Abend formulierte, war auch nicht unbedingt zu erwarten. In der Nachbarstadt Pirna und im thüringischen Gera kam es aber dennoch zu Ausschreitungen, wie am Sonntagabend bekannt wird. In Pirna warfen rund 400 Neonazis Steine auf die SPD-Zentrale, in Gera zogen 180 Rechte durch die Innenstadt und bedrängten Polizisten.

Nach der Niederlage in Dresden suchten und fanden Neonazis hier anscheindend ein Ventil, ihre Aggressionen herauszulassen, so wie es in den vergangenen Jahren immer wieder in noch schärferer Form geschehen ist. Die Ortsnamen Rostock, Mölln, Hoyerswerda und Eberswalde sind dabei nur die bekanntesten. Fast jede Stadt - vor allem in Sachsen, wo die rechtsextremistische NPD im Landtag sitzt - kann davon berichten. "Es war ein Versäumnis der Politik nicht mit den Rechtsextremen umzugehen", sagt Konstantin Wecker, der Sänger. "In manchen Gegenden hier beanspruchen sie die kulturelle Hoheit und sagen das auch ganz offen." Zumindest für Dresden galt das an diesem Samstag nicht. (Andreas Bachmann, derStandard.at, 14.2.2010)