Die griechische Budgettragödie, die zu einer Verschärfung der Überwachungsmaßnahmen der EU-Kommission führte, hat in einer Hinsicht ihr Gutes. Sie führt allen Bürgern der Europäischen Union und jenen in der Währungsunion im Konkreten ganz plastisch vor Augen, was eine voll integrierte europäische Gemeinschaft in letzter Konsequenz bedeutet: eine Schicksalsgemeinschaft.

Ob man es will oder nicht, niemand mehr kann sich seit der Einführung des gemeinsamen Geldes dem Faktum entziehen, dass die einzelnen EU-Staaten längst nicht mehr autonom und souverän sind. Sie sind mit dem Euro vielmehr auf Gedeih und Verderb miteinander verbunden, ihre Entscheidungen wirken wie in kommunizierenden Gefäßen.

Und auch die Unionsbürger bekommen das zu spüren - sei es in Form höherer Löhne (im Aufschwung), durch Geldentwertung (wie derzeit gegenüber dem Dollar) oder höheren Zinsen, im Extremfall beim Verlust von Arbeitsplätzen, wenn der wechselseitige Handel innerhalb der Union einbricht. Der stellt nach wie vor den Löwenanteil unseres Wohlstands dar.

Weder kann sich Griechenland isoliert aus dem Schlamassel befreien. Noch können die Partnerländer so tun, als ginge sie das alles nichts an.

Die Wirtschaft, die Unternehmen, die Arbeitswelten, die Märkte sind heute in einem Ausmaß miteinander verbunden, wie das in Europa noch nie der Fall war. Vielleicht gerade deshalb erlebte eine antieuropäische Stimmung in den vergangenen Jahren ein Comeback, feierten Regierungen, die auf "mehr national" und "weniger EU" setzen, ihre Erfolge.

Aber solche Rückzugsversuche, solche Ausbrüche, sind letztlich reine Illusion. Es gibt kein Zurück mehr. Griechenland ist - so verurteilenswert die Budgetzahlenfälschungen sind - kein Einzelfall. Schon haben sich die Spekulanten auf den Märkten an die nächsten schwachen EU-Länder herangemacht - Portugal, Irland, Spanien, die jeweils aus ganz anderen Gründen in die Krise gefahren sind. Und setzen auf kurzfristigen Profit, hoffen - wie in der Vergangenheit viele in den USA oder in der Weltbank - dass der Euro dauerhaft Schaden nimmt. Doch es besteht in der Union keinerlei Grund zur Panik. Worum es den EU-Ländern jetzt gehen muss, ist, die richtigen Schlüsse und Beschlüsse aus der (gemeinsamen) Krise zu ziehen. Das könnte am Ende sogar zur Stärkung der Union führen.

Zunächst einmal gilt es für die EU-Finanzminister, jene Institution zu stärken, die das Krisenmanagement zu Griechenland (und auch bei anderen Euro-Budgetsündern, inklusive Österreich) durchführt. Nur so wird es möglich sein, die nötigen Reform- und Sanierungsschritte auch durchzusetzen. Die Staaten müssen aufhören, die von Gemeinschaftsorganen auferlegten Maßnahmen zu unterlaufen.

In einem zweiten Schritt sollte man sich dann dazu durchringen, eine stärkere wirtschaftspolitische Koordinierung zu beschließen. Nur dann kann der Währungsraum als Wirtschaftsraum funktionieren. Pläne dazu wurden bisher von den Staaten torpediert.

Dazu gehörte auch die Schaffung europäischer Anleihen, die in Fällen wie Griechenland zum Schutz des Euroraumes begeben werden könnten. Derzeit wäre dafür wohl ein schlechter Zeitpunkt. Es würde als Signal verstanden werden, dass die Union selbst an eine Pleite Griechenlands glaubt, nicht an Sanierungswillen. Aber langfristig braucht es ein stärkeres Europa.(Thomas Mayer, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 6./7.2010)