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Legastheniker tun sich schwer, Silben zu Worten zu machen.

"Ich bin 51 Jahre , weiblich, schwirigkeiten mit dem schreiben 1Klasse. Buchstaben sind nicht im Gedächnis gebliben": Das ist ein Eintrag im Forum des Berufsverbands akademischer Lese- und Rechtschreibung-Störungs-Therapeutinnen (BALT). Legasthenie, die Lese-Rechtschreib-Störung (LRS), ist ein Problem, das Menschen ein Leben lang begleitet. Die Entwicklungsstörung ist nicht heilbar, aber zu bewältigen, wie der letzte Satz der Forum-Nutzerin zeigt: "Ich habe es trotztem geschaft 3 Berufe zu erlernen."

Schon im Kindergarten könnte man präventiv arbeiten und viel Leid ersparen, so Karl Beinstein. Der Wiener Sozialpädagoge und seine Frau Margareta Beinstein, eine Kindergartenpädagogin, haben vor neun Jahren ein privates Förderinstitut gegründet, das Eltern auch Material zum Heimtraining anbietet. Auslöser war die Legasthenie einer ihrer Töchter.

"Legasthene Kinder sind, ähnlich hyperaktiven Kindern, sehr reizoffen, sehr ablenkbar", weiß Karl Beinstein. Neben der professionellen Hilfe bei Seh- und Hörverarbeitung brauchen sie Verständnis, Einfühlungsvermögen der Eltern und gezielte pädagogische Förderung. Beinstein: "Wenn einem Kind nicht geholfen wird, entstehen Sekundärprobleme. Die Kinder beginnen zu verweigern, verlieren die Lust am Lernen. Die Folgen sind Verhaltensauffälligkeiten, Schulangst, Burnout." Die Kinder landen, so Beinstein, "bei der Schulpsychologie, in der Familientherapie". Die Psychotherapie greife zu kurz, "weil die Wurzel des Problems ja die Legasthenie ist".

Frühe Förderung

Erste Anzeichen für eine mögliche spätere Lern-Rechtschreib-Störung lassen sich früh beobachten. Carola Neuhauser, akademisch geprüfte LRS-Therapeutin im oberösterreichischen St. Ulrich: "Probleme mit den Vorläuferfertigkeiten der Schriftsprache können sich schon im Kindergarten zeigen. Worauf man achten muss, ist die Ausprägung der phonologischen Bewusstheit, die Pädagoginnen durch evaluierte Verfahren überprüfen können." Dieser Fachterminus umschreibt die Fähigkeit, die Lautstruktur der Sprache zu erfassen, Worte in Laute zu zerlegen, aus einzelnen Lauten ein Wort zu bilden. Neuhauser: "Im Kindergarten fördert man diese Fähigkeit mit Reimen, Liedern, Silbenklatschen und Sprachspielen." Findet das ein Kind öd, will nicht mitmachen, können das Frühsymptome sein.

"Seriöserweise" könne eine Legasthenie aber erst im zweiten Schuljahr von klinischen Psychologen diagnostiziert werden, sagt die Erziehungswissenschafterin. "Das Schulgesetz gewährt den Kindern ja auch zwei bis drei Jahre zum Erlernen der Schriftsprache. Mit Mitte bis Ende der zweiten Klasse sollten alle Kinder dann auf dem gleichen Level sein." Eltern sollten aber, so Neuhauser, "wenn sie Schwächen bemerken, ihr Kind so früh wie möglich prüfen lassen". Gezielt fördern könne man bereits in der ersten Klasse.

Sich im Dschungel der Fördermöglichkeiten zurechtzufinden ist für Eltern nicht einfach. In Österreich fehlen Qualitätsstandards für Therapeuten-Ausbildung, Therapien und Trainings. Carola Neuhauser rät Eltern, sich genau über die Ausbildung der Therapeutin, des Therapeuten zu informieren: "Therapeutinnen sollen den Eltern genau erklären, welches Ziel sie für das Kind haben, mit welchen Methoden sie auf dieses Ziel hinarbeiten." Ob Heimtraining sinnvoll ist, müsse individuell abgeklärt werden. "Ab einem gewissen Schweregrad" reiche häusliches Üben nicht aus. "Da braucht es fachliche Unterstützung mit einem symptomorientierten und heilpädagogischen Ansatz", sagt LRS-Therapeutin Neuhauser.

Kampf um Zuständigkeit

Die fachliche Kompetenz der Lehrenden ist noch ausbaufähig. Angelika Pointner, Obfrau von BALT, wünscht sich "zielgerichtete Ausbildung an den pädagogischen Hochschulen". Ziel des Berufsverbandes ist die Qualitätssicherung in der LRS-Therapie, die Zertifizierung von Ausbildungen wie in Deutschland. Pointner: "Die bürokratischen Hürden sind hoch, kein Ministerium fühlt sich dafür zuständig." Wesentliche Kriterien für Verbandstherapeutinnen sind: pädagogische oder psychologische Grundausbildung, die Absolvierung wissenschaftlich orientierter Ausbildungen und ein symptomorientierter Behandlungsansatz, basierend auf wissenschaftlich fundierten Fördermethoden.

Die genauen Ursachen der Legasthenie kennt man noch nicht. Ein deutsches Forschungsteam unter der Leitung des Münchner Kinder- und Jugendpsychiaters Gerd Schulte-Körne hat nun ein Gen entdeckt, das an der Entstehung von Legasthenie beteiligt sein könnte. Das Gen SLC2A3 steuert die Regulation eines Glukosetransporters im Gehirn. Schulte-Körne: "Wenn die Funktion dieses Gens beeinträchtigt ist, so finden wir auch im Gehirn eine schwächere Reaktion der Nervenzellen bei der Sprachverarbeitung." Was könnte die Erkenntnis für die Praxis bedeuten? Neuhauser: "Vielleicht wird das Thema dann in den Schulen und Krankenkassen ernster genommen. Noch wird Legasthenie nicht als das schwer wiegende Störungsbild gesehen, das es in Wirklichkeit ist." (Jutta Berger, DER STANDARD Printausgabe, 12.10.2009)