Uncharted 2: Among Thieves (SCEA/Naughty Dog) erscheint am 16. Oktober für PlayStation 3

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Ein Huhn stolpert über den Weg, es gackert und plustert sich auf, verliert drei Federn im Wind. Ein Hochlandrind grast mit der Ruhe eines Yogameisters, genießt die saftigen Halme in den noch freundlichen Ebenen des Hochlands. Kinder werfen sich einen Ball zu, lachen, verkörpern die Friedlichkeit der Einfachheit. Im Abenteuer "Uncharted 2: Among Thieves" erreicht man Mitten im Spiel einen Punkt, an dem man glaubt, Glückseeligkeit gefunden zu haben. Es ist ein unvergessliches Erlebnis, dass wie das Auge eines Wirbelsturms die Zeit anhält. Davor und danach bestreitet man eine Achterbahnfahrt, die nicht einmal die großen Illusionisten Hollywoods inszenieren hätten können. Denn man sitzt selbst am Steuer.

Wie alles begann

Schatzsucher Nathan Drake ist zurück. Nach seinem glänzenden Debüt im Jahr 2007 steht eine neue Expedition an. Bei Mittagssonne und Bier an einem verlassenen Strand trägt ein Bekannter seiner Freundin Chloe den verlockenden Plan vor.
Im Jahr 1292 machte sich Entdecker Marco Polo mit 14 Schiffen und einer Besetzung von 600 Mann auf die Heimreise von China. Als er eineinhalb Jahre später im Heimathafen einkehrt, segelt nur noch ein Schiff unter seinem Kommando, lediglich 18 Reisende haben überlebt. Und obwohl Polo seine Reisen bis aufs kleinste Detail dokumentierte, blieb er eine Erklärung zur verlorenen Flotte bis zu seinem Tode schuldig. Alles nur ein Unglück oder hat Polo versucht ein für die Menschheit bedeutendes Geheimnis zu bewahren?

In den freien Fall

Im nächsten Moment befindet man sich in der Haut Drakes bereits auf dem Weg nach Istanbul, um den ersten Hinweis aus einem Museum zu stehlen. Zusammen mit seinem etwas zwielichtigen Kumpanen schleicht man im Schatten der Arkaden an Wachen vorbei, überrascht sie lautlos mit einem Kinnhaken oder schickt sie per Betäubungspfeil ins Traumland. Im schimmernden Mondlicht, umhüllt von der Schönheit osmanischer Baukunst lernt man die Fähigkeiten seines Alter Egos kennen und mit Anhieb sein Wesen schätzen. Per Räuberleiter hievt man sich über Mauern, mit dem Seil schwingt man von Plateau zu Plateau und versucht so nebenbei Alarmanlagen und Gegner ruhigzustellen. Tipps vom computergesteuerten Mitstreiter werden mit einem „Thank's for telling me, Captain Obvious" kommentiert - ein Grinsen hier, ein Fluchen da und schon ist man der Erzählung verfallen.

Odysse eines Lebenskünstlers

Von da an beginnt eine Odyssee, deren Elemente so gekonnt zusammengetragen wurden, dass man die rund 12 Stunden lange Geschichte gut und gern in einem Atemzug durchlaufen möchte. Von der Landkarte zum Artefakt bis an den Ursprung der Welt führt die Suche nach dem bedeutendsten aller Schätze über die Dächer der türkischen Hauptstadt, durch den Dschungel Borneos, eine umkämpfte Stadt in Nepal, im Zug vom Fuße an die Spitze des Himalajas und von dort noch viel viel weiter. Drake ist der spielgewordene Indiana Jones, der im freien Fall flirtet, mit Gelassenheit leidet und so wirkt, als wäre er nur durch viel Pech im Schlund des Löwen gelandet.
Der Löwe ist in diesem Fall ein ultrareicher Bösewicht namens Lazarevic, der Wind von Drakes Vorhaben bekommen hat. Mit einer Armee blindloyaler Schergen will er seinem Gegenspieler zuvorkommen und kennt dabei keine Gnade und Moral. Drake wiederum erhält Schützenhilfe von alten Bekannten - "Last years model" Elena darf nicht fehlen.

Heißes Eisen

So verbringt man einen Gutteil seiner Zeit mit Schießereien und waghalsigen Feuergefechten. Doch der Übergang der drei Elemente Action, Erkundung und Rätsel geschieht dabei so fließend, dass man oft keinen Anfang und kein Ende erkennt. So kann es passieren, dass man bei der Überquerung einer Häuserschlucht auf einer Ansammlung Werbeschilder hängen bleibt und nach dem nächsten „Strohhalm" sucht, während Schurken aus allen Gassen gekrochen kommen, um das Feuer zu eröffnen. Ein anderes Mal liefert man sich in einem zusammenstürzenden Haus - während der Boden unter den Füßen wegbricht - eine Schlacht und kämpft dabei gleichzeitig gegen die Schwerkraft und herumfliegende Möbel. Auf einem Zug geht es vom Tal zur Bergspitze des Himalajas. Unter Helikopterbeschuss gilt es so schnell wie möglich gegen den Fahrtwind, vorbeisausende Ampeln und entgegenstürmende Paramilitärs voranzukommen. Schutz findet man hinter Stahlkisten und Wagontüren und verabsäumt es sträflichst zu Bewundern, wie unter dem Bleihagel links und rechts die Landschaft, die anfangs grüne und von Seen durchzogene Fauna, allmählich von Schnee bedeckt wird.

Perfekte Balance

Uncharted 2 erfindet nichts grundlegend neu, bei der gebotenen Abwechslung und Qualität muss es das aber auch nicht. Uncharted 2 kopiert sich in erster Linie selbst, übernimmt die besten Konzepte aus anderen Genres und vermengt sie zu einem einzigartigen Gebräu. Man kennt das Deckungssystem aus Gears of War und hat ähnliche Sprungeinlagen schon in Tomb Raider und ähnliche Rätsel bereits in Resident Evil gemeistert. Doch in einem homogenen Verbund hat man all dies noch nicht erlebt. Zahlreiche Mankos des ersten Teils wurden ausgebessert. Gegner sind menschlicher geworden und ertragen nicht mehr so viele Bleiimpfungen wie früher. Granaten zu werfen ist jetzt keine manuelle Herausforderung mehr und die Faustkämpfe bedienen sich eines ebenso zugänglichen Systems wie jene aus Batman: Arkham Asylum. Das Deckungssystem wurde verfeinert und erlaubt nun auch blind zu feuern. Die künstliche Intelligenz agiert schlau und garantiert, dass die Auseinandersetzungen immer wieder überraschen. Gegner nutzen Deckungen, sprechen einander ab, reagieren auf die Situation.

Improvisiertes Skript

Zur fortwährenden Kurzweiligkeit trägt die Mischung aus geskripteten Ereignissen und dynamischen Spielewelten bei. Ob man als Rambo oder Solid Snake agiert, steht einem weitgehend frei. Eine Gasflasche in die Luft zu werfen und aus der Hüfte zu beschießen ist genauso legitim, wie Schurken lautlos zu umschleichen und vom Balkon zu stupsen. Mitspieler und Feinde verfolgen zwar ein vorgegebenes Ziel, doch der Weg dort hin pflastert sich bei jedem Versuch neu. Die computergesteuerten Kollegen machen einen hervorragenden Job nicht zu stören und greifen einem je nach Schwierigkeitsgrad gar kräftig unter die Arme. Zusammen kurbelt man tonnenschwere Stahltore auf, fängt einander bei todesmutigen Sprüngen oder lacht zusammen über skurrile Ereignisse. Physisch näher kommt Drake unter anderem auch einem verwundeten Kameramann, als er den angeschossenen Kameraden mit dem linken Arm gepackt unter Kugelhagel durch den Regen in Sicherheit schleppen muss.
Wenn man den Schaffern etwas vorwerfen kann, ist es, das Gefühl erzeugt zu haben, die gesamte Landschaft erklimmen und begehen zu können. Hier wird aber meist ein roter Faden vorgegeben. Das gilt für die Horizontale, wie für die Vertikale. Die Rätsel wurden in imposante Settings gebettet, könnten insgesamt aber etwas anspruchsvoller sein. Ein Blick ins schlaue Tagebuch fördert stets den Schlüssel zur Lösung zu Tage. Zuvorkommend: Sollte man bei einem Rätsel oder einem Weg einmal nicht vorankommen, gibt Drake nach ein paar Minuten einen nützlichen Hinweis von sich.

Ein Spiel, wie ein Kinofilm

Drakes Abenteuer erstreckt sich über 26 Kapitel und wird dabei kein einziges Mal von einem Lade-Bildschirm unterbrochen. Erzählung und Spiel greifen nahtlos ineinander über. Die Geschichte wird über weite Strecken während dem Spielen in Dialogen vorangetrieben, nur für die wirklich bedeutenden Zwischenmenschlichkeiten - samt Liebe und Intrige - wird der Fluss unterbrochen. Die Schauspielerische Leistung in den insgesamt 90 Minuten der Zwischensequenzen reicht von der Unterhaltsamkeit der Texte und der Gestikulation und Mimik an reale Vorbilder heran. Die Entwickler haben hierfür echte Schauspieler die Szenen ausführen lassen, Bewegungen und Stimmen synchron digitalisiert und auf die Spielcharaktere umgemünzt. Falten runzeln sich bei Erstaunen auf der Stirn, Nuancen eine Lächelns zaubern sich bei ironischen Bemerkungen auf die Lippen. Das Ergebnis ist schlichtweg glaubhaft, spielerisch mitreißend und für Zuschauer beinahe wie ein Kinofilm. Die Voraussetzung dafür ist der Genuss im sehr gut verständlichen englischen Original, Untertitel lassen sich hinzuschalten. Nicht zu vergessen ist die astreine orchestrale Untermalung, die stets zum richtigen Zeitpunkt Akzente setzt und sich von den einschüchternden Gewehrschüssen und Explosionen nicht unterkriegen lässt.

Technisch erhaben

Die Kulissen strotzen ebenso vor Interaktionsfreudigkeit, wie die virtuellen Charaktere. Schwingt man sich über eine Straßenlaterne kann es passieren, dass sie sich verbiegt oder man ruhende Tauben aufschreckt. Spontan beginnt es zu regnen, Wassertropfen prasseln auf Lacken und Flüsse, in denen physikalisch korrekt Treibgut und auch die eine oder andere Leiche mitgespült wird. Die Rotorblätter eines Hubschraubers lassen die Stämme von Topfpflanzen auf einer Dachterrasse knicken. Drake selbst reagiert ständig auf seine Umwelt. Er stolpert über Wurzelwerk oder schützt seine Augen, wenn er an einem brennenden Wrack vorbeiläuft. Mit jedem Kapitel werden die Bilder noch beeindruckender. Man hat vom ersten Moment an das Gefühl diese Welt würde tatsächlich leben und atmen und genießt fast schon kitschige Szenerien wie von Wasserfällen durchzogene Eisgrotten.

Es mag mit den Egoshootern Crysis und Killzone 2 in manchen Belangen technisch noch aufwändigere Werke geben, doch die Liebe zum Detail und das Artdesign Naughty Dogs kennt zurzeit keinen Vergleich. Staub und Funken glitzern in der Luft, Drakes Gewand wird nass, wenn man durchs Wasser läuft, seine Haare und Beine werden in der Eiswelt dynamisch von Schnee bedeckt. Die Havok-Physik-engine sorgt für realistisches Objektverhalten bei Explosionen. Zäune zerbrechen splitterweise, Pflanzen wiegen sich im Wind. Ziegelsteine brechen aus Mauern heraus, wenn Drake Wände hochklettert. Die Fülle an Einzelheiten ist schier endlos. Jeder Winkel der Illusion wurde wie ein einzigartiger Puzzlestein in das große Ganze gesetzt. Kein Schauplatz sieht aus wie der andere. Die Vielfalt der Kulissen und Regionen sorgt dafür, dass man Rückblickend wahrhaftig meint, um die halbe Welt gereist zu sein. Kleine verstreute Schätze abseits des Handlungsstrangs motivieren dazu jeden Pfad genau zu erkunden und diese Zeit sollte man sich nehmen.

Gemeinsam und gegen die ganze Welt

Spieler sollten die Geschichte zwar zuerst durchleben, um sich den Spielspaß nicht zu nehmen, danach wartet aber ein mindestens so umfassender und unterhaltender Mehrspielermodus. 9 Bewerbe stehen bereit.

Online-Multiplayer (bis 10 Spieler):

Death Match, Elimination (Team-Deathmatch), Plunder (Kampf um einen Schatz), Turf War (Zonen müssen gehalten werden), King of the Hill, Chain Reaction (Zonen müssen in bestimmter Reihenfolge eingenommen werden)

Kooperativ (2 bis 3 Spieler, online):

Survival (Wellen von Computer-Gegnern müssen überstanden werden), Gold Rush (Ein Schatz muss von Computer-Gegnern gestohlen werden), Co-op (Bestimmte Spielabschnitte gemeinsam bewältigen)

Spieler treffen auf rund 7 Mehrspieler-Karten aufeinander. Die allgemeine Spielmechanik profitiert von der Integration aller Fähigkeiten der Charaktere. So kann man genauso wie im Einzelspieler-Part blind aus der Deckung ballern, Feinde vom Dach stürzen, sich Faustkämpfe liefern und auf Wände hochklettern. Besonders viel Spaß machen die Koop-Partien. Einerseits kann man einzelne, angepasste Levels der Story zu zweit oder zu dritt nachspielen und dabei von der Zusammenarbeit profitieren, andererseits findet man in Survival und Gold Rush süchtig machende Endlosschleifen.

Leider gibt es keine Split-Screen-Unterstützung. Dafür ist das Matchmaking denkbar einfach gelungen und würfelt gleich erfahrene Spieler zusammen. Hierfür steht ein solides Rang-System bereit, das auch zur Freischaltung von Waffen-Upgrades und dergleichen dient. Nicht zuletzt kann man dank integriertem Twitter-Feature seine Freunde automatisch wissen lassen, wann man eine Partie startet.

(Anm.: Zum Testzeitpunkt stand nur die Beta-Version des Multiplayers zur Verfügung. Wie konstant der Online-Modus unter realen Bedingungen ist, wird sich demnach erst nach der Veröffentlichung des Spiels zeigen. Wir halten Sie auf dem Laufenden.)

Filmemacher

Machinima ist weniger ein eigenes Spiel, als der ultimative Video-Modus. Während Replays im Nachhinein optisch angepasst werden können (Licht, Nebel, Farbpalette, Kamera, etc), findet man mit Machinima eine Art Green-Box vor. Hier lassen sich mit Drake und Co komplett eigenständige Filme und Szenen drehen. Die Clips können auf die Festplatte gespeichert und so auch auf Video-Plattformen geladen werden. Youtube dürfte wohl bald von einer Welle nerdiger Amateur-Videos überflutet werden :-).

Boni ohne Ende

Sowohl während der Einzelspieler-Geschichte, als auch im Multiplayer verdient man mit Erfolgen virtuelles Geld. Mit dem digitalen Gold kann man sprichwörtlich hunderte neue Kostüme, Charaktere, Waffen und Waffen-Upgrades kaufen. Darüber hinaus stehen interessante Konzept-Bilder der Entwickler und eine ganze Reihe an Making-of-Videos bereit, sowie eine Studio-Führung durch die heiligen Hallen von Naughty Dog. Das Highlight bilden kuriose Cheats, mit denen man sich nicht nur unsterblich machen, sondern auch die Schwerkraft aufheben oder die ganze Welt auf den Kopf stellen kann. Super verwirrend: Per Cheat kann man bei jedem Gegner-Abschuss die Spielwelt abwechselnd spiegelverkehrt und wieder normal erleben.

Fazit

Uncharted 2 mag unter der Lupe betrachtet kleine Schnitzer haben. Die Erkundung könnte freier sein und die Rätsel fordernder. Doch die wenigen Macken fallen in Summe unter den Tisch. Naughty Dogs größte Leistung ist es zum ersten Mal ein Spiel konsequent mit den Erzähltechniken eines Films verschmolzen zu haben. Das ist Unterhaltungskino in seiner besten Form, in dem man selbst zum charismatischen Hauptdarsteller Nathan Drake werden darf. Ein dramatischer Höllenritt und ein Streifzug durch die Weltgeschichte, ein witzig und spannend überliefertes Abenteuer mit fein gezeichneten, interessanten Charakteren, das sich so gut spielt, dass man es am liebsten gleich zweimal hintereinander durchleben möchte. Qualitativ setzen die Entwickler Maßstäbe und zeigen, wie weit Gaming heute gekommen ist. Der Multiplayer-Modus ist eine krönende Draufgabe und hat nicht zuletzt dank Koop das Zeug zum absoluten Süchtigmacher. PS3-Spieler werden darin vielleicht ihr eigenes Halo-Phänomen finden. Kurzum: Uncharted 2 ist das Abenteuer des Jahres und die neue Definition eines Videospiel-Blockbusters.

(Zsolt Wilhelm, derStandard.at, 9.10.2009)