Der errechnete Ursprung der Laktasepersistenz

Illustration: Yuval Itan

Mainz - Die sogenannte "Laktoseintoleranz" gilt als Nahrungsmittelunverträglichkeit - dabei ist es eigentlich der humanbiologische Normalzustand: Erwachsene Menschen können Milch nach dem Kleinkindalter nicht mehr verdauen, was auf den Verlust der Fähigkeit zurückgeht, die darin enthaltene Laktose (Milchzucker) aufzuspalten. Denn bei den meisten wird das dafür benötigte Enzym Laktase nicht mehr ausreichend gebildet. Dadurch können zwar oft Käse- oder Joghurtprodukte verdaut werden, nicht jedoch reine Milch.

Mitteleuropäische Errungenschaft

Weltweit gibt es nur wenige Ausnahmen, wo diese Fähigkeit erhalten bleibt: Einige Bevölkerungsgruppen in Afrika und - als zahlenmäßig weitaus größte Gruppe - Europäer und ihre Nachkommen auf anderen Kontinenten. Diese dürften die sogenannte Laktasepersistenz unabhängig voneinander entwickelt haben - den Ursprung der europäischen Variante verfolgten nun Forscher des University College London und der Universität Mainz zurück. Und diesen Ursprung fanden sie mehr oder weniger hier in der Gegend, wie sie im Fachjournal "PLoS Computational Biology" berichten.

Sie erstellten eine Computersimulation, die eine Verbreitung der Milchwirtschaft in einem von Jäger- und Sammlerpopulationen geprägten Umfeld nachahmt. Dabei wurde sichtbar, dass Milchverträglichkeit wahrscheinlich vor 7.500 Jahren im Gebiet des heutigen Ungarn, Österreichs oder der Slowakei erstmals aufgekommen ist. Das widerspricht der bisherigen Annahme, dass der Milchkonsum in Nordeuropa begann, was man stets aus der heute besonders hohen Milchverträglichkeit in Skandinavien und Irland geschlossen hatte.

Erfolgsgeschichte

Laktasepersistenz bildete sich bei den europäischen Siedlern der Jungsteinzeit durch eine Genmutation aus. "Dieses Merkmal hat sich rasant demografisch durchgesetzt wie kaum ein anderes", betont der an der Studie beteiligte Mainzer Anthropologe Joachim Burger. Vor 7.500 Jahren, kurz nach der Übernahme des Hausrindes aus Anatolien, sei diese Genmutation vermutlich in der Kultur der Linearbandkeramiker aufgekommen und habe sich von dort aus mit unglaublicher Durchsetzungskraft unter der gesamten mittel- und nordeuropäischen Bevölkerung verbreitet. Die Rasanz der Verbreitung erklären die Forscher dadurch, dass Milch im Gegensatz zu anderen landwirtschaftlichen Produkten stets verfügbar ist und ihr Konsum die aus der Rinderhaltung gewinnbare Energie deutlich erhöht. Die hohe Laktasepersistenz im Norden könne man hingegen auf den Effekt einer sich ausbreitenden Bevölkerung zurückführen.

Durch eine Reihe geschichtlicher und demographischer Faktoren ist die Laktasepersistenz heute in Europa und erst recht weltweit in sehr unterschiedlichem Ausmaß vorhanden: Während in Mitteleuropa rund 60 Prozent der Bevölkerung Milch verdauen können, ist dies in Südeuropa nur bei jedem Fünften der Fall. Am verbreitetsten ist die Persistenz in Nordeuropa und Irland mit etwa 90 Prozent. (pte/red)